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Staatsgewalten auf Abwegen

Schwierige Symbolwirkung

Staatsgewalten auf Abwegen: Schwierige Symbolwirkung
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Am Frauentag kommt es in Stuttgart zu einem brutalen Polizeieinsatz. In Freiburg wird ein Verfahren gegen eine Querdenkerin eingestellt, nachdem sie das Objektiv eines Fotojournalisten beschädigt hat. Aus der Endlos-Serie: kurioses Agieren der Staatsgewalten.

Die Reinhaltung der Rathauswände wird in Stuttgart noch ernst genommen. Lernen mussten das bereits AktivistInnen, als sie zwei Versuche unternahmen, dort zum Gedenken an die rassistischen Morde von Hanau eine Tafel mit den Gesichtern der Opfer anzubringen – woraufhin die Stadtverwaltung hurtig einschritt, das illegal angebrachte Schild zeitnah zu entfernen, und die AfD sich über eine "Umwidmung des Rathauses zur ideologischen Litfaßsäule" beklagte. Am 8. März 2022 ging es ganz ohne Zeitverzug: Bei einer großen Demo zum internationalen Frauentag wollten Beteiligte Aufkleber an der Fassade anbringen, beispielsweise mit der Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit. Das galt es zu vermeiden - mit einem Großaufgebot der Polizei und berittenen Einsatzkräften. "Eine regelrechte Drohkulisse" sei da entstanden, sagt die ehemalige SPD-Stadträtin Judith Vowinkel in der "Stuttgarter Zeitung" (StZ), zuletzt habe sie das am Schwarzen Donnerstag erlebt.

Was am Frauentag vorgefallen ist, scheint aus Sicht der Polizei offenbar nicht groß erwähnenswert. Normalerweise ist das Präsidium recht mitteilungsfreudig, verfasst reihenweise Pressemitteilungen, am 8. März zum Beispiel über einen brennenden Sperrmüllcontainer in Stuttgart-Plieningen, den die Einsatzkräfte gelöscht haben. Beim Einsatz zur Großdemo aber haben die BeamtInnen auf eine proaktive Unterrichtung der Öffentlichkeit verzichtet und keine Meldung in die Welt gesetzt. Dabei habe es "Probleme mit Aktivisten aus dem linken Spektrum" gegeben, wie ein Sprecher zwei Tage später in der StZ ausführt, sie hätten Bengalos und Rauchtöpfe angezündet und Verkehrsschilder beklebt. "Dabei sei es zu Flaschenwürfen gekommen", heißt es in der begleitenden Berichterstattung. "Das Ende: Vier leicht verletzte Beamten und zehn Anzeigen, unter anderem wegen Körperverletzung."

Wenig ist hier über die Vorgänge zu erfahren, die der linke Bundestagsabgeordnete Bernd Riexinger als Skandal bezeichnet. Er war vor Ort und appelliert an den baden-württembergischen Landtag, den Polizeieinsatz untersuchen zu lassen. Laut Riexinger wären die Beamten "völlig durchgedreht" und hätten "die symbolische Umbenennung des Gustav-Heinemann-Platzes in Clara-Zetkin-Platz mit brutaler Gewalt verhindert". Das "Aktionsbündnis 8. März", das die Demo organisiert hat, beschreibt das Geschehen so: "Ein Polizist kickte mit gestrecktem Bein auf Brusthöhe in eine Gruppe Menschen. Ein anderer Polizist schlug einer Frau mit der Faust auf den Kopf und es kamen Schlagstöcke zum Einsatz. Mehrere Menschen wurden verletzt." In sozialen Netzwerken kursieren Videos der Szene, die für eine mögliche Aufarbeitung des Vorfalls dienlich sein könnten.

Dass die Stuttgarter Polizei mit rabiaten Methoden gegen linke Zettelkleberei vorgeht, ist indessen keine Neuigkeit. Etwa im April 2019, als Demonstrierende beim Protest gegen die Mietpreise in der Landeshauptstadt ein Haus mit Papier und Klebeband als leerstehend markieren wollten, griff die Polizei zu Pfefferspray, um das abzuwenden. Generell scheinen die Knüppel locker zu sitzen, sobald das linke Spektrum involviert ist. Als 250 Menschen aus der Szene im April 2021 gegen die nächtlichen Ausgangsbeschränkungen zur Corona-Eindämmung auf die Straße gingen, wurden einige von ihnen wegen nicht eingehaltener Demo-Auflagen mit Schlagstöcken traktiert – nur wenige Tage nachdem Polizist Carsten Höfler im Stuttgarter Gemeinderat erläutert hatte, warum er als Einsatzleiter bei einer "Querdenken"-Versammlung trotz unzähligen Verstößen gegen Demo-Auflagen nicht eingreifen wollte: da ihm das bei den "völlig friedlichen Demonstranten aus der bürgerlichen Mitte" unverhältnismäßig erschienen wäre.

Noch eine kleine Katastrophe

Apropos "Querdenken". Ein weiterer Fall staatlichen Handelns, das ein paar Fragen aufwirft, ist aktuell in Freiburg zu beobachten. Das örtliche Amtsgericht hat kürzlich ein Verfahren gegen die "Querdenkerin" Claudia P. eingestellt. Kurios ist die Begründung. Zwar soll P. dem Fotojournalisten Julian Rzepa, heute Redakteur bei "Radio Dreyeckland", bei einer Kundgebung im September 2020 gegen seine Kamera geschlagen und dabei das Objektiv beschädigt haben. Und es erging auch ein Strafbefehl gegen sie. Doch dagegen legte sie Widerspruch ein, und das Amtsgericht beendete das Verfahren nun aus einem "Mangel an öffentlichem Interesse".

"In meinen Augen ist das schon eine kleine Katastrophe", kommentiert Rzepa. "Das hat eine sehr schwierige Symbolwirkung, wenn QuerdenkerInnen, die Material von JournalistInnen beschädigen, straffrei ausgehen und damit in ihrem Tun bestätigt werden." Er bleibt nun auf den Kosten für eine anwaltliche Vertretung und für ein unbrauchbares Objektiv sitzen. Als extrem problematisch beurteilt er, dass die Entscheidung den gesellschaftlichen Kontext der "Querdenken"-Proteste verkenne, da es sich bei Übergriffen auf Presse-VertreterInnen nicht um Einzelfälle handelt. Nun aber müssten sich JournalistInnen zwei Mal überlegen, ob sie dagegen gerichtlich vorgehen wollen und ob sie sich das denn leisten können.

Vertreten lassen hat sich Claudia P. übrigens von dem rechtsextremen Anwalt Dubravko Mandic, der schon viele Schlagzeilen gemacht hat. Im November 2020 ist er wegen Nötigung einer Journalistin verurteilt worden, nachdem er ihr das Handy aus der Hand riss und versuchte, Aufnahmen zu löschen, die ihn bei einer Veranstaltung des rechtsextremen "Flügels" in der AfD zeigten. Beschäftigten in der Medienbranche hat Mandic als Redner auf einer Kundgebung vor dem SWR-Gebäude in Baden-Baden angedroht, "sie aus ihren Redaktionsstuben zu vertreiben". Allein die Personalie eines bekannten rechtsextremen Anwalts, der einer interessierten Öffentlichkeit für Übergriffe gegen die Presse bekannt ist, hätte das Freiburger Amtsgericht im Fall Claudia P. aufhorchen lassen müssen. Aber dazu müssten sich RichterInnen wohl über das reine Aktenstudium hinaus informieren über das politische Geschehen.


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1 Kommentar verfügbar

  • Dieter ebstock
    am 16.03.2022
    Antworten
    Am Samstag, 12.03. in Leonberg. 25 junge Antifaschisten aus Leonberg und Herrenberg gedenken mit einer Kundgebung auf dem Marktplatz einem Anschlag vor 11 Jahren. Die angemeldete Aktion wird von mehr als 40 Polizeibeamten mit 14 (!) Fahrzeugen kontrolliert, bewacht, eingeschüchtert?
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