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Huhu, Andreas Baader!

Huhu, Andreas Baader!
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Früher, als die Arbeiterbewegung noch zu den Guten gehörte und ich zu ihrer Klasse, da war das oben oder unten bleiben noch eine klare Sache. Meine Omi Glimbzsch in Zittau schockierte die Mischpoke, die sich unterm Weihnachtsbaume versammelt hatte, gern mit einem kräftigen "Rot Front". Wir kauften die Gänse ausschließlich im Konsum, der ebenfalls der Arbeiterbewegung gehörte. Dazumal, Anfang der Sechzigerjahre, kannte ich Willy Brandt und Gudrun Ensslin noch persönlich. Ich saß als Maschinensetzer an der Linotype der Allgemeinen Zeitung für Württemberg – und natürlich, auch die gehörte der Arbeiterbewegung. Später wurde ich ein Linker.

Es war Gründerzeit. Gudrun Ensslin etwa gründete mit Bernward Vesper das Studio neue Literatur in Cannstatt, und ich besorgte den Satz auf der Linotype für das erste von zwei Büchern, die der Kleinverlag verlegte: Gegen den Tod – Stimmen deutscher Schriftsteller gegen die Atombombe.

Vielleicht wäre ich ja auch Terrorist geworden – weiß man's? Natürlich eher einer, der Gewalt gegen Sachen halbwegs ok findet, aber keiner Fliege was zuleide tun kann. In jenen Jahren überlegten wir, stellvertretend für die bereits erwähnte Arbeiterbewegung, wie die Welt schneller zur notwendigen Revolution kommt. Gudrun Ensslin arbeitete noch für Willy Brandt – die Zeiten waren eben so, dass man sich sein Geschäft nicht aussuchen konnte. Ich jedenfalls bin der Schwarzen Kunst stets treu geblieben, und ihre Jünger waren der Arbeiterbewegung immer eine Nasenlänge voraus. Genützt hat es nichts.

Meine letzte Begegnung mit Gudrun Ensslin hatte ich, als sie und ihr Liebster nur theoretische Terroristen waren. Ich spazierte beim Feinkost-Böhm an die Kasse, als ich die beiden erkannte – Andreas Baader und Gudrun an der Kasse, beide mit dicker, dunkler Brille. Ich war irgendwie erfreut, trotz der politischen Differenzen, und winkte ihnen zu. Sie hatten ja beide diese Arroganz gegenüber Leuten ohne echten Volksschulabschluss. Was blieb mir also anderes übrig, als ihnen ein kräftiges "Huhu, Andreas, huhu, Gudrun!" zuzurufen? Ich war ziemlich konsterniert, als die zwei ihre internationalen Spezialitäten stehen und liegen ließen und offenbar direkt in den Untergrund gingen.

Das Völkchen der Linken war überschaubar. Es hatte ab 1964 im Club Voltaire in der Stuttgarter Altstadt, Leonhardstraße 8, Kneipe, Kultur und Klassenkampf im Keller. Vom Polizeipräsidenten über die illegalen Kommunisten zu Reinhard May oder Joschka Fischer diskutierte man hier schon die ganz großen Entwürfe und machte sich Gedanken über Gott und die Welt. Wir halfen Deserteuren der US Army nach Frankreich, ermunterten die DDR-Opposition, es den Arbeitern des Posener Aufstands 1956 gleichzutun und warteten auf den Prager Frühling. Vorher schon hatte erst Jürgen Habermas und dann Gustav Heinemann proklamiert: Unruhe ist die erste Bürgerpflicht. Sehr einleuchtend, heute erst recht.

Ich betrieb nebenher eine winzige Druckerei in der Waschküche eines Wohnhauses und nannte sie, um die fehlende bürgerliche Kundschaft zu locken, "Druckhaus Wangen", als mir ein viel versprechender Auftrag ohne nähere Angaben avisiert wurde. Es klingelte, und der Mann mit der dunklen Sonnenbrille trat ein. Als ich öffnete, ging er wort- und grußlos an mir vorüber ins Wohnzimmer, schaltete das Fernsehgerät und das Radio ein, zog die Vorhänge zu, und scheuchte Frau und Kinder, die vielleicht zwei, drei Jahre alt waren, mit einer Handbewegung aus der guten Stube, den Pst-Finger am Mund.

Das war für uns alle ungewöhnlich, interessant und versprach einen spannenden Abend. Es war die Zeit, als der Film "Für eine Handvoll Dollar" mit Clint Eastwood lief. Baader ging ans Fenster, bewegte den Vorhang unmerklich und sah auf die Straße – offenbar nix, denn er griff sich einen Stuhl, bedeutet mir, mich auch zu setzen – Fernsehen und Radio liefen gleichzeitig und nickte mir dann zu: "Wir müssen reden, Genosse!"

Ich nickte ihm auch wohlwollend zu, er entspannte sich – vielleicht, weil er nicht wusste, dass es auf der anderen Hausseite auch einen Eingang gab? "Wir müssen reden!" Das mit dem "Genosse" nahm ich erst einmal hin – ich wüsste nicht, dachte ich im Stillen, dass dieser Großkotz irgendwo organisiert war. Er saß breitbeinig da, öffnete die Jacke, und ich sah eine Knarre im Holster, die mich als Pazifisten aber nicht interessierte. Er öffnet die Jacke noch ein wenig mehr, dreht sich noch etwas mehr mir zu – aber mir war immer noch nicht klar, was er mir damit sagen wollte. "Wir brauchen Geld, Genosse, viel Geld!" Mir ging es nicht anders. Er stieß mir den Zeigefinger an die Brust: "Und Du druckst es!"

Meine Druckmaschine war ein oller Heidelberger Tiegel, die Farbwalzen zerfranst, die Lager humpelten, die Passgenauigkeit war längst dahin, ja, ich hatte Mühe, eine gescheite Hochzeitskarte darauf zu drucken. Aber Geld? Das ging überhaupt nicht, es war praktisch wie theoretisch die reine Illusion, aber interessant in der Erörterung. Es ist halt immer noch der Traum aller Menschen, das eigene Geld zu drucken. Baader begriff nichts, weder theoretisch noch praktisch. Er könne das fehlende Spezialpapier besorgen, Farben, alles. Aber er wusste nicht einmal, was ein Klischee war, mit zehn Farbsätzen. Er wusste ja auch nicht, wie Revolution ging – oder eben nicht ging. Auf diese Weise blieb der Terror von mir verschont.

 

Peter Grohmann ist Kabarettist und Gründer des Bürgerprojekts Die Anstifter.


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