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Wilhelm Rinklin

Der Bio-Pionier vom Kaiserstuhl

Wilhelm Rinklin: Der Bio-Pionier vom Kaiserstuhl
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Wilhelm Rinklin arbeitet am Holzspalter. Als er den Besucher bemerkt, stellt er den Motor leiser. "Was machsch jetzt au Du do?", begrüßt er kaiserstühlerisch freundlich und gleich per Du. Wenig später sitzt er an seinem Küchentisch in Eichstetten und erzählt.

Zeit hat der 71-Jährige inzwischen für solche Gespräche. Seinen Bio-Großhandel "Rinklin Naturkost" hat er an drei Söhne übergeben. 260 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten im Betrieb. Nach eigenem Bekunden lagern rund 12.000 Bioprodukte auf 7.000 Quadratmetern. Mit 38 Lastwagen werden Bioläden und Biomärkte in ganz Südwestdeutschland beliefert. "Rinklin Naturkost" ist dort mittlerweile zum größten Biohändler geworden – dabei hatte Wilhelm Rinklin in den 1970er-Jahren mit einem kleinen Gemüsehandel begonnen. Damals musste man weit fahren, um Kundschaft zu finden, die Wert auf biologisch angebaute Karotten, Kartoffeln, Salat und Tomaten legte.

Den Grundstein der Biolandwirtschaft in Eichstetten legte Rinklins Vater, Wilhelm Rinklin senior. Der stellte 1955 seinen Bauernhof auf Bio um. Fünf Jahre alt war Wilhelm junior damals. "Die anderen Bauern im Dorf haben schon gelacht, wenn wir auf den Knien in den Möhrenfeldern rumgerutscht sind zum Unkrautzupfen, während sie mit dem Traktor Herbizide gespritzt haben", erinnert er sich. "Mein Vater ist einer von den Bauern gewesen, die offen waren für Neues und schon immer mehr in Ausbildung investiert haben, als andere seiner Alterskollegen. Er ist auch oft bei Stammtischen gewesen, die vom Landwirtschaftsamt angeboten wurden oder von BASF, Bayer oder Schering."

Allerdings war modern in der Landwirtschaft damals, was später die "Grüne Revolution" genannt wurde: Nur mit Einsatz von Kunstdünger, von neu entwickeltem Hochleistungssaatgut und von Pestiziden zur Bekämpfung von Unkraut und Schädlingen könne sinnvoll und effektiv Landwirtschaft betrieben und die rasant wachsende Weltbevölkerung künftig sicher ernährt werden. Vater Rinklin hatte ein ungutes Gefühl: Es könne doch nicht richtig sein, immer noch ein bisschen mehr Kunstdünger und immer noch ein bisschen mehr Gift auf den Feldern auszubringen. Offenbar ahnte er damals schon, was man später wusste.

"Chemisches Pflügen", wie es die amerikanische Biologin Rachel Carson in ihrem 1962 erschienenen einflussreichen Buch "Der stumme Frühling" nannte, sei ein Krieg des Menschen gegen die Natur. Und sie plädierte dafür, nicht von Insektiziden oder Herbiziden zu sprechen, sondern von Bioziden, also eigentlich Lebensbekämpfungsmitteln. Sie wies auf den Verlust von Biodiversität ebenso hin wie auf die Zerstörung fruchtbarer Böden und die Vergiftung von Trinkwasser durch Düngung und Pestizide.

Heute schlägt der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) vor, "die weitgehend monofunktional auf Produktion ausgerichteten Landwirtschaftssysteme in Richtung ökologisch intensiver multifunktionaler Systeme zu transformieren", weil nur so "die Klimaschutzziele erreicht, der dramatische Verlust der biologischen Vielfalt abgewendet und das globale Ernährungssystem nachhaltig gestaltet werden kann."

Bio-dynamisch oder organisch-biologisch

"1955 unterschrieben sechs Eichstetter Bauern den Umstellungsvertrag mit dem bio-dynamischen Anbauverband Demeter. Das war ja damals die einzige Möglichkeit, biologisch zu wirtschaften", erinnert sich Rinklin. "Dadurch, dass es gleich sechs Bauern im Dorf waren, wurden sie nicht so stark angefeindet, wie man das von anderen Gemeinden gehört hatte. Und noch dazu waren das sechs durchaus wache, anerkannte Jungbauern."

"Jetzt sind aber die Rinklins Christen", erzählt Wilhelm Rinklin weiter, "ganz schlichte, evangelische Christen, und das hat mit der Anthroposophie gelegentlich geknistert. Immer wieder hat es Diskussionen gegeben über Sterne, Mond, Reinkarnation und weiß der Kuckuck, was mit dem biologischen Landbau nichts zu tun hatte. Man hatte auch das Gefühl, der bio-dynamischen Methode nicht gerecht zu werden, wenn man nicht so richtig daran glaubt." Da kam die Unterstützung des evangelischen Dorfpfarrers gerade recht. Zusammen mit einem jungen Vikar, der als Bauernpfarrer für Südbaden zuständig war, machte er die Biobauern auf einen anderen biologischen Landbau in der Schweiz aufmerksam, der dort schon relativ weit verbreitet war. "Organisch-biologisch" nannte die "Müller-Rusch-Bewegung" ihre Anbaumethode, die die bio-dynamische der Anthroposophen ersetzen wollte. "Organisiert von den Pfarrern, kam ein richtiger kleiner Bustourismus aus Südbaden zu den entsprechenden Biohöfen in der Schweiz in Gang. Nach und nach hat man auch das eine oder andere zu Hause ausprobiert und ganz gut gefunden."

Namensgebend für die "Müller-Rusch-Bewegung" waren Hans Müller, ein schweizer Bundesrat, seine Frau Maria und der deutsche Arzt und Mikrobiologe Hans Peter Rusch. Der studierte Landwirt Rinklin veranschaulicht die Philosophie: "Man schaut genau, was im Boden passiert, was man tun kann, was man lassen muss. Fruchtbarer Boden entsteht in der Natur ohne ein Gramm Kunstdünger. Da kommt keiner zum Umstechen und es braucht kein BASF."

1971 gründeten zwölf Frauen und Männer in Bad Boll den Verein "Bio-Gemüse", der 1979 in Bioland umbenannt wurde. Wilhelm Rinklin senior und ein weiterer Eichstetter Bauer gehörten zu diesen Zwölf. Rinklin junior war damals 21 Jahre alt. Nach der Gründung habe es einen richtigen Boom gegeben an Leuten, "die was mit Bio tun wollten", erinnert er sich. "Da gab es zwei große Gruppen: einmal ganz konservative Bauern, die gewartet haben, bis man etwas Anthroposophiefreies machen kann, und dann die Ökosozialen aus der Alternativszene." Rinklin schätzt, dass sich zwischen 1970 und 1975 die Ackerfläche, die rund um Freiburg biologisch bewirtschaftet wurde, verdoppelt habe. Das Angebot in Südbaden sei "übergelaufen".

Vom Bauer zum Kaufmann

Um dem Gedränge auf dem Freiburger Markt zu entgehen, begann er, Reformhäuser am Hochrhein zu beliefern. Mit dem gebrauchten kleinen Lastwagen, den die Kaiserstühler Bio-Bauern gemeinsam angeschafft hatten, wurden Eier von freilaufenden Hühnern, rückstandskontrollierte Bananen, Öl, Essig und Vollkornnudeln von Großmärkten geholt und zusammen mit Kaiserstühler Salat, Kartoffeln und Zucchini wöchentlich bis nach Waldshut, Villingen oder Trossingen geliefert. Marktstände in und rund um Freiburg und zwei kleine Läden kamen hinzu.

"Ende 1980 hat mir dann die Bioland GmbH nahegelegt, in Südbaden auf eigene Rechnung zu wirtschaften", berichtet Rinklin. "Daher bin ich ab 1.1.1981 Unternehmer geworden." Der Bio-Boom hielt an, aber Händler Rinklin geriet in schwieriges Fahrwasser. "Von Haus aus bin ich Bauer. Und ein Bauer verdient Geld, wenn er richtig schafft und ordentlich schwitzt, oder? Die Überlegung, dass man als Kaufmann lieber nicht schwitzen sollte, sondern denken, die hatte noch nicht Einzug gehalten." Das änderten die Rinklins und Ende der 1980er-Jahre profitierte der Betrieb "Naturkost Rinklin" vom Bio-Wachstum.

Umweltkatastrophen puschen Bio

Offenbar verstärken Krisen und Katastrophen bei vielen Menschen das Bedürfnis, sich zumindest gesund zu ernähren. Daher gab es Umsatzspitzen bei den Biolebensmitteln immer nach großen Umweltskandalen, etwa dem BSE-Skandal 1992 oder der Explosion im ukrainischen Atomkraftwerk Tschernobyl 1984. Das Corona-Jahr 2020, so der junge Geschäftsführer Harald Rinklin, habe der Firma 18 Prozent Umsatzwachstum gebracht. Der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), Spitzenverband der Branche, berichtet gar von 22,3 Prozent Umsatzplus, doppelt so viel wie bei anderen Lebensmitteln. "Offensichtlich sind solche Katastrophen immer ein Anlass, über den Tellerrand zu schauen", überlegt Wilhelm Rinklin. "Wenn die Dinge um einen herum unsicher werden, dann muss man schauen, wo noch etwas einigermaßen stabil ist."

In ihrer Nachhaltigkeitsstrategie vom März 2021 formulierte die deutsche Bundesregierung das Ziel: Bis 2030 solle der Anteil der ökologisch bewirtschafteten Fläche in Deutschland von 10 auf 20 Prozent wachsen. Frage an den Fachmann Rinklin: Wären auch 100 Prozent Bio möglich? "Für den Globus wäre das wichtig", ist die Antwort. "Nur mit 100 Prozent Bio kann die Welternährung auf Dauer gesichert werden. Denn ohne Bio ist das jetzt schon gescheitert, wie man sieht. Wenn die Lebensmittel richtig verteilt werden und man in den armen Ländern, wo die Ernährung schwierig ist, biologische Methoden einsetzen würde, hätten die 'ne Chance. Die Dinge, die uns Probleme machen", so Rinklin weiter, "das ist der gerodete Wald in Brasilien, es sind die Monokulturen fast überall auf der Welt. Sobald größere Flächen bewirtschaftet werden, gehen bäuerliche Kleinstrukturen und die Böden kaputt. Für den Einsatz von Kunstdünger zum Beispiel braucht man gleich noch eine Pumpe, man braucht viel Wasser und vieles andere, was einen großen Kapitaleinsatz erfordert."

Rinklin weiß sich darin einig mit dem ehemaligen Vorsitzenden der BÖLW, Felix zu Löwenstein: "Wir werden uns ökologisch ernähren, oder gar nicht mehr!", titelt dieser programmatisch in seinem neuesten Buch. Gesunde Böden, sauberes Trinkwasser und eine Biodiversität, die auf Dauer landwirtschaftliche Erträge bringen kann, sei nur durch eine ökologische Anbau- und Wirtschaftsweise möglich. Bei kurzfristig hohen Erträgen mit Agrochemie und Gentechnik gehen langfristig die Böden kaputt. Zudem seien die Preise konventionellen Wirtschaftens keine echten Preise: Die Kosten für Umweltschäden und Bodenzerstörung trage in der Regel nicht der Verursacher, sondern die Allgemeinheit. Allerdings, so schränkt Löwenstein ein, die ökologische Landwirtschaft, die es heute gibt, könne die 100 Prozent Bio nicht schaffen. Dafür bedürfe es eines Strukturwandels in der Förder- und Steuerpolitik der Länder, entsprechender internationaler Handelsabkommen, größerer Anstrengungen in der Forschung und einer Änderung des Kaufverhaltens, sicherlich auch der Ernährungs- und Lebensgewohnheiten jedes Einzelnen. Und Rinklin ergänzt: "Vielleicht müssten wir, die wir übersatt sind, Abstriche bei unserem Lebensstandard machen. Vielleicht könnten wir künftig nicht mehr jedes Jahr drei Wochen in Urlaub fliegen und solche Sachen. Aber zu essen hätten wir alle!"


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