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Althütte

Tauchstation für Rechtsextreme

Althütte: Tauchstation für Rechtsextreme
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 Fotos: Jens Volle 

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Datum:

Inmitten pittoresker Provinz fungiert die Gemeinde Althütte im Rems-Murr-Kreis als besonderer Rückzugsort für die extreme Rechte. Wie gut ist die Vernetzung zwischen Äckern und Wäldern? Und wo bleibt der Widerstand? Eine Spurensuche im braunen Unterholz.

Der Kampf um die ideologische Vorherrschaft ist stumm und klebrig. Litfaßsäule Nummer 0086 kann nichts dafür, sie wird instrumentalisiert. Etwas abgerieben, aber noch lesbar, prangt dort "Asylflut stoppen!" in weißen Lettern auf blauem Grund. Direkt darunter pappt ein Sticker der rechtsextremen Kleinpartei "Der Dritte Weg". Er ruft zur Zerschlagung von "Antifa-Banden" auf. Versteckt sind sie nicht, die rechten Botschaften in Althütte – das Rathaus in Sichtweite, ebenso das Eingangsschild des Dorfes. Die Gemeinde ist ein staatlich anerkannter Erholungsort im Rems-Murr-Kreis mit etwas mehr als 4.000 EinwohnerInnen. Knapp die Hälfte der Fläche hier ist Wald. Ein Wohlfühlort für alle – auch für stramm rechte Kameraden. Davon gibt es in Althütte erstaunlich viele.

Gabriele Gabel stinkt das gewaltig. Sie unterrichtet Deutsch, Gemeinschaftskunde und Sport, hat die Liste "Forum Althütte 2000" mitgegründet. Seit über 20 Jahren setzt sie sich gegen Rechtsextremismus ein. Damit ist sie hier eine seltene Spezies. Die Indifferenz plätschert gemütlich durch den Ort, gelassen wie die Mini-Fontäne im Park neben dem Dorfitaliener "Ristorante Portofino". Gabriele Gabel – wacher Blick, fester Schritt, feuerrote Haare – erhebt ihre Stimme gegen die Umtriebe in ihrem Dorf. "Rechte fühlen sich hier geschützt", sagt die Lehrerin. Sie würden stumm hingenommen. Gabel kann viel erzählen. Bei sich zuhause hat sie ein ganzes Regal voller Ordner, gespickt mit Artikeln und Dokumenten über den Rechtsextremismus, den die 58-Jährige als "die größte Gefahr für die Demokratie" benennt.

Die rechte Szene hat es sich bequem gemacht

Rundgang durch die Gemeinde: erster Halt im Hauptort. In der Daimlerstraße steht ein nüchtern wirkendes, dreistöckiges Haus. In einem Dorf mit genügend Platz. Derzeit wohnen hier 14 Menschen verschiedener Nationalitäten. Dass Geflüchtete im Ort leben, erhitzte schon früh die Gemüter mancher EinwohnerInnen. 2017 errichtet, hätten damals diffuse Ängste die Runde gemacht, erinnert sich Gemeinderätin Gabel. Nachbohren, verstehen wollen, konkret fragen: "Wovor hast du denn genau Angst?". Ohne Dialog, ohne Begegnung gehe nichts, erklärt sie ihre Strategie. Doch längst nicht alle lassen sich auf dieser Ebene noch abholen.

Einer der prominentesten Rechtsextremen im Ort ist Oliver Hilburger. Bestens vernetzt in der braunen Szene, residiert der ehemalige Gitarrist der Neonazi-Band "Noie Werte" hier fernab des politischen Großstadtdschungels. Seit zehn Jahren will Mitbegründer Hilburger mit seinem Verein "Zentrum Automobil" extrem rechte Positionen am Arbeitsplatz salonfähig machen. Das ist zwar keine neue Strategie – bereits in der NS-Zeit lautete die Parole "Hinein in die Betriebe!". Der Erfolg kam trotzdem. Bei den letzten Betriebsratswahlen im März 2018 erreichte man im Werk Untertürkheim sechs von 47 Sitzen und etwa 13 Prozent der Stimmen.

Verwurzelt in der Gemeinde

Für die Vernetzung muss Hilburger dabei gar nicht weit fahren: Zahlreiche Mitglieder seiner "alternativen" Arbeitnehmervertretung wohnen genau hier – in Althütte. Einer seiner Kameraden im Ort ist Christian Schickart, der es auf die Betriebsrats-Liste von "Zentrum Automobil" geschafft hat. Dessen Frau Isabella war bis Anfang des Jahres zweite Vorsitzende des Waldkindergartens im Ort und betreibt zudem einen impfkritischen Stammtisch im Landgasthof "Schöne Aussicht", an dem auch Hilburger teilnimmt. Sascha Woll hat sich hier ebenfalls niedergelassen. Er war Mitglied der Stuttgarter Skinhead-Truppe "Kreuzritter für Deutschland", jetzt ist er bei "Zentrum Automobil". Woll wohnt mit seiner Frau Heike in einer ruhigen Seitenstraße, ein paar Hausnummern entfernt weht eine ramponierte Reichsfahne. Heike Woll beschwert sich gerne mal, dass "die Medien" am schlechten Image der NPD schuld seien – für die sie früher politisch aktiv war (Kontext berichtete).

Ein weiterer Akteur: Andreas Graupner. Er war damals Gitarrist bei "Noie Werte". Graupner, der 2000 noch in Chemnitz vom Verfassungsschutz observiert wurde, zog später von dort nach Althütte-Sechselberg. Ob er heute noch in dem Teilort der Gemeinde wohnt, ist der Öffentlichkeit nicht bekannt. Heike Woll, Andreas Graupner und Oliver Hilburger bezogen vor dem NSU-Untersuchungsausschuss Stellung. Denn die rechtsextreme Terrorgruppe NSU untermalte eine frühe Version ihres Bekennervideos mit deren Musik.

Dabei entpuppte sich Hilburger als regelrechter Scherzkeks: Im Landtag behauptete er, auf Konzerten der Band keine Hitlergrüße gesehen zu haben – die Scheinwerfer hätten so geblendet, da "kriegen Sie vom Publikum gar nichts mit".

Friedlich Bier trinken und die Welt ist in Ordnung

Und die BewohnerInnen von Althütte? Nichts gesehen, nichts gehört, nichts gewusst. Gemeinderätin Gabel führt beim Rundgang durch den Ort zu einem Fixpunkt für Bier, Schnitzel und Motorradliebhaber: "Eddis Biker-Residenz zum Löwen". Vergangenen Juli mauserte sich der hiesige Parkplatz zum Mittelpunkt politischer Auseinandersetzung. Die AfD wollte ursprünglich Rechtsaußen Markus Frohnmaier nach Backnang einladen, dann nach Althütte. Der Ort wurde geheim gehalten, das Treffen schließlich abgesagt. Die Demonstrierenden des Bündnis "Zusammen gegen Rechts Rems-Murr (ZgR)" bekamen Wind davon und kamen trotzdem. Vor Ort trafen sie auf einige AfDler, die sich in der Biker-Residenz ohne Frohnmaier einfanden.

AfD-Kreisrat Christian Throm aus Althütte meinte später, er wundere sich über die politische Kultur, die sie hier hätten. Gerangel auf dem Parkplatz, die Polizei mit vielen Einsatzkräften am Bikertreff, das sieht auch der Wirt nicht gern. Dass AfD-Vertreter bei ihm speisen, davon habe er im Vorfeld nichts gewusst, betont Gastronom Eddi. Lediglich eine normale Reservierung habe er angenommen. Wenn jeder friedlich sein Bierchen trinke, sei die Welt doch in Ordnung. Mit Kippe im Mundwinkel erklärt er, "niemanden ausgrenzen" zu wollen – AfDler eingeschlossen. Gabel hält dagegen: "Aber du gibst Verfassungsfeinden einen Raum. Du könntest doch zumindest Sticker an der Eingangstüre anbringen."

Schulterzucken, dann steigt ein behelmter Biersucher auf dem Fahrrad in die Diskussion ein. Eine tiefenpsychologische Gesellschaftskritik im Schweinsgalopp prasselt auf die Beteiligten ein. Das "Kapital" sei die wahre Gefahr, das größte Übel für die heutige Demokratie. Eher "Industriediktatur", differenziert Wirt Eddi dazwischen. Die Rechten? Sie würde der Radtourist hochkant rauswerfen. Hätte er denn eine Kneipe. Ihr Hass sei eigentlich Selbsthass, erklärt der Rentner aus dem benachbarten Hohenweiler. "Würde es keine Schwarzen, Ausländer oder Juden geben, dann würden die eben Eichhörnchen hassen", postuliert er. Der Fisch stinke immer vom Kopf her. Die Lösung? "Eine neue Gesellschaft schaffen", so der Mann. Gabriele Gabel lacht lauthals. Daran arbeitet sie seit über zwei Jahrzehnten.

Mehr Vorsicht im Rathaus

Dorf-Oberhaupt Reinhold Sczuka findet es "unangenehm", Rechtsextreme in seinem beschaulichen Ort zu haben. Dennoch gefällt es ihm hier. Seine Beschreibung des Ortes könnte aus einer Werbebroschüre stammen: "Dort leben, wo andere Urlaub machen." Der Althüttener Bürgermeister hatte vor über zehn Jahren eine persönliche Unterredung mit Oliver Hilburger. Die vermeintliche Distanzierung des ultrarechten Agitators von seiner Vergangenheit kaufte Sczuka ihm damals ab. Das mache er jetzt nicht mehr, sagt er.

Der CDUler scheint vorsichtiger geworden zu sein, auch den Namen des Autors habe er vor der Interview-Anfrage gegoogelt, erzählt er. Interessant ist, dass man Hilburger im April 2018 ins Mitteilungsblatt hievte. An prominenter Stelle samt Foto, denn er hielt einen "praxisorientierten Vortrag" über "heimische Heilpflanzen". Nur einen Monat zuvor berichtete das "Deutschlandradio" über dessen braune Vergangenheit, neurechte Vernetzungen und den Erfolg von "Zentrum Automobil" bei den Betriebsratswahlen. Das bekam im Rathaus offenbar niemand mit.

Immer wieder knistert es im braunen Gehölz des Schwäbischen Waldes. Als Gemeinderätin Gabel im April Osterhasen in der Isolierunterkunft für infizierte Geflüchtete verteilte, fuhren einige Rechte mit dem Auto vorbei. Hilburger, der mit seiner Vergangenheit selbst für einen Eintritt in die AfD zu weit rechtsaußen steht, filmte das Geschehen. Wenig später fand sich dann ein Video auf der Facebook-Seite des Fellbacher Neonazis und selbsternannten Aufklärers Michael Stecher.

Auch Reichsbürger Bergmann kommt von hier

Der Bürgermeister betont, dass Althütte nicht großartig anders sei als viele andere Gemeinden im Rems-Murr-Kreis. Das stimmt, schaut man sich etwa die Wahlergebnisse für die AfD in der Region an (Kontext berichtete). Mit 16,4 Prozent erreichten die Blauen zwar ein höheres Ergebnis als im Bundesdurchschnitt. Aber Althütte ist kein einsamer Spitzenreiter in der Gegend. Das ist eher Spiegelberg, mit kräftigen 22,6 Prozent AfD – ein statistischer Ausreißer nach oben. Bleibt die Frage: Warum ist gerade Althütte so ein beliebter Treffpunkt und Wohnort für die Szene? Gemeinderätin Gabel mutmaßt: "Es ist wie eine Tauchstation für Rechtsextreme." Das Bewusstsein in der Mitte der Bevölkerung fehle. Deshalb könne auch eine Reichsflagge hier ungestört wehen – weil niemand realisiere, dass es ein Ersatzsymbol vieler Rechter für verbotene NS-Symbole darstellt.

Eine bekannte Figur, die ihre Wurzeln in Althütte hat, ist Stephan Bergmann. Er war noch vor Kurzem Pressesprecher der "Querdenken 711"-Bewegung. Bergmann stammt aus dem Teilort Waldenweiler. Er ist Vorsitzender seines "Vereins für indianische Lebensweisen", der Seminare für Trommelbau und Sonnentanz anbietet. Außerdem hat er den Verein "Primus Inter Pares" mitgegründet, der vom Landesamt für Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft und der Reichsbürger-Szene zugeordnet wird. Die Rolle Bergmanns im Verein lässt sich jedoch kaum rekonstruieren. Führender Kopf der Gruppe ist Markus Hailer aus Schorndorf, zusammen mit Bergmann auf der Gründungsliste, die der Redaktion vorliegt. Hailer veranstaltet – momentan via Videokonferenz – Seminare, die selbst für moderate Verschwörungsideologen harte Kost sein dürften.

Er vertritt etwa die These, dass Angela Merkel "mit Hilfe künstlicher Befruchtung und sowjetischer Unterstützung 1954 durch tiefgefrorenes Sperma Adolf Hitlers gezeugt" wurde. Auch PDFs mit dem Sonnenrad, einem von Rechtsextremen verwendeten Symbol, finden sich auf seiner Website. Ein Besuch eines solchen Seminars vergangenen Oktober ergab vor allem: Langeweile. Über drei Stunden referiert Markus Hailer nahezu ununterbrochen klassische Reichsbürger-Thesen, verquickt mit rechtsesoterischem Geschwurbel. Inwiefern Stephan Bergmann mit Hailer nach wie vor in Kontakt steht, ist ungewiss. Eine Anfrage seitens Kontext hierzu ließ Bergmann unbeantwortet.

Die Propaganda endet nicht

Aufklärung hat sich Gabriele Gabel auf die Fahne geschrieben. Deshalb plante sie – gemeinsam mit Bürgermeister Reinhold Sczuka – eine Info-Veranstaltung über Rechtsextremismus für den 15. Mai dieses Jahres. Corona machte diesem Vorhaben einen Strich durch die Rechnung. Doch das werde man nachholen, versichert Sczuka. Der Rathaus-Chef scheint über die Jahre das Problem der rechten Umtriebe nach und nach erkannt zu haben, gibt sich bemüht.

Vor wenigen Wochen tauchten auf einem Kinderspielplatz reihenweise Sticker mit rassistischem und menschenverachtendem Inhalt auf. Direkt gegenüber: die 2017 errichtete Geflüchteten-Unterkunft in der Daimlerstraße. Die Klebepropaganda bestellten die Kameraden im Online-Shop von Sven Liebich, ein szenebekannter Neonazi aus Halle. Bürgermeister Sczuka stellte Strafantrag. Wehret den Anfängen, sagt Gabriele Gabel. Sie weiß, dass den rechten Kameraden das Rumstickern eines Tages vielleicht nicht mehr ausreicht.


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1 Kommentar verfügbar

  • S. Holem
    am 02.12.2020
    Antworten
    Wie wärs mal mit der gesetzlich vorgesehenen präventiven Polizeiarbeit (Gefährderansprachen etc.) - schliesslich sind viele der Erwähnten aktenkundige Naziaktivist*Innen???
    Ach nee, braucht man hier zum Glück nicht, denn es werden ja nur gesellschaftskonforme Aktivitäten gegen gesellschaftlich…
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