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Sexismus und Oberbürgermeister Nopper

Interieur eines Familienfestes

Sexismus und Oberbürgermeister Nopper: Interieur eines Familienfestes
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 Fotos: Jens Volle 

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Datum:

Seit Jahren mahnt die ökosoziale Mehrheit im Stuttgarter Gemeinderat rassistische und sexistische Darstellungen auf Buden des Cannstatter Volksfests an. Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) juckt das nicht, im Gegenteil. Er beschimpft sein höchstes Gremium.

Stuttgarts Oberbürgermeister Frank Nopper ist für sein Lächeln bekannt. Verschmitzt grinst der CDU-Mann sich durch die Welt, im realen Leben, auf Pressefotos. Auch zu Beginn der Gemeinderatssitzung am vergangenen Donnerstag zeigt er sich zuversichtlich, dass der Zorn des Rats dank Sitzungs-Regularien an ihm vorbeiziehen möge, aber eigentlich wissen an diesem Tag alle Anwesenden, dass tiefschwarze Gewitterwolken im Anmarsch sind. Selbst der Saaldiener an der Tür verknüpft den Blick in die Taschen mit einem Lächeln und dem Satz: "Wenn es geht, bitte keine Gegenstände werfen."

Was war passiert?

Seit Jahren schrauben progressive Kräfte im Stuttgarter Gemeinderat am Cannstatter Volksfest herum. Dem Fest der strahlenden Kinderaugen, der Lebkuchenherzen, der Zuckerwatte, rund 1,2 Millionen BesucherInnen auf 3,2 Kilometern "Vergnügen für die ganze Familie, gastronomische Highlights, rasante Fahrgeschäfte und Nostalgie", beschreibt das Fest sich selbst. Vor allem letzteres hat sich in den vergangenen Jahren als zunehmendes Problem herausstellt. Ist ein Schwarzer mit einer Banane auf einer Bude wirklich Nostalgie oder kann das im 21. Jahrhundert weg, weil rassistisch? Muss weg, befand der Wirtschaftsausschuss des Gemeinderats vor zwei Jahren noch unter Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne). Die Räte beschlossen einstimmig, dass die Stadt ein Auge darauf hat, rassistische und sexistische Darstellungen vom Familienfest zu verbannen. Das gab schon damals eine große Diskussion, aber der Schaustellerverband versicherte, man werde sich drum kümmern.

Auf dem Frühlingsfest 2022, gerade zu Ende gegangen, bewirbt immer noch eine nahezu nackte Frau mit phallischem Maschinengewehr eine Schießbude, eine Kuh schmachtet mit heraushängender Zunge einer Frau nach, deren Gesicht von der Tiefe ihres Dekolletés in den Schatten gestellt wird, ein Fahrgeschäft wirbt für schnelle Flitzer mit einer Frau im Rennanzug, vorne bis zu den Nippeln offen, der Tanga blitzt hervor. Auf einer Bude streckt eine Blonde den BesucherInnen ihren Hintern entgegen. "Lujah sog i!", steht darunter. "Stimmung hier!" und "Auf der Alm da gibt’s koa Sünd!" Ob es im Beruf des Buden-Bemahlers auch Frauen gibt?

Stein des Anstoßes war aber ein Bild beim Dosenwerfen-Spaß. Links auf dem Stand zieht ein Kerl einer Blondbezopften das Negligé herunter, rechts flüchtet sich eine Frau verängstigt vor einem Esel auf einen Baum, das Tier zieht ihr mit dem Maul den Rock nach oben. Im Hintergrund wartet ein Spanner im grünen Busch, der nächste am Hintern der Frau sein zu können.

Die Grünen haben daraufhin vor einigen Tagen einen Antrag eingebracht, der will, dass solche Darstellungen entfernt werden. Immerhin sei das Frühlingsfest eine städtische Veranstaltung. Da kann im Grunde keiner was dagegen haben, zumal es ja einen Gemeinderatsbeschluss dazu gibt. Die städtische Veranstaltungsagentur in.Stuttgart war damals mit im Boot und sollte bei der Umsetzung helfen.

Vorige Woche war Oberbürgermeister Frank Nopper (Wahlslogan "Schaffen statt gendern") noch gemeinsam mit dem Geschäftsführer von in.Stuttgart auf dem Volksfest unterwegs, dokumentiert ein Foto auf Noppers offiziellem OB-Instagram-Account: "Endlich wieder Frühlingsfest nach zwei Jahren Coronapause! Die Erleichterung bei den Schaustellern war spürbar, sie sind mit dem bisherigen Verlauf sehr zufrieden." Im Anschluss ging es noch gemeinsam ins Almhüttendorf.

Zwei Tage später äußerte er sich auf Instagram zum grünen Antrag und dem Sachverhalt Esel-Po-Darstellung: Er ruft zu "Maß und Mitte" auf, und dazu, sich darauf zu konzentrieren, was wirklich wichtig sei. Allein dafür hätte er einen Shitstorm verdient. Es ging aber noch weiter: "Der Gemeinderat sollte keine Zensurbehörde, kein hoher Rat der Tugend- und Sittenwächter, der Inquisition und Diskriminierungsfahnder werden." Unter dem Spruch das Stuttgarter Rössle, daneben steht ganz offiziell "Information", mit derselben Insta-Schablone ruft das Stadtoberhaupt auch zum Impfen auf und dazu, ukrainischen Geflüchteten zu helfen.

Der Gemeinderat, Noppers wichtigstes Gremium aus "Sittenwächtern und Inquisitoren", war maximal brüskiert. Andreas Winter, Fraktionschef der Grünen, nutzt in der Sitzung am vergangenen Donnerstag den Tagesordnungspunkt "Umbildung Beirat für Gleichstellungsfragen", um eine Diskussion anzustrengen. Noppers Äußerungen seien "unangemessen". Die Thematik solle im Gleichstellungsbeirat besprochen werden, Oberbürgermeister Nopper möge doch auch mal vorbeischauen. "Sie sollten das schon ernst nehmen und möglich machen."

Auch der Linke Luigi Pantisano befindet, dass dem OB eine Weiterbildung nicht schaden könne. "Offenbar ist die Bild-Zeitung Ihre Quelle", hielt er ihm entgegen. "Ihre Äußerungen sind langsam auch wie bei Bild." "Ah"- und "Oh"-Rufe schallen durch den Saal, mancherorts wird zustimmend auf die Tische geklopft.

Nopper erwidert, er habe ja nur gesagt, dass der Gemeinderat nicht verkommen SOLLTE, nicht das er verkommen IST. Der Maßstab für zulässige Buden-Bilder sei allein das Straf- und das Ordnungsrecht, nicht die Frage des Geschmacks oder des Stils. Solche Motive gebe es seit Jahrzehnten und daran habe sich, sagt Nopper, ja bisher auch keiner gestört. Allerdings war früher auch Vergewaltigung in der Ehe eine Frage des Geschmacks und hat keinen gestört, bis auf die vergewaltigten Frauen.

Winter meint jedenfalls: "Solche Bilder gehörten einfach nicht zum Interieur eines Familienfestes, wie Sie es immer nennen." Zudem sei dieser Instagram-Post in dem er gegen den eigenen Gemeinderat geschossen hatte, eine echte Unverschämtheit. Es ist von Übergriffigkeit die Rede, von Respektlosigkeit, von Verharmlosung sexueller Gewalt.

Iris Ripsam von der CDU gibt andererseits zu bedenken, dass ausgerechnet die Grünen beim Thema Sexismus so aufbrausend seien: "Es gab bei Ihnen ja mal einen Daniel Cohn-Bendit ..." Außerdem sei grade das Baden oben ohne in Göttingen zugelassen worden, da seien auch Brüste zu sehen.

Sibel Yüksel von der FDP will eine stringentere Sitzungsleitung. Es sei doch keine Frage, ob die Abbildung mit dem Esel sexistisch sei: natürlich sei das sexistisch! "Da fragt man sich schon, warum sowas noch zugelassen ist." "Ich kann es kaum fassen", meint auch Ina Schumann von PULS, sie sei schockiert vom Beitrag des OB und von dieser Debatte. "Wenn ich im Freibad entscheide, meine Brüste in die Sonne zu halten, dann ist das Selbstbestimmung."

Nopper grinst nun nicht mehr. Er schreibt hektisch irgendwas auf, wischt sich Krümel von den Schultern, auf seiner Stirn hat sich eine gestresste Zornesfalte gebildet. Sexismus sei immer Ansichtssache und solle erstmal definiert werden, poltert das Stadtoberhaupt. Und er wolle "nochmal versichern: Ich bin gegen jedwede Art der Diskriminierung", die Halbnackte mit dem Esel sei einfach kein Straftatbestand. Im Übrigen, belehrt er seine Räte, sei es das gute Recht des Oberbürgermeisters, pointierte politische Meinungsäußerungen zu tätigen, auch gegen den eigenen Gemeinderat. Er habe für seinen Post "fast durchgehend Zuspruch" erfahren.

Die Sitzung, sie entgleitet dem OB. Fortbildungen werden ihm nahegelegt, der Blick in die ein oder andere Sexismus-Studie.

Martin Körner von der SPD warnt Nopper vor öffentlichen Äußerungen, die das Hauptgremium der Stadt diskreditieren. Politische Gremien zu verunglimpfen, sei hoffähig geworden und in manchen Kreisen sehr erfolgreich. Das sei gefährlich und es gebe in Stuttgart eben andere Mehrheiten als im Backnanger Gemeinderat, dem der OB bisher vorsaß. "Wir möchten Sie bitten, diesen Gemeinderat nicht mehr zu diskreditieren."

Die Geschichte zog im Vorfeld weite Kreise. "Die Grüne prangern Sexismus auf dem Volksfest an", war bundesweit zu lesen, als sei das ein Skandal. Dabei ist der wirkliche Skandal, dass in Stuttgart, der Landeshauptstadt von Baden-Württemberg, ein Mann auf dem Sessel des Oberbürgermeisters sitzt, der meint, reißerisch zur Schau gestellte Frauenkörper und Tiere, die ihre Nase unter Röcke stecken, seien normal, ja nahezu Tradition, da sollen die Leut’ sich halt nicht so anstellen. Ein Oberbürgermeister, der auf Instagram seinen Gemeinderat als "Inquisitoren" und "Zensurbehörde" beschimpft. Das ist nicht nur kleingeistig, es ist beschämend: für den Gemeinderat, das Rathaus, die Bürger der Stadt, in der auch eine ganze Menge Frauen leben. Die, das sei noch angemerkt, im Rahmen des Volksfestes nicht selten Opfer sexueller Übergriffe werden. Vor ein paar Jahren war ein Typ auf dem Familienfest unterwegs, der die Hände von mehreren Frauen in seine genommen hat, um dann seinen nackten Penis hineinzulegen. Dieses Jahr wurde eine Frau von einem Angestellten begrapscht, als sie in ein Fahrgeschäft stieg. Aber vielleicht ist das ja einfach Tradition. Auf der Alm, da gibt’s halt koa Sünd. Lujah sog i!


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13 Kommentare verfügbar

  • Thomas
    am 18.05.2022
    Antworten
    Wer meint, einen pechschwarzen Provinzfürsten zum OB der Landeshauptstadt küren zu müssen, bekommt halt genau das: Einen Provinzfürsten. Der regiert nach Gutsherrenart durch und entscheidet selbstherrlich, welche Themen wichtig sind und welche nicht.
    Vielleicht hätte man den Schaustellern mit Blick…
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