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Sauerbraten

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Zwei Jahre nach dem Tod von Wiglaf Droste erinnert die Edition Tiamat, Berlin, mit einer Anekdotensammlung an den Dichter, Satiriker und Sänger: "Wiglaf Droste – Chaos, Glück und Höllenfahrten. Eine autobiographische Schnitzeljagd". Unser Kolumnist hat zu dem Buch diese kleine Geschichte beigetragen.

Wir lauschten dem Meeresrauschen. Die Luft an diesem Sommertag 2012 war stickig und stinkig, und der Lärm, der uns zwang, etwas lauter als üblich zu reden, drang nicht vom Meer zu uns herüber. Wir saßen vor einer Kneipe an der Stadtautobahn, einem Asphaltmonstrum, das Stuttgarts historisches Zentrum zerlegt wie ein Stück unbrauchbare Leber. Den Begriff "Meeresrauschen" hatten wir in diesem Viertel verinnerlicht wie "Tschernobyl", um auf das Gift in dieser Gegend hinzuweisen. Abgase, Feinstaub und andere Drogen.

Wiglaf Droste und unsereiner saßen öfter mal in oder vor dieser schönen Altstadtkneipe namens Brunnenwirt, in der früher vornehmlich professionelle Damen und Zuhälter, gestrandete Intellektuelle und Haipfler verkehrt hatten. Außer den letzten Rotlicht-Veteranen im Stuttgarter Kessel dürfte das Wort "Haipfler" kaum noch jemand kennen. Es leitet sich ab vom Haipfel, einem schwäbischen Synonym für Kopfkissen. Haipfler waren Bettwäschevertreter und ein Synonym für Schwätzer, die nichts auf der Naht hatten, ähnlich wie die "Hartgeld-Luden", kleine Strolche: immer stier oder gleich bockstier, zu Deutsch pleite.

Wiglaf kannte all diese Codes. Er war über diese Stadt informiert, weil er mit seinem Stuttgarter Freund, dem Sterne-Koch, Autor und Musiker Vincent Klink, das Magazin "Häuptling Eigener Herd" herausgab. Zu Stuttgart, wo er sich regelmäßig aufhielt, pflegte er eine Art Hassliebe. "Hier wütet das Geld, aber es wütet verschlagen und verdruckst", schrieb er mal und schwärmte gleichzeitig: "Auf den Stuttgartern Hügeln aber wächst Wein; kein stickstoffgedüngter Trollingerkrempel, sondern richtiger Wein." Trauben, ökologisch angebaut, "klein, bodengesättigt und gehaltvoll".

So gut wie immer, wenn wir uns trafen, sprachen wir über Alkohol, vor allem, seit ich 2007 die Sauferei relativ planlos eingestellt und wundersamerweise nicht mehr angefangen hatte. Was ihn selbst anging, mied Wiglaf bei diesem Thema jede Offenheit, die eine Chance auf ein Ende seines Trinkens signalisiert hätte. Einmal holte ich ihn nach einem Krankenhausaufenthalt ab, um mit ihm auf seinen Wunsch ein Spiel der Stuttgarter Kickers zu besuchen. Als ich ihn sah, wurde ich bleich: Sein ganzes Gesicht war gelb, er sah so erschreckend aus, dass ich mich schon beim Gedanken an einen Witz mit den Farben seines Lieblingsklubs Borussia Dortmund aus dem Spiel nahm. Er wiederum sagte, der Besuch eines Kickers-Spiels auf den Hügeln koste ihn trotz seiner großen Sympathie für diesen Underdog eine gewisse Überwindung. Auch möchte er vor Amok-ähnlichen Ausfällen warnen: Da mein Team traditionell in Blau spiele, könne es ihn an seinen Erzfeind Schalke 04 erinnern und er für nichts garantieren.

Zurück in den Kessel des Sommers 2012, ein paar Monate, bevor die AfD gegründet wurde (und drei Jahre, bevor Wiglaf in sehr guter Form als Conférencier im "Flaneursalon am Fluss", meiner Mixed Show im Stuttgarter Neckarhafen, auftrat). Bei anhaltendem Meeresrauschen vor dem Brunnenwirt unterhielten wir uns über das bedrohliche Erstarken der Rechten, Völkischen und Nazis. Dazu verspeisten wir schwäbischen Sauerbraten in brauner Soße mit Spätzle, eine Lieblingsspeise von Wiglaf, der die reelle Küche in dem Altstadtlokal zu schätzen wusste.

Seinerzeit waren Vegetarismus und Veganismus bei uns in der Provinz noch nicht so alltäglich wie heute. In bester Spießer-Manier gab ich zu bedenken, dass die Antifa bei ihrer zunehmenden Fleischlosigkeit im richtigen Leben, das ja kein falsches zulasse, womöglich nicht mehr genügend Kraft für den Kampf gegen die Faschisten hätte. Wiglaf widersprach nicht, während er seinen schwäbischen Sauerbraten gut durchkaute, eine Kost, die man nicht mit der rheinischen Variante verwechseln darf. Anders als die Rheinländer versenken wir Rosinen nicht in Bratensoße, sondern im Hefezopf.

Die Frage, ob unsere antifaschistischen Kräfte in den bevorstehenden Kämpfen gegen die Nazis auch ohne Fleisch auf dem Teller eine Chance hätten, blieb an diesem Tag am Meer ungeklärt. Am nächsten Morgen erreichte mich per Mail dieses Gedicht:

RICHTIG SPACHTELN GEGEN NAZIS

Hitler vegetierte arisch,
lebte vulgo vegetarisch.
Fleisch? Niemals, nicht einen Happs!
Auch kein Bier und keinen Schnaps,
und auch niemals Zigaretten,
denn es galt, die Welt zu retten:
Vor den Bolschewiken, Juden,
allem Schönen, Wahren, Guden
also vor den Großgenüssen.
Deshalb schrieb der Mann "Mein Kampf".

Junge deutsche Antifaschen
ähneln oft den Hallimaschen:
fahl sind sie und mickrig und
magersüchtig ungesund.
Denn ihr Leben ist, ich ahn es,
jederzeit ein vollveganes.
Und ihr Tierschutz-Übereifer
ähnelt Adolfs Vegi-Geifer.
Das wird sich rasch ändern müssen.
Deshalb sag ich euch: Kein Mampf!

Und zum guten Futtern taugen
Tiere, die nun einmal Augen
haben, Nase und auch Mund,
isst man sie, lebt man gesund.
Selbstverständlich gilt die Pflicht:
Quältierware frisst man nicht.
Fröhlich muht die Bio-Kuh:
"Macht doch mal McDonald's zu!
Esst mich auf, von meinem Saft
kriegt ihr Anti-Nazi-Kraft!"
Und dann wird euch zügig klar:
Fleisch ist ein Stück Antifa!


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1 Kommentar verfügbar

  • D. Hartmann
    am 26.04.2021
    Antworten
    Super, dieses Gedicht von Wiglaf Droste!

    Ob er damals schon ahnte, dass seine verdichteten Aussagen ein paar Jahre später eine viel breitere Bedeutung haben würden. Die Kernaussage lässt sich nämlich auf viele selbstdefinierten Gruppen übertragen.
    Einfach das "faschen" hinter dem "Anti-" mit…
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