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Team VfB National

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In der deutschen Fußball-Nationalmannschaft kicken zahlreiche Ex-Spieler des VfB Stuttgart. Für die uninspirierten Auftritte sind freilich andere verantwortlich. Vor allem ein anderer. Und auch der hat Stuttgarter Vergangenheit.

Es ist, das können Sie mir glauben, gar nicht mal so einfach, sich im 14-Tage-Rhythmus hier zuverlässig aufzuregen. Nicht, dass es nicht genug Gelegenheiten gäbe überall – doch wenn der Blick hauptsächlich gen Stuttgart Bad Cannstatt geht, in Richtung Mercedesstraße, in Richtung VfB Stuttgart, dann liegt die Empörungslatte für andere Bewohner der Welt des Sports einfach zu hoch. Da springt der VfB sozusagen allen anderen davon, floppt mühelos wie Mögenburg einst auch über die höchsten Hindernisse weg, kometengleich einen Schweif allzeit krawallbereiter Fans hinter sich her ziehend, die wie auf Knopfdruck sich ins Feuer werfen, weil nicht sein kann was nicht sein darf. Egal ob Barcelona oder Böckingen.

Um nun aber permanente Schnappatmung bei den linientreuen Anhängern des Vereins von 1893 zu vermeiden, und auch, um den Gremien beim VfB und den Stuttgarter Tagesmedien eine Verschnaufpause zu gönnen, die ja fast täglich Sondersitzungen und prachtvolle investigative Sonderseiten zum Thema aus dem Boden stampften, wollen wir uns heute einem anderen Fußball-Thema widmen, einem, das gar nicht mal so weit weg ist vom VfB.

Wir wollen quasi einen kleinen Schritt zur Seite machen und auf die deutsche Fußball-Nationalmannschaft der Herren schauen, die ja bekanntlich nicht nur von einem ehemaligen VfB-Menschen trainiert wird, sondern auch mehrheitlich aus ehemaligen Stuttgarter Spielern sich zusammensetzt, so dass man ohne Übertreibung laut und deutlich behaupten könnte, der VfB sei nichts anderes als das Farmteam der Nationalmannschaft. Das Farmteam National sozusagen. Denn auch wenn Joachim Löw den ewigen Sebastian Rudy mittlerweile nicht mehr nominiert, so sind doch immer noch mindestens Bernd Leno, Joshua Kimmich, Antonio Rüdiger, Thilo Kehrer, Serge Gnabry und Timo Werner regelmäßig mit am Start, und sicher habe ich noch den einen oder anderen vergessen. Ganz zu schweigen von den zahllosen VfB-Nationalspielern vergangener Zeiten, die erneut aufleben zu lassen dem aktuellen Leiter des Stuttgarter Nachwuchsleistungszentrums Thomas Krücken anvertraut wurde, einem durchaus dafür hochqualifizierten Mann, dem freilich die sakrosankten Besserwisser aus Vorstand und Direktorium die Leine allzu kurz und ihn dadurch von wirklich sinnvoller Arbeit überwiegend abhalten.

Jogi bocklos? 80 Millionen Bundestrainer rätseln

Nun kickt "Die Mannschaft" derzeit ähnlich lasch wie der VfB seit Jahren, und man fragt sich, warum. Manch einer ist dabei, dessen Qualitäten zwar überdurchschnittlich, aber eben nicht ausreichend sind für den Platz in einem Team, das eigentlich immer überall zumindest zum erweiterten Favoritenkreis gezählt wird. Warum spielt Jonathan Tah, und Kai Havertz spielt nicht? Ist Robin Gosens wirklich auch als Spieler so gut, wie er als Mensch zu sein scheint? Warum zur Hölle gibt es andererseits immer noch Leute, die die unzweifelhafte Qualität eines Antonio Rüdiger anzweifeln? Ist Matthias Ginter einfach nur blass, oder ist der krank? Fragen über Fragen, 80 Millionen deutsche Bundestrainer haben sicher weitere Trilliarden auf Lager. Aus meiner bescheidenen Warte heraus gehen allerdings alle mehr oder weniger knapp am Ziel vorbei. Denn wie sagt man so wunderhübsch hässlich: Mit dem vorhandenen Spielermaterial könnte ein ambitionierter Trainer allemal ein bockstarkes Team formen. Aber einen ambitionierten Trainer haben wir nicht.

Auf Jogi Löw habe ich ewig lange nichts kommen lassen. Mit ihm war der VfB Pokalsieger und stand im Mai 1998 im Finale des Europapokals. Und auch wenn manche meinten, der Trainer habe Djordjevic damals im Rasunda-Stadion zu Stockholm viel zu spät gebracht, halte ich das für Humbug. Genauso gut wie Chelsea hätten wir das Match gewinnen können, der kleine Zola machte halt leider den Unterschied. Jogi war "The Brain" hinter Klinsmann 2006, und Jogi ist Weltmeister. Ein Titel, den ihm keiner jemals nehmen kann, höggschden Respekt auf ewig.

Dass Jogi aber, bei allem Respekt, längst fertig hat, diese Erkenntnis zeichnete sich zwar im Verlauf der Jahre seit 2014 immer deutlicher ab. Aber es bedurfte eines Interviews mit Katrin Müller-Hohenstein nach dem Länderspiel gegen die Schweiz, um uns den Bundestrainer in all seiner Bocklosigkeit vor Augen zu führen. Da sah er nämlich nicht nur bocklos aus, der Jogi, sondern da sagte er auch bocklose Sachen. Sinngemäß "scheißegal, es zählt eh erst ab Oktober." Da musste sogar die sonst ja eher willfährig in den Tross eingebettete Frau Müller-Hohenstein geradezu erstaunt nachfragen, was denn nun aber die Erkenntnisse aus den beiden Nations-League-Spielen seien. Worauf der Bundestrainer gebetsmühlenhaft wiederholte, im Oktober ginge es dann richtig los.

Es ist immer schade, wenn eigentlich großartige Leute den richtigen Moment verpassen, um einen Schritt zurück zu machen. Beim Jogi fragt man sich, ob er das vielleicht selbst ganz genau weiß, dass er eigentlich schon vor Jahren hätte sollen zurücktreten. Dass es ihm aber egal ist. Genau so sieht er nämlich aus. Und genau so kicken seine Jungs. Und genau so tickt der DFB. Egal wie wir kicken. Egal wie wir rüberkommen. Egal was sonst so los ist. Man muss gerade froh sein, dass die EM nicht stattfinden konnte. Denn da hätte es hinter die Ohren gegeben. Genau wie es für den VfB Stuttgart in der Bundesliga hinter die Ohren geben wird, völlig überraschend natürlich, das konnte ja nun wirklich niemand ahnen, und außerdem kann ja wohl seine Heiligkeit Hitzlintat nichts für die Verletzungsmisere. Aber um uns nicht genau darüber heute schon wieder aufzuregen, haben wir ja einen Schritt zur Seite gemacht. Einen kleinen Schritt.


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