Josef-Otto Freudenreich war zarte 64, als er von einem renommierten Mediendienst ein Kompliment an den Kopf geworfen bekam, das er mutmaßlich sofort mit der Einnahme mehrerer Aspirin behandeln musste. Er sei der "große alte Mann der Alternativpresse" hieß es da bei "turi2", es war ein Satz, in dem sich zwei Attribute einen erbitterten Kampf um die Vorherrschaft lieferten: das wärmende "groß" und das vergleichsweise eisige "alt".
Es ist nicht überliefert, ob die Deutsche Rentenversicherung sich jemals um Kontaktaufnahme mit dem renitent jungen Hüpfer Freudenreich bemüht hat; erfolgreich kann sie dabei jedenfalls nicht gewesen sein. In einer Lebensphase, in der andere die Plackerei langsam hinter sich lassen, wurde Freudenreich zum Start-upper, zumindest wenn man der Definition des Silicon-Valley-Unternehmers Eric Ries folgt: "Ein Start-up ist eine menschliche Institution, die ein neues Produkt oder eine neue Dienstleistung in einem Umfeld extremer Ungewissheit entwickelt."
Mit extremer Ungewissheit musste klarkommen, wer sich Anfang der 2010er-Jahre in der gesellschaftlichen Hitze des Stuttgarter Kessels an der Gründung einer anzeigenfreien Wochenzeitung versuchte. Anzeigenfreiheit und Einnahmeverzicht, das ist ein Konzept, das nicht nur im Silicon Valley etwas sonderbar anmutet – auch in Baden-Württemberg behindert es die Eigenkapitalbildung eines Start-ups erheblich. Bloß auf die Hege und Pflege von 1.500 Soli-Unterstützern zu setzen: einen Börsengang macht das praktisch unmöglich. Unter solchen Umständen ist das pure Überleben das höchste aller wirtschaftlichen Ziele.
In Stuttgart machten alle plötzlich krasse Sachen
Kontext gibt es nun seit 14 Jahren, für eine Alternativzeitung ist das nah an der Ewigkeit. Oder in Freudenreich-Zeitrechnung: sieben Mal länger als die "Karlsruher Rundschau", die er Anfang der 1980er-Jahre höchst vorübergehend ins Leben gerufen hatte. Aus dem Experiment ist eine Erfolgsgeschichte geworden, die bundesweit Beachtung findet.




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Ein fundiert arbeitender und begnadeter Rechercheur und Schreiber darf und soll gewürdigt werden: gerade auch wenn er "leicht betagt" noch als junger Hüpfer durchgeht. Aber die Altersmilde, die der SZ Laudator anmahnt, sollte gerade gegenüber anderen Berufskollegen doch Einzug finden. Es ist nicht…
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