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Courage, Kunst, Verhängnis

Courage, Kunst, Verhängnis
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Als ich die Schauspielerin Maria Munkert in Mannheim besuche, habe ich ein Diogenes-Notizbuch mit der Aufschrift "Small" bei mir, kleiner als mein Taschentelefon. Eine größere Kladde würde nichts nützen. Was ich zu erzählen habe, sprengt den Rahmen eines Zeitungsartikels. Es müsste dringend ein Buchautor oder ein Dokumentarfilmer an die Arbeit für diese Geschichte über Courage und Kunst, über Liebe und Verhängnis.

Maria Munkert, 39, Ensemblemitglied des Nationaltheaters Mannheim, ist die Tochter des Malers K. R. H. Sonderborg, der am 5. April 1923 im dänischen Sønderborg geboren wurde. Eigentlich hieß er Kurt Rudolf Hoffmann. Er kam ohne rechte Hand zur Welt, mit seiner linken schuf er später große Werke, war international erfolgreich. Ein Mann, der das Leben als fortwährende Bewegung betrachtete. Logische Folge: Action-Painting. Gelegentlich habe ich ihn mit seinen Studierenden in Aktion auf den Straßen von Stuttgart erlebt. Von 1965 bis 1990 war er Professor für Malerei an der Akademie der Bildenden Künste auf dem Weißenhof, wo er zeitweise mit seiner Familie auch wohnte. Im Le-Corbusier-Haus der Weißenhofsiedlung, später im Bohnenviertel.

In zwei Jahren wird Sonderborgs 100. Geburtstag neue Aufmerksamkeit auf diesen Künstler lenken. Einst hat er in Rom, Paris, Cornwall, New York und Chicago gearbeitet. Chicago? "Ja, er liebte diese Stadt, er wäre gern ein kleiner schwarzer Gangster gewesen. Diese Vorstellung gefiel ihm. Am liebsten hielt er sich in Chicago in den Vierteln der Schwarzen auf. Wenn ein Schwarzer und ein Weißer gleichzeitig auf der Straße nach einem Taxi winkten, freute sich mein Vater jedes Mal diebisch, dass es quasi Gesetz war, dass der Schwarze zuerst einsteigen durfte", erzählt Maria.

Mir war Sonderborg in der Vergangenheit hin und wieder in Stuttgarter Kneipen begegnet. Man nannte ihn, als politische Korrektheit noch niemanden interessierte, "einarmiger Bandit". Rein zufällig geriet ich Ende 2018 wieder auf seine Spur. Am neu eröffneten Lern- und Gedenk-Ort Hotel Silber, der ehemaligen Stuttgarter Folter- und Mordzentrale der Gestapo am Charlottenplatz, gab es einen Swing-Abend mit einer Gipsy-Jazz-Band und einem DJ unter dem Motto "Let's have a Ball". Prompt witterten pietätvolle Zeitgenossen eine Freveltat, sie verstanden die politisch-historischen Signale nicht. Die Propaganda der Nazis hatten den Jazz verdammt, auch wenn einige von ihnen heimlich Swing hörten. Der SS-Chef Himmler hetzte, man müsse die amerikanische Kultur "radikal ausrotten".

Dem faschistischen Terror zum Trotz treffen sich damals in den Städten mutige junge Menschen in subversiven Swing-Clubs. Mit schrägen Klamotten und Frisuren nach amerikanischem Vorbild rebellieren sie als Swing-Kids und werden von den Nazis verfolgt. 1943 spüren deren Schergen in Cannstatt (die Nazis haben den Stuttgarter Stadtteil 1933 in Bad umgetauft) 17 junge Männer und vier junge Frauen auf. Sie werden verhört und bestraft: Einige von ihnen müssen an die Front und kommen um.

Nach der kleinen Provinz-Affäre um die Aufklärungsaktion des Hotels Silber schrieb ich eine Kolumne über die Hintergründe des Swing-Abends und wies darin auf einen berühmten Swing-Boy hin, der oft in Stuttgart unterwegs war, ein Rastloser im Rhythmus des Jazz. Als junger Kerl in Hamburg trägt er US-Outfit und liest in der Öffentlichkeit die "Washington Post", die er sich bei amerikanischen Diplomaten besorgt. 1943 sperren ihn die Nazis fünf Monate ins KZ Fuhlsbüttel. Offizielle Haftgründe: "Anglophilie", "staatsabträgliches Verhalten". Der zwanzigjährige Unruhestifter ist der spätere Künstler K. R. H. Sonderborg, ein Vertreter des Informel, wegen seiner ungemein kraftvoll-dynamischen Schwarz-Weiß-Werke auch "Meister der Schwarzmalerei" genannt. Ein politischer Mensch, ein Zweifler, der sich unter anderem mit der RAF und Stammheim beschäftigt und auch künstlerisch darauf eingeht.

In meiner Kolumne erwähnte ich seinerzeit eher beiläufig, dass ich mich etwas wundere, warum Sonderborg, dieser charismatische Mensch und großartige Maler, bei uns in der Stadt nicht besser präsent ist. Wenig später erhielt ich Post von der Direktorin des Kunstmuseums am Schlossplatz, Ulrike Groos. Ohne jede Absicht war ich in eine Geschichte gestolpert, die so schnell noch nicht beendet sein wird. Ulrike Groos arbeitete schon 2018, gemeinsam mit Maria Munkert, an einem Konzept für eine große Sonderborg-Ausstellung, stieß aber auf ungeahnte Probleme: Zwar verfügt sie in ihrem Museum über einige maßgebliche Sonderborg-Werke, viele Arbeiten seines Schaffen allerdings sind nicht mehr auffindbar.

Rund um dieses schwarze Loch haben wir es mit Ereignissen zu tun, die ein halbwegs vernünftiger Spielfilmregisseur seinem Drehbuchautor aus dem Skript streichen würde. Sie erscheinen allzu trivial, realitätsfremd und unglaubwürdig-abgründig.

In den 1980er-Jahren wird in Deutschland ein Kunstfälschungsfall aufgedeckt, von dem auch Sonderborg-Werke betroffen sind. Die Fälscherin, nennen wir sie, mit Rücksicht auf ihre Resozialisierung, Alice, wird gefasst. Und Sonderborg, wie immer in Bewegung, besucht sie im Knast. Die Annäherung an die Geheimnisvolle hinter Gittern bleibt nicht ohne Folgen: Der Künstler verliebt sich in seine Kopistin. Nach ihrer Entlassung lebt er mit ihr in Hamburg zusammen, die meiste Zeit so abgeschottet, dass auch Maria Munkert nicht weiß, was damals geschah. Wurde Sonderborg, der zur Depressionen neigte, mit Medikamenten ruhiggestellt? Sicher ist: Nach Sonderborgs Tod am 18. Februar 2008 war nicht nur seine inzwischen mit ihm verheiratete Lebensgefährtin verschwunden, sondern auch sein Nachlass.

Seitdem fahndet Maria Munkert nach den Bildern und der Wahrheit. Unterstützt wird sie von einem ehemaligen Kriminalbeamten, der lange in der bundesweit bekannten Stuttgarter Spezialabteilung für Kunstfälschungen des Landeskriminalamtes gearbeitet hat. Kontakt mit der bis heute mysteriösen Alice gibt es inzwischen. Aber keine Bilder.

Dass ich ein weiteres Mal mit dem Fall Sonderborg konfrontiert wurde, hat wieder mal mein treuester Begleiter zu verantworten. Der Zufall. Im Sommer 2020 storniere ich Pandemie-halber eine geplante Japan-Reise und fahre stattdessen zum Luftschnappen in den Schwarzwald. Meine Begleiterin hatte uns in dem Fachwerkstädtchen Gengenbach aufs Geratewohl ein kleines Ferienhaus gebucht. Als ich wenig später den Namen der Vermieterin lese, traue ich meinen Augen nicht: Es ist Christa Munkert, eine keineswegs unbekannte Malerin aus Stuttgart, Sonderborgs frühere Lebenspartnerin und Marias Mutter.

Maria kann sich an ihren Vater gut erinnern. Sie erzählt mir, wie sie nach zehnjähriger strikter Trennung von ihrem Vater 2003 eine Ausstellung seiner Werke in Emden besucht und ihn um ein Autogramm für ihren Katalog bittet. Wie er sie erst erkennt und in den Arm nimmt, als er ihre Stimme und ihren Namen gehört hat. "Ich spürte, dass er mich immer geliebt hat."

Maria Munkert plant jetzt zusammen mit einem Regisseur eine Bühnenperformance, die sich, mit viel Bewegung, zum 100. Geburtstag 2023 mit K. R. H. Sonderborgs Leben auseinandersetzen wird. Ulrike Groos hält an ihrem Vorhaben fest, eine große Sonderborg-Ausstellung in Stuttgart zu realisieren. Aufgrund der Pandemie und den Termin-Blockaden an allen Orten der Kunst und Kultur rechnet sie mit der Eröffnung frühestens 2025.

Bis dahin gibt es noch viele Dinge zu klären, die nicht in mein kleines Notizbuch passen. Oder vielleicht auch darin verwahrt bleiben, weil sie niemanden etwas angehen.


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1 Kommentar verfügbar

  • Onion
    am 27.02.2021
    Antworten
    Sonderborg war kein Leherer sondern ein Meister, so liess er sich gerne anreden. Er erklärte gleich zu Anfang dass man bei ihm nichts lernen könnte, was man selbst nicht auch erreichen kann. Er war das Sammelbecken aller nicht integrierbaren und ihn bewundernden StudentInnen. Ich bezeichnete ihn als…
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Ausgabe 163 / Fünf Kilometer Todesmarsch / Maria Sigg-Huber / vor 14 Stunden 33 Minuten
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