KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Querwandern

An oder mit Herpes

Querwandern: An oder mit Herpes
|

Datum:

ImpfgegnerInnen und "Querdenker" sind auf die Hornisgrinde gewandert, um gegen die Corona-Diktatur zu demonstrieren. Schön war's, zumindest die Landschaft.

Zurück Weiter

Nach 15 Minuten Wanderung sagt einer, man müsste mal die ARD stürmen. Den Sendeplatz und die Verbreitung der Tagesschau haben, das wär's! Haha! Unter den Füßen knirscht der Schnee auf der plattgetretenen Schneise, die gerade einmal einen halben Meter breit ist. Rechts davon geht's den bewaldeten Hang runter, links davon steil hoch. Dick und weiß liegt der Schnee auf den Ästen der Nadelbäume wie flauschige Decken und schluckt die meisten Geräusche bis auf diesen saublöden ARD-Spruch, der wohl ein Witz sein sollte, hofft man jedenfalls in diesem Trupp aus "QuerdenkerInnen" und ImpfgegnerInnen, die am vergangenen Samstag die Hornisgrinde erklimmen, den höchsten Berg des Nordschwarzwalds, für die Freiheit, für Gerechtigkeit, gegen die Corona-Diktatur.

Um 12 Uhr Mittag, High Noon, haben sich etwa 30 Leute auf dem Parkplatz in Unterstmatt zur Demo versammelt. Von Bühl in der Ortenau geht es etwa 15 Kilometer Serpentinen den Berg hinauf. Die Straße wird von der Polizei auf und zu gemacht wegen der vielen Wintersportler, die in der Vergangenheit das Skigebiet geflutet haben, heute auch wegen der Demo und je nachdem, wie viele Menschen oben sind und noch hoch wollen.

Sandra hat die Demonstration "Impfen nein danke – ja zu Freiheit und Selbstbestimmung" angemeldet. Sie erklärt auch gleich, dass sie nicht mit der Presse sprechen wird. Dann übergibt sie das Mikro an Marco, einen schmalen Mann mit scharfen Gesichtszügen. Er zitiert das Grundgesetz, die Würde des Menschen sei unantastbar, und Artikel 5, jeder habe das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten; dementgegen habe man ihm die Facebook-Seite gesperrt. Er spricht von Journalisten der Einheitspresse, von Merkel, der ehemaligen Stasi-Mitarbeiterin, von Zensur und Meinungsunterdrückung und von Anetta Kahane, Vorstandsvorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, die über das wache, was im Netz veröffentlicht werde. "Ich bin Steuerzahler!", brüllt ein Demonstrant. Dann kommt die Maskenpflicht an Schulen – "Verbrecher!" "Buh!" –, FFP2-Masken in Bayern – "Steck dir deine FFP2-Masken in den Arsch, Söder!". Letzteres ruft ein Mann mit Hut und Bart, der später das Mikro ergreifen und von Lug und Trug sprechen wird, dem 11. September, vom nicht existenten Klimawandel, von der Verschwörung – "ja, ich bin Verschwörungstheoretiker!" –, der Finanz-, Tech- und Pharmalobby, die vorhaben, die Menschheit zu versklaven. Vorher aber fragt eine Klaudia ins Mikro, ob Kranke oder Verstorbene auch auf Herpes getestet würden? "Sterben die bei einem positiven Test dann an oder mit Herpes? Vielleicht haben wir ja eine ganz schreckliche Herpes-Pandemie?"

Im Hintergrund stapfen Skifahrer den Hang hinauf, weil der Lift aus ist. Meterlange Eiszapfen frieren vom Dach des Höhenhotel Unterstmatt, das zurzeit und bei endlich mal ordentlich Schnee den Reibach des Jahrhunderts machen könnte, wäre da nicht Corona. Auch zu ist die Große Tanne gleich gegenüber, eine urige Kneipe, eingeschneit bis unters Fensterbrett. "... und wenn du was dagegen machst, sperren sie dich in den nächsten Knast", singt Rio Reiser aus den Demo-Boxen. Inmitten der Demonstrierenden sitzt eine Frau mit einem Kleinkind auf dem Arm, sie lächelt, wie eine Ikone.

Rechts ist rechts

Zehn vor eins geht's los zur Wanderung, Marco voraus. Auf dem Parkplatz steht die Bergwacht bereit, falls einer der Impfgegner zwischendurch schlapp machen sollte. Die geplante Strecke: steil und anspruchsvoll. Und herrlich! Der Blick über die verschneiten Bäume nach Monaten des Home-Office, erstklassig, immer wieder hängen Zweige tief über den Weg, auf denen angetauter Schnee in Eisformen aller Art gefroren ist. Jeder Schritt will überlegt sein, um nicht zu versinken, die Luft kalt, der Körper warm. Großartig.

Auf halber Strecke und einer Lichtung ist Pause. "Frieden, Freiheit, keine Diktatur!" rufen die Wanderer im Chor, als würden sie ein Gipfelkreuz einrammen. "Arschlöcher!", schreit ein Wintersportler zurück. Der Mann mit Hut meckert über die Presse, die einen immer in die rechte Ecke stellen würde. Er zeigt auf Marco, mit vollem Namen Marco Kurz, der ein paar Meter weiter an einem Wirtshäuschen versucht, eine Bockwurst zu bestellen. Der sei kein Rechter, er habe nur mal einen blöden Post bei Facebook geteilt.

Wie so vieles an diesem Tag ist auch das nur halbwahr. Marco Kurz war einer der Gründer des rechten Frauenbündnisses Kandel, das mehrfach mit Christina Baum (AfD) an der Spitze gegen Geflüchtete aufmarschierte (Kontext berichtete). Jetzt spricht er auf Anti-Corona-Demos, im Oktober vor der Bühler Carl-Netter-Realschule beispielsweise. Die AfD-Abgeordnete Baum scheint den "Querdenkern" Bühl ebenfalls verbunden, sie trat vor einiger Zeit auf dem dortigen Europaplatz auf (Kontext berichtete).

Die Koblenzer Generalstaatsanwaltschaft hat gegen Kurz ermittelt, das ist noch nicht lange her, weil er eine Richterin bedroht haben soll. Die hatte ein Urteil zugunsten eines linken Demonstranten gefällt, Kurz soll ihr daraufhin eine Mail geschrieben haben: "Vielleicht sieht man sich zum netten Plausch auf einer Terrasse". Später durchsuchte die Polizei seine Wohnung. Vor dem Hintergrund der Ermordung von Walter Lübcke auf dessen Terrasse befand die Staatsanwaltschaft, Kurz habe "die Tötung der Adressatin in Aussicht" gestellt. Die "Badischen Neuesten Nachrichten" berichten, Kurz hatte zuvor in sozialen Medien einen Leichenwagen gepostet mit der Aufschrift: "Merkel, Dich holen wir kostenlos."

Besser die Gegend genießen

Weiter geht's, weiter nach oben, steiler, der Schnee wird tiefer, die Kälte spürbarer. Der Mann mit Hut erzählt, wie das Weltwirtschaftsforum plane, die Menschheit als Leibeigene unter den Mächtigsten aufzuteilen. "Können Sie nachlesen!" Tatsächlich operiert der mächtige Wirtschaftszusammenschluss momentan mit dem Begriff "Great Reset", griffiger PR-Sprech, gespeist aus dem Gedanken, aus der Corona-Krise klüger hervorzugehen. Und weil sich Milliarden nur dann verdienen lassen, wenn der Planet sich weiterdreht. Wie man so leben kann, frage ich den Mann. In ständiger Angst vor einer drohenden Versklavung, mit dem Glauben, dass Politik den Menschen nur Böses will, dass Medien lügen, weil sie Komplizen sind? "Das Leben im Diesseits ist überschätzt", antwortet er, er sei sehr spirituell, Mystik, ganz toll. Im Hintergrund heult das mitgebrachte Kleinkind, eingewickelt in eine extra Decke auf dem Arm der Mutter. Sie sieht gestresst aus.

Oben angekommen tut sich ein grandioser Blick auf. Links das Tal, gezuckert mit Eiskristallen, die milliardenfach in der Sonne glitzern. Rechts hängen träge Nebelwolken zwischen den Wipfeln. Der Schnee hat die Bäume auf dem Plateau zu Figuren geformt, erstarrte, schlanke Säulen, wie eine Armee von Wächtern am Rand des Abgrunds. Andere sehen aus wie riesige Tiere, die sich unter dem Weiß zusammenkauern. "Frieden, Freiheit, keine Diktatur!", rufen die Demo-Wanderer. Ein Paar setzt sich händereibend auf eine vereiste Bank, futtert eiskaltes Chilie aus Tupperware. Marco Kurz hat sein Megaphon mitgeschleppt, er erzählt von Massentierhaltung, von Gier und Kapitalismus. Und plädiert fürs Erwachen, denn "einen Erwachten kann man nicht zum Sklaven machen!". Zwei Polizisten stehen etwas abseits, die Bergwacht hat sie mit dem Quad hergebracht. "Gell, schön hier", sagt der eine und schiebt zufrieden die Hände in die Jackentaschen.

Angst, Angst, Angst

Rückweg. Bergab, mal bis zum Knöchel im Schnee, mal bis zum Knie, mal bis zur Hüfte. Viele hier waren in Berlin dabei, zur Großdemo gegen die Corona-Maßnahmen, die irgendwann mit Wasserwerfern beendet wurde. Von wegen Neonazis, keiner habe ordentlich berichtet, nur das Neue Deutschland habe einen einigermaßen ausgewogenen Text gebracht, sagt eine Frau. "taz"-Leserin sei sie gewesen, bis die Grünen das Blatt übernommen hätten. "Da sieht man mal die Macht von denen." Ein anderer erzählt von Aluminium in Impfungen und weil Aluminium auch in Betäubungsmitteln beim Zahnarzt enthalten sei, ließe er sich grundsätzlich nicht betäuben. Und dann die Impfpflicht durch die Hintertür. Als Ungeimpfter könne er bald kein Flugzeug mehr besteigen, dabei sei das Recht auf Bewegungsfreiheit ein Grundrecht. Das menschliche Immunsystem sei tausende Jahre alt und alleine fähig, sich gegen Angreifer und Viren zu wehren. "Sowas hier", sagt der Mann und breitet die Arme aus in diese Märchenlandschaft, "macht das Immunsystem stark, da braucht man keine Impfung."

Ralf Baßler, im Gründungsvorstand der neuen Partei Die Basis ("Freiheit, Machtbegrenzung, Achtsamkeit, Schwarmintelligenz" und "vermutlich der echten Demokratie letzte Chance"), fotografiert seine Basis-Visitenkarte: am Baum, im Schnee, im Eis. Corona, ja, gebe es schon, aber eine Pandemie? Sehe er nicht. Sterben, das tun die, die sowieso bald gestorben wären. Die Medien, sie würden nicht, oder zu wenig, oder erst seit Kurzem über die vielen Pleiten, die Insolvenzen, die Probleme an Schulen berichten. ARD und ZDF habe er sogar probeweise eine Weile gekuckt, aber schnell festgestellt, dass die nur Panikmache betreiben würden. Da habe er Angst bekommen. Jetzt kuckt er die Sender nicht mehr. Plötzlich dreht sich eine Frau um, baut sich vor mir auf und sagt: "Ich habe Angst vor Ihnen. Sie sagen, Sie sind von der Presse. Das glaube ich nicht. Da steckt doch mehr dahinter."

Um kurz nach vier Uhr, unten am Berg, den noch immer Skifahrer und Rodler hinuntersausen, verabschiede ich mich. Von Menschen, die glauben, man habe ihnen alles genommen: den Urlaub (verboten), die Homöopathie (wird demnächst verboten), den Stammtisch (verboten), Mimik und Sauerstoff (Maske), ihren Facebook-Account (Marco Kurz hat schon einen neuen). Und die keine Ahnung haben, was es bedeutet, wenn Menschen tatsächlich ihre Würde genommen wird. Oder was Zensur bedeutet. Die während einer Pandemie ungehindert demonstrieren und in der Gruppe wandern dürfen. Denen so viele verquere Medienportale nach dem Mund reden. Menschen, für die die Bergwacht parat steht, falls einem etwas zustößt. Und die an diesem Abend daheim mit einer Tasse Tee, Kakao, Kaffee oder Grog in die warme Wanne steigen und nebenher auf Facebook posten können, wie scheiße es doch in Deutschland ist. Diesem Unterdrücker-Staat, dieser verdammten Merkel-Diktatur fernab jeglicher Demokratie.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


29 Kommentare verfügbar

  • DPH
    am 27.01.2021
    Antworten
    Ein ungglaublich gut geschriebener Artikel, der den Kern der Sache trifft.
    Fast möchte man den Querdenkern zurufen: geht doch mal dorthin, wo Diktaturen herrschen, wo Krieg und Hungersnöte toben. Hier im Land ist sicher nicht alles ok, es gibt einiges zu kritisieren, aber es ist ein Jammern auf…
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!