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Hucke-Pack

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"Alle wolln dasselbe – Nazis in die Elbe", riefen biertrunken die gutgläubigen Sachsen, als sie sich im März vor zwei Jahren und dennoch friedlich versammelten, um den brauen Spuk zu vertreiben. Der Nazis als solcher verträgt aber viel mehr Bier als unsereins und ist, wer wüsste es nicht, alles andere als ein Spuk. Nicht selten ein intellektuelles Muskelpaket und durchaus in der Lage, die Antifa dorthin zu treiben, wo sie ihn gern sehen würde: in die Elbe.

Dem Nazi als solchem ist schlecht beizukommen, auch bei uns im Lande. So richtig verhauen kann man ihn nicht – es könnt ein Spitzel sein, abgesehen davon, dass wir Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung strikt ablehnen (außer im Verteidigungsfall oder wenn es um lebenswichtige Rohstoffe geht). Baden-Württemberg hat ja noch keine eigene Armee – wir müssen also mit der sozialdemokratisch gelenkten Landespolizeidirektion vorliebnehmen, gewissermaßen den Kollegen der auf der Heilbronner Theresienwiese ermordeten Polizistin Michèle Kiesewetter.

Nun ist sogar durchgesickert, dass der braune Sumpf, wie er liebevoll genannt wird, offenkundig ausgedehnter, tiefer und gefährlicher ist als die Aktenlage. Meine Lieblingstageszeitung erschrickt und legt mir die amtliche Zahl von 129 neben das Müsli. 129 was? 129 wo? In Stuttgart-Kaltental? Im Ländle? Nein? Bundesweit. Ach so.

Und wo sind die anderen Tausendjährigen abgeblieben?

Die Liste mit den 129 Namen ist geheim. Das wird dafür sorgen, dass sie bald bekannt wird und etliche Apologeten türmen oder in der Elbe untertauchen oder eben zurück müssen – in den heimischen Stall des Verfassungsschutzes oder in andere Dienste.

Die Hoffnungen, dass aufgeräumt wird mit derlei Beziehungen, richten sich naturgemäß an die seinerzeit von den Nazis Verfolgten – etwa Sozialdemokraten, die neben Kretschmann sitzen, seit zwei Jahren. Ob Sant'Anna di Stazzema oder Theresienwiese (ja, auch die in München) – es wäre schön, würde man die Arbeit der Aufklärung nicht Friedrich dem Großen im ollen Berlin oder der neuen Gauck-Behörde überlassen.

Warte, warte noch ein Weilchen, dann kommt Erler... Foto: Martin Storz

Ich muss meiner Omi Glimbzsch in Zittau widersprechen – aber ihr immerwährender Spruch "Abwarten und Tee trinken" ging mir damals schon auf den Keks. Ich wollte Onko, zu DDR-Zeiten. Heut heißt mein Onko Hochland, nicht von Kindern geerntet, nicht mit Pestiziden verseucht, ganz geruhsam und fair getrunken und kommt aus dem Gablenberger Weltladen.

42 neue Gemeinschaftsschulen am Start – nicht schlecht, Herr Specht, fast 100 weitere werden folgen. Die schwarze Zwergschule wird nicht vermisst. Dass die Regierung so tut, als gäbe es die UN-Konvention für Menschen mit Behinderungen nicht, ist ein Handicap. Da sind die Schule und der Kindergarten in Bad Boll weiter. Und dass man die Leut samt Rollstuhl im Bahnhof 21 huckepack nehmen soll, wenn's mal brennt im Tunnel, ist wohl ein Treppenwitz, noch von Mappus und Co. ausgedacht, um Grün-Rot beim nächsten Mal ein Bein zu stellen.

Einiges muss auf den Tisch jetzt. Die Initiativen der Landesregierung für eine bessere, frühzeitigere und transparentere Öffentlichkeitsbeteiligung im Planungsrecht und zur Einrichtung einer Enquetekommission für eine moderne repräsentative Demokratie – da rappelt's noch nicht in der Kiste, genauso wie bei der Einrichtung eines Forschungsschwerpunkts zur Bürgerbeteiligung und Akzeptanz öffentlicher Großprojekte: Warte, warte nur ein Weilchen, bald kommt Erler auch zu dir, mit dem kleinen Hackebeilchen ... Peter Grohmann.Die von Bertelsmann lancierten (kommunalen) Bürgerhaushalte etwa, kein Kind der Landesregierung also, führen in der Stadt nahe dem Neckar zu einem Hauen und Stechen unterm Volke und unter der Gürtellinie – da ist sich jede Initiative selbst die nächste.

So oder so – das Warten auf bessere Zeiten im grün-roten Paradies darf nicht zu lange dauern und muss sich lohnen, wenigsten im Kopf. Denn lange vor dem Paradies drohen den Regierenden die Wahlen. Wer will sich da schon ohrfeigen und Federn lassen? Es muss ein Knopf ans Hemd.

 

Peter Grohmann ist ist Kabarettist und Gründer des Bürgerprojekts Die Anstifter.


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