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Abschiebung und Rückholung

Mire G. ist wieder da

Abschiebung und Rückholung: Mire G. ist wieder da
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Sali Krasniqi ist gestorben. Am 12. März, genau fünf Monate nachdem er gemeinsam mit seiner Frau Mire G. in den Kosovo abgeschoben worden war. 28 Jahre lang hatte das Ehepaar in Deutschland gelebt, zusammen mit sechs Kindern, 17 Enkeln, einem Urenkel und der Mutter von Mire G. in einer Kleinstadt im Kreis Biberach. Wenigstens Mire G. ist nun wieder daheim.

"Der größte Wunsch ist es, dass meine Eltern ihren Lebensabend im Kreise der Familie verbringen können. In Würde und Sicherheit," sagte Emrach G., der Sohn von Mire und Sali, im November 2020. Schon damals waren Zweifel angebracht, dass sein Wunsch in Erfüllung gehen würde. Äußerst selten werden Abgeschobene rasch wieder zurückgeholt, und dass es schnell hätte gehen müssen, konnte schon zu diesem Zeitpunkt jeder wissen. Denn Sali Krasniqi war schwer krank. Die zuständigen Behörden im grün-schwarz regierten Baden-Württemberg interessierten sich aber nicht für das absehbare Schicksal von Sali Krasniqi.

Sie hatten am 12. Oktober eine Ärztin zu ihm kommen lassen. Aber nicht, um den Diabetiker, der dreimal am Herzen operiert worden war und drei Stents gelegt bekommen hatte, zu behandeln, sondern um seine Flugfähigkeit zu attestieren. Über Baden-Baden wurde das Ehepaar per Charterflug nach Pristina abgeschoben, ohne Medikamente. In Deutschland war Sali Krasniqi regelmäßig ins Krankenhaus gegangen, damit die notwendigen Medikamente richtig eingestellt wurden. Das war der Ausländerbehörde Biberach und den Regierungspräsidien Tübingen und Karlsruhe bekannt. Im Kosovo angekommen, verschlechterte sich Krasniqis Gesundheitszustand rapide. Das Ehepaar war zunächst gezwungen bei Fremden zu übernachten, um überhaupt ein Obdach zu haben. Am 12. März starb Sali Krasniqi, getrennt vom Großteil seiner Familie.

Freude über die Rückkehr der Mutter

Ausgabe 520, 17.3.2021

Abschiebung endet tödlich

Von Fabian Kienert

Es war ein Sterben mit Ansage und im Wissen aller beteiligten Behörden: Vor knapp einem halben Jahr ist der herzkranke Sali Krasniqi mit seiner Frau aus dem Kreis Biberach in den Kosovo abgeschoben worden. Nach knapp 29 Jahren in Deutschland. Jetzt ist er tot.

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Nach großem öffentlichen Druck konnte Anfang Juni wenigstens Mire G. wieder zu ihrer Familie zurückkehren. Die Einreisesperre von zwei Jahren wurde zurückgenommen. Den ersten Termin bei der Ausländerbehörde Biberach, gemeinsam mit seiner Mutter, wird Emrach G. nicht so schnell vergessen. "Da wurde uns nicht das herzliche Beileid ausgesprochen, obwohl alle dort wissen, wer wir sind und was passiert ist. Es wurde mit uns umgegangen, als wären wir einfach eine Nummer", berichtet er im Gespräch gegenüber Kontext kurz vor Weihnachten. Selbst wenn es der Mutter wieder gut gehe, sei die Abschiebung in der Familie immer präsent: "Man hat eigentlich immer das gleiche Thema." Über sich selber sagt er: "Ich kann die Sache nicht verarbeiten, ich verdränge sie."

Emrach G. ist sich zu hundert Prozent sicher, dass sein Vater noch leben würde, wenn er im Landkreis Biberach hätte bleiben dürfen. Bei den Behörden scheint man keinen Fehler einzugestehen. "Es hat bisher noch keiner gesagt, dass da was falsch gelaufen ist." erzählt Emrach G. "Wenn sie es sagen würden, müssten sie das vielleicht bei ganz vielen anderen Menschen auch noch sagen."


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1 Kommentar verfügbar

  • Hermann Krupp
    am 11.01.2022
    Antworten
    Das brutale Vorgehen der Behörden gegen Mire und Sali, war ein derart eklatanter Verstoß gegen unser Grundgesetz und die Menschenrechte, das man in den 2020er Jahren nur noch fassungslos zurückbleibt. Und solche Fälle gibt es sehr sehr viele, und vor 80 Jahren war so etwas auch normal. Wenn man sich…
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