Kein Wort verliert Pyta über Hindenburgs Rolle im "Osthilfe"-Skandal. Nichts erfährt man von den Kriegsverbrechen, für die er verantwortlich zeichnete etc. Zudem verflüchtigt sich Pyta in Abstraktionen , wenn er Hindenburgs Verhalten in der "Staatskrise von 1932/33" aus dem "Spannungsverhältnis zwischen charismatischer und legalistischer Herrschaft" erklärt – wozu allerdings in Widerspruch steht, dass selbst Pyta Hindenburg als einen Militär und Politiker ansieht, der grundsätzlich antiparlamentarische und antipluralistische Positionen vertrat.
Ehrt Hindenburgs Kritiker!
Wer Straßennamen nach Hindenburg beibehalten will, entehrt zugleich dessen Kritiker. An sie, an ihre Einschätzungen, Haltungen und Prognosen zu erinnern, ist im Sinne republikanischer Traditionspflege angemessener. Etwa an den Kulturphilosophen Theodor Lessing. In den 1920er Jahren erlebte er als Aushilfs-Lehrer an einem Gymnasium in Hannover, wie an einem Jahrestag der Schlacht von Tannenberg die Schüler, "Deutschland über Alles" singend, an Hindenburgs von der Stadt geschenktem Hause vorüberzogen. "Es ist gewiss ergreifend und rührend", schreibt Lessing, "dass während des Weltkrieges eine der übelsten und bösesten Naturen der Weltgeschichte (gemeint ist Ludendorff, H.D.) diese einfältigste und treugläubigste seinem Ehrgeiz und seinem Machtwillen dienstbar machte, gedeckt von der Flagge der nationalen Ideale. Aber da zeigt sich auch die Gefahr! Nach Plato sollen die Philosophen Führer der Völker sein. Ein Philosoph würde mit Hindenburg nun eben nicht den Thronstuhl besteigen. Nur ein repräsentatives Symbol, ein Fragezeichen, ein Zero. Man kann sagen: besser ein Zero als ein Nero. Leider zeigt die Geschichte, dass hinter einem Zero immer ein künftiger Nero verborgen steht."
Lessing ist seine Voraussage, von ihm im Prager Tagblatt am 25. April 1925 in einer Glosse vor der Wahl Hindenburgs zum Reichspräsidenten publiziert, mehr als schlecht bekommen. Zunächst war er einer reichsweiten Schmähkampagne ausgesetzt, die schließlich dazu führte, dass er im Sommer 1926 seine Lehrtätigkeit als Dozent an der Technischen Hochschule Hannover einstellte und unbefristet beurlaubt wurde. Damit gehörte Lessing zu den Geistesgrößen in Deutschland, die lange vor 1933 von der universitären Lehre ausgeschlossen wurden. Er blieb davon unbeeindruckt, warnte als Publizist weiter vor dem Bündnis von "Hakenkreuz und Stahlhelm". Die Nazis vergaßen ihn nicht: Im August 1933 reisten drei fanatisierte Deutsche nach Marienbad in der Tschechoslowakei, einer von ihnen erschoss den dorthin emigrierten Lessing am 31. August 1933 durch ein Fenster seines Arbeitszimmers.
An Theodor Lessings schreckliches Ende erinnerte man sich in Hannover und anderenorts in den Jahrzehnten danach nicht gern. Man tat so, als sei er nie existent gewesen. Es steht zu befürchten, dass die Hindenburgstraßen, obwohl es naheläge, nicht nach Theodor Lessing umbenannt werden. Zu sehr lasten auf der bundesrepublikanischen "Erinnerungskultur" Haltungen, die sich aus Deutungsmustern speisen, die wenig zur Aufklärung über die wirklichen Ursachen von 1933 beitragen. Ihr Blickfeld ist durch die Fokussierung auf die Jahre von 1933 bis 1945 eingeengt und trägt objektiv dazu bei, Gegner der Entwicklung weiterhin dem Vergessen preiszugeben.
Stellvertretend für viele weitere vergessene Kritiker Hindenburgs sei der Pazifist Hans Paasche genannt, der im Mai 1920 ein Opfer rechter Lynchjustiz wurde. Paasche betrachtete Hindenburg als Protagonisten des "Gehirnzustandes General". Er wie Ludendorff repräsentierten einen "Geisteszustand von Sklaven" und symbolisierten die "Unfreiheit eines Volkes". In seiner Flugschrift "Das verlorene Afrika" (1919) mahnt Paasche weitsichtig: "Ehe das Volk nicht durchsetzt, dass alle Hindenburgstraßen in Eisnerstraßen umgetauft werden, und zeigt, dass es zwischen Gewalt und Geist unterscheiden kann, ist keine Hoffnung, dass Deutsche in die Welt hinausgehen dürfen. Dem freien Deutschland steht die Welt offen; den Knechten mag ihr Land zu einem Zuchthaus werden". Offenbar gibt es in unserem Lande noch viele, die sich vom "Gehirnzustand General" nicht lösen wollen oder können.
Helmut Donat, Jahrgang 1947, ist Historiker, Publizist und Verleger. Er lebt in Bremen und ist seit 1987 Inhaber des Donat Verlags. Bereits zweimal hat er den Versuch unternommen, in Bremen eine Straße nach Hans Paasche benennen zu lassen, zuletzt im Januar 2020. Bislang ohne Erfolg.
Zum Weiterlesen, erschienen im Donat Verlag:
"Gesichter des Bösen – Verbrechen und Verbrecher des 20. Jahrhunderts" von Till Zimmermann und Nikolaus Dörr, mit einem Geleitwort von Heribert Prantl, 19,80 Euro.
"Der Skandal – Hindenburgs Entscheidung für Hitler" von Dieter Hoffmann, 18 Euro.
"Wir machen nicht mit!" von Theodor Lessing, Schriften gegen den Nationalismus und zur Judenfrage, 15,40 Euro.
13 Kommentare verfügbar
Joachim Petrick
am 30.01.2021Nachdem Reichspräsident Hindenburg 28.März Ex-Reichkanzler Heinrich Brüning geschrieben hatte: „…..dass der Reichskanzler (Adolf Hitler) mir eine Bereitwilligkeit erklärt hat, auch ohne formale verfassungsrechtliche Bindung die auf Grund des Ermächtigungsgesetzes zu ergreifenden Maßnahmen…