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Katholikentag in Stuttgart

Der Papst soll nach Moskau fliegen

Katholikentag in Stuttgart: Der Papst soll nach Moskau fliegen
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Auf dem Katholikentag treffen sich Pazifist:innen und Vertreter der Militärseelsorge. Die einen sehen keinen Anlass, von ihrer Grundhaltung abzurücken, die anderen sehen sich den Soldatinnen und Soldaten verpflichtet. Ein schwieriges Verhältnis angesichts des Ukrainekriegs.

Waffenlieferungen an die Ukraine? "Ich sehe im Moment angesichts der Macht des Faktischen keine andere Chance", sagt Christine Hoffmann. Die Generalsekretärin von Pax Christi verweist darauf, dass es unter den Mitgliedern der Internationalen Katholischen Friedensbewegung ganz unterschiedliche Meinungen gebe. Die einen seien dafür, andere würden sich dagegen aussprechen. Für Hoffmann ist momentan "das Wichtigste, dass der Krieg schnellstmöglich durch Verhandlungen beendet wird".

Nach Hoffmanns Ansicht ist die grundsätzliche Frage an die Gesellschaft noch drängender geworden. "Warum wühlen uns die Kriege in Äthiopien, im Jemen und in Syrien nicht genauso auf?", fragt sie kritisch nach und knüpft an den Aufruf des Papstes an die Gemeinden in aller Welt an. Im Jahr 2017 rief der Pontifex dazu auf, sich mit der Frage der Gewaltfreiheit als Voraussetzung für den Frieden auseinanderzusetzen.

Die Generalsekretärin verweist darauf, dass sich Pax Christi seit Jahrzehnen in Kampagnen gegen Rüstungsexporte und Atomwaffen einsetzt. Von der Bundesregierung wird gefordert, dem Atomwaffenverbotsvertrag beizutreten. Zwar bezeichnet sie es als "echte Herausforderung", gerade jetzt mit der Aktion "aktiv-gewaltfrei" zu starten. Aber im Moment sei es extrem wichtig, bekannt zu machen, wie man vorbeugend Gewalt minimieren könne.

Hoffmann wehrt sich vehement gegen die Behauptung, dass der Pazifismus gescheitert sei. Sie betont auch, dass Pax Christi die Bundeswehr nicht abschaffen wolle. Ihrer Ansicht nach müssten international andere Mechanismen geschaffen, die Vereinten Nationen gestärkt und Sicherheit neu gedacht werden. Sie glaubt, dass "Abschreckung und die gesamte nukleare Strategie die Situation im Moment so gefährlich macht". So weit wie die Deutsche Friedensgesellschaft dfg/vk will sie aber nicht gehen. Die fordert in einem offenen Brief, den auf Freitag geplanten Militärgottesdienst abzusagen und keine Bundeswehr-Werbung auf dem Katholikentag zuzulassen.

Wer Bedenken hat, werde ausgegrenzt

Hoffmann fordert jedoch einen Stopp des Waffenhandels. Die Hilfe zur Selbstverteidigung in der Ukraine sei etwas völlig anderes als Waffenlieferungen in andere Gebiete. "Kriegswaffen und Munition zu liefern, muss die Ausnahme bleiben", betont sie und warnt davor, dass die Waffenindustrie dies angesichts der aktuellen Debatte zur Regel machen wolle.

Besonders krass findet Hoffmann die Militarisierung der öffentlichen Debatte. "Die Medien tun so, als ob es kein friedensethisches Dilemma gäbe", sagt sie. Vielmehr gehe es nur darum, dass schnellstmöglich Waffen geliefert werden. Wer Bedenken habe, werde ausgegrenzt. Sie ist besonders enttäuscht von den öffentlich-rechtlichen Sendern und spricht von einem Versagen der Medien. Für Hoffmann geht die Debatte "komplett in die falsche Richtung". Der Feind sei des Teufels und nur der begehe Grausamkeiten. Das schüre den Konflikt immer weiter.

Froh ist die Generalsekretärin darüber, dass die Friedensbewegung einen breiten Raum beim Katholikentag bekommen hat. Dieser hat sich in den vergangenen zwölf Jahren friedensethischen Gruppen geöffnet. Auch der Vertreter der Friedensbewegung in der Evangelischen Landeskirche Baden, Stefan Maaß, ist beim Katholikentag dabei. Er bedauert, dass "im Moment keine sachliche Diskussion in der öffentlichen Debatte zu erkennen ist". Wenn "Spiegel Online"-Kolumnist Sascha Lobo von "Lumpenpazifismus" spricht, findet er das furchtbar. Auch Maaß kann im Moment nicht mit einer perfekten Lösung aufwarten. "Aber die hat im Moment niemand", fügt er hinzu.

Für brandgefährlich hält er, dass es immer mehr darum gehe, "Russland in die Knie zu zwingen". Auch die Gleichsetzung von Putin und Hitler sei problematisch. Auf persönlicher Ebene findet er es wichtig, sich für die Flüchtenden und Geflüchteten zu engagieren. Auf der Ebene der Politik sollte man genau anschauen, wie im Vorfeld des Krieges verhandelt wurde und wie jetzt erreicht werden könne, die Gewalt zu stoppen.

Auch Maaß sagt, dass die Politik neue Wege entwickeln müsse. "Was Neues gewaltfrei machen", schlägt er vor und bringt verrückte Ideen ins Spiel, etwa dass der Papst nach Moskau fliegen solle oder ein prominenter Politiker und nicht mehr zurückgehen solle, bevor es einen Waffenstillstand gebe. Er weiß, dass dies Träumereien sind, aber ihm geht es darum, mit einem Überraschungsmoment die Eskalation zu stoppen. Er sagt, dass er sehr gut das Anliegen der Ukraine verstehe, Waffen zu erhalten. Persönlich hält er Waffenlieferungen für problematisch.

Die Militärseelsorge wird vom Staat getragen

Er bedauert auch, dass sich die evangelische Kirche öffentlich nicht entschiedener für den Vorrang der Gewaltfreiheit einsetzt. Das sei auch im Vorfeld des Krieges nicht geschehen. Er fordert grundsätzlich mehr präventive Maßnahmen zur Kriegsvermeidung. Dazu sollten schon lange die UN reformiert werden, sonst werde sie funktionsunfähig. Auf der einen Seite werde Friede und Gerechtigkeit propagiert, auf der anderen Seite verfolge jedes Land seine eigenen Interessen. Dadurch werde das gesamte Gebilde unglaubwürdig.

Nach der Besetzung der Krim hätte sich Maaß schärfere Sanktionen gewünscht. Das Vorfeld des Ukrainekrieges sei zu stark vernachlässigt worden, sagt er. Er gibt zu bedenken, dass jedes Land zwar das Recht habe, sich für ein Bündnis zu entscheiden, dieses aber das Ansinnen ablehnen könne, wenn dieser Schritt Gefahren heraufbeschwöre.

Maaß kritisiert, dass der Friedensbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) dieses Amt nebenher ausfüllen müsse, wogegen die Militärseelsorge vom Staat getragen werde und damit ganz anders ausgestattet sei. Er hält zwar die Militärseelsorge für wichtig, aber plädiert für mehr Distanz zum Staat. Er erinnert daran, dass im Rahmen des friedensethischen Prozesses in der badischen evangelischen Landeskirche der Vorschlag gemacht wurde, die Militär- in Soldatenseelsorge umzubenennen und diese bei der Kirche anzusiedeln.

Der in Ulm angesiedelte katholische Militärdekan Alexander Prosche sieht dagegen keinerlei Abhängigkeit der Militärseelsorge von der Bundeswehr. "Wir sind nicht in die Befehlsstruktur integriert und sollen nur für die Soldaten da sein", erläutert er. Diese kämen mit ihren persönlichen Sorgen und Nöten zu den Seelsorgern, besonders auch bei Auslandseinsätzen. Da geht es oft auch um Familienangelegenheiten.

Als große Bedrohung werde der Ukrainekrieg bei den Soldaten nach der Beobachtung Prosches im Moment noch nicht wahrgenommen, nur vereinzelt sehe er besorgte Reaktionen. Er wünscht sich mehr Kommunikation mit den Friedensgruppen über die konkrete Situation und weniger Grundsatzdebatten. Er ist auf dem Stand der Militärseelsorge in Stuttgart dabei, um "über die Arbeit der Militärseelsorge zu informieren und Vorurteile abzubauen".

Friedensbewegung auf dem Katholikentag

Vom Stuttgarter Katholikentag soll vor dem Hintergrund des Ukrainekrieges ein großes Friedenszeichen ausgehen, wie Gebhard Fürst, der Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart, im Vorfeld betonte. Auf eine große Friedenskundgebung am Freitag um 13 Uhr im Oberen Schlossgarten weist die Generalsekretärin von Pax Christi, Christine Hoffmann, hin.   

So diskutieren beispielsweise Bischof Dr. Bohdan Dzyurakh, der Apostolische Exarch der katholischen Ukrainer des byzantinischen Ritus in Deutschland und Skandinavien, die Europaabgeordnete Rebecca Harms (Grüne) und Andrij Waskowycz, Präsident der Caritas Ukraine, über die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs auf die Sicherheit in Europa. Diese findet am Freitag, 27. Mai, um 11 Uhr im Haus der Wirtschaft (Willi-Bleicher-Str. 19) statt.  

Wie man Frieden konkret macht, damit setzen sich Jugendliche in einer Werkstatt auseinander, die der Friedensbeauftragte der Evangelischen Landeskirche Baden, Stefan Maaß, am Donnerstag, 26. Mai, um 16.30 Uhr in der Falkertschule (Falkertstr. 27) anbietet.

Eine weitere Diskussionsrunde befasst sich am Samstag, 28. Mai, um 14 Uhr im Haus der Wirtschaft (Willi-Bleicher-Str. 19) mit dem Thema "Verantwortung teilen – Sicherheit neu denken!". Hier trifft christliche Friedensethik auf internationale Politik mit Kerstin Deibert von "Ohne Rüstung Leben", dem Philosophen und Sozialethiker Klaus Ebeling, dem württembergischen Landesbischof Dr. h.c. Frank Otfried July, und dem Friedensbeauftragten Stefan Maaß.  

Eine weitere Veranstaltung ist am Samstag, 28. Mai, von 11 bis 12.30 Uhr, in der Stuttgarter Liederhalle unter dem Titel: "Die Ukraine – Europas klaffende Wunde. Putins Angriffskrieg und die Folgen". 

Weitere Informationen: www.katholikentag.de


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1 Kommentar verfügbar

  • Reinhard Muth
    am 26.05.2022
    Antworten
    St. Martin als Vorbild für Katholiken?
    Beim Katholikentag in Stuttgart wird auch ein großer symbolischer Mantel als Zeichen für den Patron des Bistums, den heiligen Martin ausgestellt. Martin ist als Kriegsdienstverweigerer von der Kirche geehrt worden. Er teilte den Mantel, der Eigentum des…
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