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Die Füßeküsser von Wiesloch

Die Füßeküsser von Wiesloch
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Junggesellenabschied – kennt man. Da muss meine Omi Glimbzsch aus Zittau beide Augen zudrücken, und gelegentlich darf mit Festnahmen gerechnet werden. Hömma, wenn Nazis feiern, muss selbst ein Amtsgericht nachsichtig sein.

Die Jungs hatten, im Suff, mit Heil Hitler und Sieg Heil eine Eisdiele in Wiesloch gestürmt und einem Typen eine Bierflasche auf dem Kopf zertrümmert. Frau und Kind des Mannes waren dabei. Der Mann war schon in die Knie gegangen – sie traten weiter auf ihn ein. Die kleine Tochter geht seitdem nicht mehr so gern aus dem Haus, schreibt die Zeitung. Klar, als die Jungs mit Stühlen die Gäste der Eisdiele angriffen, kam es auch zu Ausfällen der Zivilcourage. Fremdstämmige Leute (offenbar Griechen und Portugiesen) hörten mit dem Eisschlotzen auf und protestierten – aber Hallo! Dass da keiner krankenhausreif wurde, ist purer Zufall.

Sei's drum, nun wurde Recht gesprochen. Auch unter dem Eindruck, dass die Schläger landauf, landab bekannte und aktive Nazis waren, fiel die gerechte Strafe Ende Juli entsprechend aus: Bewährung. Zwischen zehn Monaten und zwei Jahren. Ach so, und 2.000 Euro Geldstrafe. Das Urteil sieht so aus, als küsse das Amtsgericht den Junggesellen noch die Füße. Doch halt – es kommt ein weiteres Verfahren: Drei weiteren Beteiligten steht der halbe Freispruch noch bevor. Einer der Beklagten arbeitet übrigens als Waffenmechaniker bei der Polizei. Ja dann. Wenn junge Leute mal Dampf ablassen, schreit unsereins ganz aufgeregt gleich "Skandal! Skandal!"

Als ob es nichts Wichtigeres gäbe. Nehmen wir das irgendwie kommende oder eventuell nicht kommende Verbot der Leiharbeit beim Massenfleischer, ein sozialdemokratischer Coup und fast so gut wie die neue grüne Gentechnik. Georg Restle, der vom öffentlich-rechtlichen WDR, macht in seinen Sendungen vieles gut, was die profitorientierten Medien und viele glattrasierte Beiträge sonstwo versäumen. Rechtzeitig vor meinem Urlaub nahm Restle den Heiligen Arbeitsminister und sein verlogenes – ja, kann man sagen – Gesetz zur Leiharbeit auseinander.

Zugabe? Die scharfe, massive Kritik an Justizministerin und Innenminister. Denn die sollen der Polizei den Segen für noch mehr Zugriffe auf vertrauliche Daten ermöglichen. Hongkong? Waschinkton? Moskau? Gewalt geschrien.


Peter Grohmann ist Kabarettist und Koordinator von Bürgerprojekten. Alle Wettern-Videos gibt es hier zum Nachgucken.


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