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Weilheim und Cellcentric

Die Zeit läuft

Weilheim und Cellcentric: Die Zeit läuft
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Ob am Rande von Weilheim/Teck eine Brennstoffzellen-Fabrik gebaut wird, steht derzeit auf der Kippe. Zwar haben die Weilheimer:innen deutlich dafür gestimmt, doch nun fehlen der Stadt noch Grundstücke. Eine Handvoll Bodenbesitzer:innen wollen nicht verkaufen. In der Stadt wird das kontrovers diskutiert, zumal es ein Ultimatum gibt.

Fast 1.000 gut bezahlte Arbeitsplätze, modernstes klimafreundliches Gebäude, eine neue Straße, Gelände für einheimische Firmen – der Versprechen, was passiert, wenn das Gelände Rosenlohe bebaut wird, sind viele (Kontext berichtete). Und so fand der Plan von Cellcentric, einer Kooperation von Daimler Truck und Volvo Truck, in einem 30 Hektar großen neuen Gewerbegebiet namens Rosenloh ab kommendem Jahr 15 Hektar zu bebauen, beim Bürgerentscheid im vergangenen April mit 70 Prozent große Zustimmung. Zwar gab es eine Gegeninitiative, doch ihre Argumente gegen Bodenversiegelung, für Klimaschutz und Ackerland überzeugte nur wenige. Streit gab es danach nicht. Stets hatten die beiden Lager betont, respektvoll miteinander umgehen zu wollen. Das wurde auch eingehalten.

Doch mit dem Bürgerentscheid war noch nichts entschieden. Denn die Stadt musste noch mit insgesamt 224 Grundstücksbesitzern verhandeln. Das hat sie getan und mittlerweile 88 Prozent der Fläche beisammen. Das ist viel für die kurze Zeit, aber es reicht nicht. Acht Eigentümer stellen sich offenbar quer und die sitzen laut Mitteilung der Stadt auch noch auf zentralen Flächen. Ohne diese insgesamt 3,7 verstreut liegenden Hektar kann nicht gebaut werden. Wer die acht sind, ist in Weilheim nur bruchstückhaft bekannt. Übereinstimmend heißt es von mehreren Seiten, es handle sich vor allem um örtliche Unternehmen.

Debatte am Unternehmerstammtisch

Donnerstagabend treffen sich Kleinunternehmer im Dolcetto, einer kleinen Kneipe in Weilheim, zum Feierabendbier. Männer gestandenen Alters sitzen am Tresen, zwei, drei in der zweiten Reihe bleiben wortkarg, hören zu. Es geht bunt durchs tägliche Leben. Man schimpft auf die Bürokratie ("Die spinnen doch in diesem Land"), wundert sich über einen Weilheimer, der an die polnische Grenze umziehen will, weil dort alles billiger ist ("Aber sonst gibt's da nix"), und die junge Bedienung, erklärt, sie werde nach Spanien auswandern, "weil das hier einfach nicht mehr geht". Die Männer schauen besorgt. "Wann willst du denn gehen?" "Ich muss erst noch Geld beiseitelegen." Die Männer nicken verständnisvoll und ein wenig erleichtert.

Und natürlich geht es auch ums Rosenloh. "Sieht aus, als geht's in die Hose", provoziert Siegfried Lehmann die Runde. Der 73-jährige Ex-Gemeinderat, Weilheimer Nachtwächter und passionierter Fahrradfahrer, ist der einzige Nicht-Unternehmer. In der Runde wird zweifelnd mit dem Kopf geschüttelt. Einer zuckt mit den Schultern. Bernd Bauer sitzt für die Freie Wählervereinigung im Gemeinderat und ist tatsächlich Bauer. Kartoffeln sind sein Ding und also heißt er hier Kartoffelbaron. Er findet: "Wenn das Gewerbegebiet nicht kommt – auch nicht schlimm." Es sei doch Sache der Eigentümer, ob sie verkaufen oder nicht. Da habe man sich nicht einzumischen. Außerdem: "Hier ist so viel bebaut, schauen Sie sich doch mal um." Und Acker sei nun mal Acker. Hat er selbst Boden auf dem besagten Gelände? Bauer verneint. "Aber ich hatte da was gepachtet. Tja."

Neben ihm sitzt Bernd Müller, 64, seit zwei Jahren Ruheständler, weil er sein Baugeschäft gut verkaufen konnte. Er wundert sich über die Entwicklung: "Es haben doch 70 Prozent dafür gestimmt. Ich hatte geglaubt, das klappt." - "Ich hab' nie verstanden, wie die glauben konnten, 200 Eigentümer unter einen Hut zu bekommen", wirft sein Nebensitzer ein. Auch er Unternehmer, seinen Namen will er nicht nennen. Er ist klar für das Gewerbegebiet und die Ansiedlung von Cellcentric. "Weil ich immer für den Fortschritt bin." Müller ist ebenfalls der Ansicht, dass Cellcentric gut wäre. "Ich denke an unsere Kinder. Die wollen doch auch gute Arbeitsplätze haben." - "Vielleicht will ein Unternehmer deswegen nicht verkaufen – der hat Angst vor steigendem Lohnniveau. Was glaubt ihr, was Cellcentric zahlt!"

"Warum müssen die unbedingt hier bauen? Sollen sie doch auf ein altes Fabrikgelände gehen", widerspricht Bauer. "Es wird immer mehr Boden versiegelt." Siegfried Lehmann schaltet sich ein: "Ich verstehe, dass du nicht begeistert bist, schließlich bist du ja Bauer, du brauchst Boden, um zu arbeiten." Alle nicken. Dem Unternehmer, der nicht genannt werden will, brennt ein weiteres Thema unter den Nägeln: "Wenn die Fabrik aber kommt, dann müssen die was mit der Autobahn machen. Das ist hier am Wochenende unerträglich." Das müsse man nämlich mal schreiben: "Wir Weilheimer sind das leidgeprüfteste Dorf! Von Freitag bis Sonntag kommen Sie schier nicht über die Straße! Das sind die Leute, die in den Süden wollen, die Südschiene funktioniert aber nicht, die A8 ist dauernd dicht und dann fahren die hier durch. Da sehen Sie kein Auto mit Esslinger Kennzeichen!" Er ereifert sich. Wenn Cellcentric käme, würde das noch schlimmer. "Aber die wollen doch noch eine Straße bauen, wenn Cellcentric kommt", wendet Müller ein. "Das ist doch Quatsch! Die bringt doch gar nichts, so wie die geplant ist!" Und dieser Zug, der zwei Minuten oder was schneller in Ulm sein soll, helfe da auch nicht.

Rätselraten über Nicht-Verkäufer

Zurück zu denen, die nicht verkaufen. Können die eigentlich enteignet werden, wird gefragt. "Nein!", "Das wäre ja noch schöner!", "Das ist doch keine Autobahn." Lehmann sinniert: "Wer da nicht verkauft, dem geht's nicht um die Kohle." Zustimmendes Nicken. Denn pokern ginge nicht, jede:r Verkäufer:in bekommt denselben Quadratmeterpreis von der Stadt. Ein Problem könnte sein, dass diejenigen, die von der Stadt eine Ausgleichsfläche bekommen, die dann auch bebauen müssen, glaubt der Ex-Bauunternehmer Müller. "Das gefällt manchen nicht. Die wollen Grundstücke für die Kinder oder Enkel aufheben." Wollen die denn in Weilheim leben? Müller lächelt. "Das weiß man natürlich nicht. Aber das ist hier so." Doch wer sind denn nun diejenigen, die nicht verkaufen wollen? Tja, geredet würde viel. Ein Problem soll es mit einer Erbengemeinschaft geben mit mehr als zehn Leuten, zwei davon im Ausland, und die seien noch nicht erreicht worden. Ansonsten? Das Busunternehmen Fischer vielleicht.

Anruf bei Fischer, einem Familienunternehmen, das seit 1937 erst Post und dann auch Menschen transportiert und mittlerweile in dritter Generation von den Geschwistern Karl-Hans und Sybille Fischer geführt wird. Die Chefin bestätigt: "Wir haben noch nicht unterschrieben." Aber sie seien keine Verweigerer. "Wir wollen verkaufen und verhandeln noch." Offenbar geht es noch um das Grundstück, das das Unternehmen dann wiederum aus dem Gewerbegebiet kaufen will. "Das ist der normale Vorgang", sagt Sybille Fischer. "Wer an die Stadt verkauft, kann dann auch wieder etwas kaufen." Denn im Prinzip wolle man erweitern, "allerdings ist das in der momentanen wirtschaftlichen Lage schwierig zu entscheiden". Auf jeden Fall, sagt sie, "gehen wir davon aus, dass das alles mit der Stadt klappt".

Bei einem anderen in Weilheim immer wieder genannten Namen sieht das anders aus. Anruf bei der Trampolinfirma Eurotramp Kurt Hack. Geschäftsführer Johannes Maier ist in Eile und hat hörbar keine Lust auf das Gespräch: "Uns gehört keines der Grundstücke. Wir haben damit nichts zu tun." Gespräch beendet.

Cellcentric gibt noch einen Monat Zeit

Mit wem auch immer die Stadt noch verhandelt – die Zeit läuft. Ende Oktober will Cellcentric Klarheit haben, sagt Firmensprecher Joachim Ladras. "Sonst müssen wir intensiver an Plan B arbeiten." Wo Plan B sein könnte, will er nicht verraten, "Weilheim ist unsere Nummer Eins". Eigentlich die Nummer zwei, denn ursprünglich wollte die Firma nach Dettingen, doch dort lehnten die Bürger:innen das Projekt mit 62 Prozent ab. Jedenfalls will Cellcentric in der Nähe seines Noch-Standortes in Nabern bleiben, auch weil die dort aktuell 400 Beschäftigten mit umziehen sollen. Den Druck mit dem Termin Ende Oktober müsse Cellcentric jetzt machen, sagt Ladras. "Wir haben zeitliche Vorgaben gegenüber unseren Kunden." Konkrete Aufträge gibt es zwar noch nicht, da die geeignete Produktionsstätte für die Brennstoffzellen fehlt, aber: "Die Konkurrenz schläft nicht."

Im Dolcetto sinniert Siegfried Lehmann über seinem Weißbier weiter über die Nicht-Verkäufer: "Jedenfalls: Wenn der, der mitten drin sitzt, nicht will, ist's rum." Der Kartoffelbaron: "Davon geht die Welt auch nicht unter." "Dann bleiben wir Provinz." Die Männer prosten.


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3 Kommentare verfügbar

  • Jörg Rupp
    am 02.10.2022
    Antworten
    Es gibt in diesem Land viele Regionen, die als strukturschwach definiert werden. Regionen, in denen es wenig Arbeit gibt, viel stillgelegte Flächen. Wieso muss eine solche Fabrik mitten hinein in ein dicht besiedeltes Land?
    Eine Fabrik in Mecklenburg oder Sachsen oder anderswo, dazu wird…
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