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Aufs passende Gleiss gesetzt

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Beim VfB Stuttgart steht der Showdown zwischen Präsident und Gremien an. Claus Vogt mag weiterhin nicht weichen – die Nervosität bei seinen Gegnern wird immer größer. Aus guten Gründen.

Auch in der Welt des Sports ist der Mensch dem Menschen ein Wolf. Oder wie soll man das finden, dass die Franzosen unserem Supersegler Boris Herrmann kurz vor dem Sieg oder mindestens dem Podium beim Vendée Globe einen unbeleuchteten, quasi unsichtbaren Trawler voll besoffener Spanier in sein Highspeed Boot krachen lassen? Womöglich stimmt es halt doch, was man so sagt: Vor Gericht und auf hoher See sind wir in Gottes Hand. In diesem Fall doofer Gott, meine Meinung. Sicher ein Franzose, mit denen kann nicht jeder. Beim Fußball Bundesligisten VfB Stuttgart, da können sie. Gress, Six, Delpierre, Pavard, aktuell Coulibaly, Cissé und Ahamada, Franzosen überall. Und auch Granate Silas ja zumindest aus Frankreichs zweiter Liga an den Neckar geholt. Mangala Belgier, gleiche Sprache immerhin.

Das Eingreifen eines zornigen, strafenden Gottes wäre derzeit freilich wünschenswert beim VfB. Die Mannschaft und die sportliche Führung könnte er als Franzose ja gerne außen vor lassen, aber gleich einem wütenden Zeus könnte dieser Gott doch schon etliche Blitze hinabschleudern auf etliche Funktionäre aus AG und Verein.

Daimlers Porth wäre erster Anwärter auf Zeus' Blitze

Wilfried "Palpatine" Porth, seit Jahren schon der Daimler-Mann im VfB-Aufsichtsrat, ist quasi erster und dringlichster Blitz-Anwärter. Aktuell erweckt er den Eindruck, er wolle Präsident Claus Vogt loswerden, bevor dieser die Affäre um die widerrechtliche Herausgabe vertraulicher Mitgliederdaten vollends aufklären kann. Deshalb, so sagen seine Gegner, habe Porth zunächst den als sympathisch geltenden Thomas Hitzlsperger vorgeschickt, um Präsident Vogt mit einem rüden offenen Brief voller übler Anschuldigungen zu überfahren und zum sofortigen Rücktritt und Rückzug ins Privatleben zu bewegen.

Nun versucht er, nachdem Vogt nicht weichen mag, diesen zumindest als Vorsitzenden des Aufsichtsrates ablösen zu lassen. Denn eben dieser Vorsitzende muss eine Rechtsanwaltskanzlei damit beauftragen, die soeben abgeschlossenen Ermittlungen der Firma Esecon in der Datenaffäre rechtlich einzuordnen und mögliche Konsequenzen zu finden. Gemeinsam mit Präsidiumsmitglied und Aufsichtsrat Bernd Gaiser sowie weiteren willfährigen Funktionären aus Vereinspräsidium, Vereinsbeirat und AG-Gremien, möchte Porth die intensiv für den Daimler-Konzern tätige Großkanzlei Gleiss Lutz mit dieser rechtlichen Einordnung beauftragen. Also just die Kanzlei, die Daimler im Diesel-Skandal so massiv unterstützt hat. Die für Daimler so manche Hauptversammlung und auch sonst so einiges organisiert hat oder wegverhandelt, dem Kunden Daimler also sicherlich stark verpflichtet ist. Dieselbe Kanzlei übrigens auch, die es als Beraterin der Landesregierung unter Ministerpräsident Stefan Mappus beim Rückkauf von EnBW-Aktien (Gesamtvolumen ca. 4,7 Milliarden Euro) durch das Land Baden-Württemberg Ende 2010 angeblich für zulässig hielt, das Parlament nicht zu beteiligen (was später als verfassungswidrig eingestuft wurde). Dass Aufklärer Claus Vogt eine derart mit im Seil hängende Kanzlei nicht beauftragen mag, versteht sich von selbst.

Eigentlich müssten alle sofort zurücktreten

Warum ausgerechnet Gleiss Lutz? Dies legt den Verdacht nahe, dass Porth, Gaiser und Co. alles daran setzen, die Datenaffäre mit Hilfe einer verbündeten Kanzlei höchstens hausintern zu klären. Soll deshalb keine nicht mit Daimler verbundene Kanzlei beauftragt werden, weil sie fast alle in den Esecon-Ermittlungsakten auftauchen? Hängen sie nicht alle mit drin, die Herren Porth, Gaiser, Mutschler, Heim, Röttgermann, Schraft, Jenner, Erhard, Hitzlsperger? Eigentlich müssten sie alle sofort zurücktreten, wenn sie einen Funken Anstand im Leib haben sollten.

Viel Phantasie gehört nicht dazu, sich vorzustellen, wie Wilfried Porth und Bernd Gaiser schon seit Tagen Szenarien ausbaldowern, das Ganze geräuschlos unter den Teppich zu kehren. Am Präsidenten und Aufsichtsratsvorsitzenden vorbei, über seinen Kopf hinweg. Aber Claus Vogt hat sich bekanntlich ja auch schon geweigert, zu einer rein virtuellen Mitgliederversammlung am 18. März einzuladen. Er hat da übrigens nichts abgesagt, nichts verschoben, sondern schlicht und ergreifend die Einberufung verweigert. Weil wohl auch gremienintern von einer rein virtuellen Versammlung nie die Rede war. Weil sie ihn, obwohl amtierender gewählter Präsident, nicht nominiert hätten zur Wahl am 18. März. Weil sie ihn einfach verschwinden lassen wollten.

Und warum sollte dieser Mann jetzt den Auftrag an eine Kanzlei wie Gleiss Lutz unterschreiben? Die Herren sollten vielmehr schleunigst Schutz suchen, bevor es Blitze vom Himmel hagelt, Ermittlungsakten von neutraler Seite rechtlich eingeordnet werden und Belastendes auch noch vom Landesdatenschutzbeauftragten Brink bekannt wird.

SWR-Antwerpes lässt Vogt mit Trump vergleichen

Ebenfalls schnell einen sicheren Unterstand suchen sollte sich SWR-Redakteur Michael Antwerpes, der in der sonntäglichen Sport im Dritten-Sendung nicht zum ersten Mal sein journalistisches Handwerk auf eine Art und Weise zelebrierte, die eines zweifelhaften privaten Mediums vom politischen Rand würdig wäre, nicht aber eines öffentlich-rechtlichen TV-Senders. Antwerpes lässt in dieser Sendung einen selbsternannten PR-Experten vom Hohentwiel im Interview die Fans des VfB Stuttgart mit den rechtsterroristischen Proud Boys aus den USA und den gewählten Präsidenten Claus Vogt mit Donald Trump vergleichen – ohne dass er das Ganze als Moderator kritisch einordnet. Dazu ist zu sagen, dass Michael Antwerpes noch nie durch besonders akribisches journalistisches Arbeiten auffällig geworden ist. Das genaue Hinschauen dürfte ihm eher beim Check seiner Honorare gelingen, die ihm durch die Moderation von allerlei Veranstaltungen aus dem Sponsorenumfeld des VfB Stuttgart zufließen.

Es steht wirklich schlimm um den Verein VfB Stuttgart, und um die ihm zu 88 Prozent gehörende VfB Stuttgart AG. Und wenn die dieser Tage dem VfB zugestellten Ermittlungsergebnisse in Gänze öffentlich gemacht werden, dann könnte es noch deutlich schlimmer kommen. Möglicherweise wird zumindest für aufmerksame Geister erkennbar werden, dass es ans Eingemachte gehen könnte. Für den VfB. Und auch für Gestalten wie Wilfried Porth, der als Daimler-Gesandter für das Wohl und Wehe der Daimler-Beteiligung VfB Stuttgart auch Verantwortung gegenüber seinem Arbeitgeber trägt. Verantwortung, die vielleicht gerade in diesen Tagen und Wochen verstärkt auf den Prüfstand kommt. Womöglich ist er ja deshalb noch nervöser als sonst, brüllt noch mehr rum und ruft angeblich sogar bei Fanclubs an, um deren Unterstützung für den Präsidenten zu unterbinden, der Sportsfreund "Willi".

Der Präsident möge lange bleiben

Dem Präsidenten Claus Vogt sei an dieser Stelle viel Energie und Kraft gewünscht, die ständigen Hintenrum-Attacken der Herren Porth, Gaiser, Hitzlsperger, Mutschler, Erhard und Co. auszuhalten. Was auch immer sie ihm unterstellen werden, was auch immer an Falschbehauptungen sie zum Boulevard durchstechen – er möge mindestens so lange am Ruder bleiben, bis die Verantwortlichen der jüngsten Skandale einwandfrei bekannt sind und zur Rechenschaft gezogen werden können. Gerne aber auch noch länger.

Claus Vogt hat nämlich bisher saubere Arbeit im Sinne der Vereinsmitglieder geleistet, genau die Dinge getan, die von einem Präsidenten und Aufsichtsratsvorsitzenden erwartet werden und eigentlich nur einen einzigen entscheidenden Fehler gemacht, den ich – so weit ist es gekommen – mit einer Anekdote ausgerechnet über den FC Bayern München veranschaulichen will:

Als Uli Hoeneß 1982 nach seinem Flugzeugabsturz im Klinikum Großhadern behandelt wurde, besetzte Freund Paul Breitner Hoeneß’ Managerbüro beim FC Bayern, damit ja kein anderer sich dort breitmachte. Er hielt Hoeneß sein Büro frei, bis dieser zurückkehren und seine Arbeit wieder aufnehmen konnte. Als Claus Vogt am Tag nach seiner Wahl im Dezember 2019 das Präsidentenbüro in der VfB-Geschäftsstelle beziehen wollte – da saß dort Thomas Hitzlsperger hinter dem Schreibtisch. Das Präsidentenbüro sei nicht länger das Büro des Präsidenten. Dort residiere ab sofort der Vorstandsvorsitzende der AG, hieß es.

Dass Vogt den offenbar von seiner Macht berauschten und von den Herren Porth, Gaiser und Co gesteuerten jungen Mann nicht sofort aus seinem Büro werfen ließ, das, und nichts anderes, war sein Fehler. Ein folgenschwerer Fehler. Und als neulich im Fernsehen mal wieder der zweite Hobbit kam, da ist mir ein Satz der Elbin Tauriel im Gedächtnis geblieben: "Hier wird es nicht enden. Mit jedem Sieg wird das Böse stärker werden." Mittlerweile ist auch die Präsidentenloge im Stadion umbenannt. Der Präsident ist dort jetzt nur noch Gast, nicht mehr Gastgeber.


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