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50 Jahre Frauenfußball

Gedöns will kicken

50 Jahre Frauenfußball: Gedöns will kicken
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Der organisierte Frauenfußball in Deutschland begeht das 50. Jahr seines Bestehens. Aber rund läuft er nicht. Die Unwucht wird nirgends deutlicher als bei einer Anfrage im Stuttgarter Landtag.

Fußball. Männer. Bundesliga. Saison läuft wieder, Bayern dominiert wieder, echte Liebe verpflichtet wieder, der VfB Stuttgart ist auch wieder dabei – zumindest vorübergehend. Fans dürfen mancherorts wieder ins Stadion, und natürlich herrscht auch unter Pandemiebedingungen große Aufregung. Denn angeblich funktioniert Fußball nicht mit Abstand, nicht auf dem Spielfeld, und auch nicht auf den Tribünen.

Zumindest sagt das Dirk Zingler, der Präsident von Union Berlin. Als eine Art Laborversuch für Corona-Schnelltests unter Realbedingungen will er das schöne Stadion an der Alten Försterei möglichst bald mit möglichst vielen Fans füllen, die Seuche scheint ihm egal. Was zählt sind Kohle und Schlagzeilen, ohne Aufregung und Wichtigtuerei kann Zingler nicht. In dieser Hinsicht dem Söder ähnlich, nur haben Letzteren die Zahlen mittlerweile wieder eingeholt und überspült wie eine Welle den großmäulig gestikulierenden Surfer. Aus München indes neben Dauer-Söder gleich zum Saisonauftakt gegen Schalke auch abseits des Platzes gewohnt starke Gesten des FC Bayern. Tönnies im Stadion, wer sonst als Uli könnte ihn einladen, und die Führungsmannschaften eng gedrängt im Logensitz, der Welt der Menschen längst entglitten. Kein Wunder will auch Götze wiederkommen, den hat nach 2014 niemand festgehalten, so dass er aufgestiegen ist wie ein Luftballon, hinauf zu den anderen da oben, wo es keine Viren gibt.

Frauenfußball: schlecht für die Gebärfähigkeit

Die Realität derer unten auf dem Boden ist freilich eine andere. Mindestens zehn bis zwölf Clubs der ersten und zweiten Liga sind von der Pleite akut bedroht, mal schauen, wen zuerst es reißt. Auch hier größtmögliche Spannung, Aufregung, alles wichtig, alles Alpha. Wie es anderswo aussieht, interessiert keine Sau. Amateurfußballvertreter zum Beispiel sind in der medial präsenten neuen Task Force "Zukunft Profifußball" gar nicht vertreten. Und dann gibt es da ja auch noch die Frauen, von Kanzler Schröder einst gemeinsam mit anderen gesellschaftlichen Randgruppen (Senioren, Jugend) unter dem Begriff "Gedöns" subsumiert. Die kicken bekanntlich auch, diese Frauen, und sie feiern quasi das ganze Jahr lang durch.

Denn am 31. Oktober 1970 wurde der Frauenfußball vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) offiziell in seine Satzung aufgenommen. Das Jahr 2020 markiert also ein besonderes Jubiläum - 50 Jahre Frauenfußball in Deutschland. Wenn das mal kein Grund zum Feiern ist. Längst vergangen sind die Zeiten, in denen der DFB auf seinem Verbandstag beschloss, seinen angegliederten Vereinen das Fußballspielen in Frauenmannschaften zu verbieten. Begründung damals, im Jahre des Herrn 1955: Im Kampf um den Ball verschwinde die weibliche Anmut, Körper und Seele erlitten unweigerlich Schaden, das Zurschaustellen des Körpers verletze Schicklichkeit und Anstand, auch die Gebärfähigkeit werde beeinträchtigt.

Zweimal wurden die Damen inzwischen Weltmeister, 2011 fand die WM in Deutschland statt, über 70.000 Zuschauer im Berliner Olympiastadion sahen das Eröffnungsspiel.   Frauenfußball also angekommen in der Neuzeit, Forderungen nach gleicher Bezahlung von Männern und Frauen ertönen hier und da, Boom und alles auf dem richtigen Weg. Sollte man meinen.

Tatsächlich musste aber allein der Württembergische Fußballverband (WFV) zwischen 2010 und 2019 einen Rückgang von über 45 Prozent an Damenteams verzeichnen. Im gesamten Verband spielt kein einziger Verein höher als der VfB Obertürkheim – und der spielt in der Regionalliga Süd. Für die Schwäbin noch schlimmer: Die badensischen Nachbarn machen es da trotz ebenfalls stark rückläufiger Gesamtzahlen besser, Hoffenheim (Nordbaden) und Freiburg (Südbaden) kicken Bundesliga. Ein geradezu skandalöser Umstand, den man in dieser Eklatanz höchstens von den Männern kannte.

Das Ministerium für Kultus und Sport weiß nichts

Dass sich in ganz Baden-Württemberg (und anderswo) dramatisch viele Mädchen und Frauen vom Vereinsfußball abwenden, ist auch aufgrund der Tatsache erstaunlich, dass doch in personam Fritz Keller ein leibhaftiger Fan des Frauenfußballs an der Spitze des DFB steht und auf dem letztjährigen Verbandstag Maßnahmen zur Förderung von Frauen- und Mädchenfußball beschlossen wurden. Maßnahmen allerdings, die bislang höchstens im völlig Verborgenen durchgeführt wurden. Denn eine Anfrage unter anderem der grünen Landtagsabgeordneten Brigitte Lösch an das zuständige Ministerium für Kultus und Sport in Baden-Württemberg ergab – eigentlich gar nichts. Ministerin Eisenmann beschied, es lägen überhaupt keine Informationen vor. Nicht über die Anzahl der Teams, Trainerinnen, Spielerinnen, Vereine, nicht über die Entwicklung, nicht über Probleme, nicht über Etats, Fördergelder, Sponsoring-Summen, Schiedsrichterinnen, nichts, nichts, nichts. "Dem Kultusministerium liegen hierzu keine Informationen vor."

Nun könnte man meinen, die Ministerin hätte beizeiten können fragen lassen. Hätte die zuständigen Verbände, den WFV, BFV und SBFV fragen können, hätte um Zahlen bitten können, ganz normaler Vorgang. Hat sie aber nicht. Niemand hat sich Gedanken gemacht. Niemand hat überlegt. Das Ministerium ließ die Anfrage ein paar Wochen liegen, sendete sie ganze vier Tage vor Veröffentlichung seiner Stellungnahme an die Verbände in Württemberg, Baden und Südbaden – und hatte dementsprechend nichts zu sagen. 

Fußballspielende aller Geschlechter müssen sich damit arrangieren, dass weder in Verbänden noch in der Politik über Frauenfußball auch nur ansatzweise nachgedacht wird. Wohl und Wehe des Sports hängt also allein vom Engagement einzelner rühriger Personen wie zum Beispiel Ralf Zwanziger im nordbadischen Hoffenheim ab, der seit vielen Jahren beharrlich an einer besseren Zukunft für fußballspielende Frauen und Mädchen arbeitet. Freilich mit dem Vorteil des Mäzens im Hintergrund und einem tollen Team an seiner Seite.

In Stuttgart ruhen die Hoffnungen währenddessen auf Claus Vogt, dem sogenannten Fan-Präsidenten des VfB Stuttgart. Der hat zwar auch als Gute-Laune-Bär für die grauen Herren der Fußball-AG seines Vereins viel zu tun, muss KfW-Darlehensanträge rechtfertigen, die Wagenburgmentalität seines Sportdirektors ertragen und sich ganz aktuell auch noch mit einer vor seiner Zeit erfolgten und jetzt von wem auch immer an das Sportmagazin "Kicker" geleakten Affäre um die möglicherweise illegale Weitergabe von Mitgliederdaten herumschlagen – aber unter den zahllosen dunklen Gestalten im Fußballgeschäft scheint er doch eines der helleren Exemplare zu verkörpern. Und er hat die Förderung des Frauenfußballs bei seinem VfB schon im Rahmen seiner Kandidatur als Präsident zum wichtigen Thema gemacht. Sind wir also zuversichtlich, dass Vogt im Jubiläumsjahr des Frauenfußballs auch beim Verein von 1893 die Mädels zum Kicken bringt. Das müsste für den größten Sportverein Baden-Württembergs eigentlich schon drin sein.


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