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Opernsanierung

Ein Bus voll BürgerInnen

Opernsanierung: Ein Bus voll BürgerInnen
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Eine Milliarde Euro soll die Sanierung der Stuttgarter Oper kosten. Das ist viel und vor allem hochumstritten. 40 zufällig Auserwählte sollen jetzt retten, was zu retten ist: Nach fünf Diskussionsrunden werden sie Mitte Dezember ein beratendes Votum zur Sanierung der Stuttgarter Oper vorlegen. Doch darum gibt es jetzt Knatsch.

Da haben sich zwei Seiten ineinander verhakt, die es eigentlich gut miteinander meinen. Er könne Frau Erler, Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung, gut leiden, sagt Wieland Backes, und sie ihn. Dennoch oder gerade deshalb hätten sie sich schon viele hitzige Debatten geliefert. Auf einen grünen Zweig kommen die beiden aber nicht, jedenfalls nicht jetzt, kurz vor Beginn der Diskussionsrunden zur Zukunft des Großen Hauses der Württembergischen Staatstheater. Backes, der frühere SWR-TV-Moderator mit der sanften Stimme kann auch Offensive. Den Bettel hat er hingeschmissen in der vergangenen Woche im Namen seines Vereins "Aufbruch" Stuttgart, weil "nicht einmal die Mindestanforderungen an heutige Standards bürgerschaftlicher Mitwirkung erfüllt sind".

Starker Tobak, den die Staatsrätin nicht auf sich sitzen lassen will. Zumal zum Jahresbeginn, vor Corona, wochenlang verhandelt wurde, um Backes und die Seinen am Tisch zu halten. Damals sei wenigstens noch vorgesehen gewesen, dem Zufallsgremium eine Stadtführung durchs Kulturquartier durch Arno Lederer, Architekt und mit im Vereinsvorstand von "Aufbruch Stuttgart", zu Teil werden zu lassen. Die fällt jetzt flach, weil wegen Corona alle Beratungen virtuell stattfinden. Dasselbe gilt für die zweite ursprünglich vorgesehene Führung, die der "Aufbruch" aber ohnehin nicht so richtig wollte: Die BürgerInnen sollten hinter die Kulissen des Opernhauses schauen dürfen, in beengte Probekammern, auf die betagte Hydraulik oder die uralten Elektrokabel unter dem undichten Dach, und von alledem befürchtete der "Aufbruch" so erschreckende Eindrücke, dass die BürgerInnen dem Vorhaben von Stadt und Land womöglich um einiges weniger kritisch begegnen würden. Immerhin erzielten beide Seiten dann doch noch Einigkeit: Führung gegen Führung. Die Teilnahme des "Aufbruch" am Verfahren schien gesichert.

Zehn Jahre lang 100 Millionen Euro

Durch den Wegfall beider Besuche sieht sich der Verein mit seinen rund 800 Mitgliedern –  unter ihnen auch viele S21-Fans – nun der Möglichkeit beraubt, das Kulturquartier gegenüber dem neuen Tiefbahnhof zu präsentieren. Die Idee ist der Gegenentwurf zu den Plänen von Stadt, Land und den Opernverantwortlichen, das Große Haus von Grund auf in Schuss zu bringen und die Zeit der Schließung in einem Interimsbau zu überbrücken. Dafür sollen die SteuerzahlerInnen zehn Jahre lang jeweils 100 Millionen Euro aufbringen – eben jene Milliarde, die so viele Emotionen in der Landeshauptstadt weckt.

Der "Aufbruch" setze, heißt es in einer der vielen Stellungnahmen zum heiklen Thema, "auf einen kostengünstigeren Alternativvorschlag, von dem nicht nur die Opernbesucher, sondern das ganze Kulturquartier und die gesamte Bürgerschaft profitieren". Kernpunkte dieses Konzepts sind der Verzicht auf eine Kreuzbühne und der Bau einer zusätzlichen Spielstätte mit modernster Ausstattung, die "zunächst als Interim für die Oper dient und nach Ende der Sanierungsphase als multipel zu nutzendes offenes Haus – Konzerte, technisch aufwendiges Musiktheater, Festivals, Preisverleihungen, anspruchsvolle Feierlichkeiten". Das sonst allgegenwärtige Transparenzgebot kann mit so viel Vielfalt nicht ganz mithalten. Denn das eine Gelände, das Marstall-Areal in der unteren Königstraße, müsste erst einmal erworben werden und für den zweiten möglichen Standort das Königin-Katharina-Stift weichen. Konkrete Realisierungsvorschläge fehlen. Außerdem wird ein Einsparpotenzial von 300 bis 400 Millionen Euro behauptet und eine Verkürzung der Bauzeit um bis zu drei Jahren.

Bürgerbeteiligung? Bis vor kurzem kein Thema

Backes nennt diese Zahlen "Schätzungen, die aber sehr nah an der Realität sind". Außerdem gehe es nicht nur um die Oper, sondern um die Entwicklung eines gesamten Quartiers, "das endlich eine klare, stadtplanerische Aussage trifft". Dass der "Aufbruch" hier einen anderen Teil der Stadtgesellschaft, organisiert in der Konzerthaus-Initiative ("Auf zu neuen Klangräumen"), nicht an seiner Seite hat, weil der die Idee eines derartigen Hybridbaus aus verschiedenen Gründen ablehnt, darunter akustischen, ist da noch eines der kleineren Probleme. 

Eines der viel größeren – für alle Beteiligten – ist, dass Bürgerforen etc. kein Thema waren, als anno 2009 die Sanierung des Littmann-Baus im Grundsatz beschlossen wurde. Seinerzeit hießen der Oberbürgermeister Wolfgang Schuster, der Ministerpräsident Günther Oettinger, der Finanzbürgermeister Michael Föll und der Finanzminister Willi Stächele (alle CDU). Keiner von ihnen hat auch nur ein Jota Zeit und Verstand darauf verwendet, die Stadtgesellschaft einzubeziehen. Spät, sehr spät will nun Staatsrätin Erler diese Scharte auswetzen – trotz der schlechten Erfahrungen, die sie bei nachträglicher Beteiligung auf den Fildern (zu Stuttgart 21) und im Nordschwarzwald (zum Naturpark) gemacht hat.

Statt auf Dialog, Befragungen oder Workshops hofft sie auf die ZufallsbürgerInnen als letzte noch einigermaßen sinnvolle Variante. Denn ein derartiges Gremium kann zu jedem Zeitpunkt zur Stellungnahme hinzugezogen werden. "Es ist in der Lage", heißt es in einer Kurzexpertise für den Bundestag, "in hohem Maße Gemeinwohlbelange abzubilden" und habe "in aller Regel weniger fixierte Interessen, um sie in einem Beratungsprozess strategisch durchzusetzen zu wollen". Backes will davon nichts wissen: "Wie soll ein Reisebus voller Menschen ein aussagekräftiges Meinungsbild liefern?", fragt er. Als Angriff auf Qualität und Kompetenz der ZufallsbürgerInnen möchte er das dann aber doch nicht verstanden wissen, sondern bloß als Bild dafür, "wie wenig Leute da jetzt zusammenkommen".

Auf die Größe komme es nicht an, sagt aber die Wissenschaft, wenn die Zusammensetzung nur klug gewählt wird, und der Zufall nicht ungesteuert, sondern in Gruppen, die Abbild der Gesellschaft sind, entscheidet. Und wenn endlich auch mal andere zu Wort kommen als die üblichen Verdächtigen – davon lebt die Idee. Das Ganze basiert auf der Erkenntnis, dass alle Menschen mit ihren Alltagskompetenzen bereichernd sind für solche Prozesse. Heikelste Fragen werden seit vielen Jahren in vielen Ländern, Regionen und Städten auf diese Weise gelöst, etwa, mit die berühmtesten Beispiele, Homo-Ehe und Abtreibung im streng katholischen Irland oder hierzulande die Neustruktur der Abgeordnetenpension, nach einem misslungen Hau-Ruck-Versuch im Parlament und zurecht viel öffentlicher Schelte.

Backes winkt ab

Grundlage des Vorgehens sind eingehende Informationen über den jeweiligen Sachverhalt. Und hier liegt im Stuttgarter Fall ein weiteres Missverständnis vor. Denn Backes will die Sanierung insgesamt noch einmal von vorn aufrollen und verlangt, dass die Alternativen – Kulturquartier einerseits und milliardenteure Littmann-Bau-Variante andererseits – gegenübergestellt werden. Das beißt sich aber mit den Vorstellungen der Politik- und Opernchefs, wonach die RatgeberInnnen aus dem Volk einen ungesteuerten Blick auf deren Pläne, auf die Berechnungen und die Sinnhaftigkeit werfen und ein beratendes Votum abgeben sollen.   

"Das Verfahren ist weltweit anerkannt", wirbt Erler fast flehentlich. Zu Wochenbeginn wurde noch einmal ein vergeblicher Versuch unternommen, den Aufbruch an den Tisch zu holen. Anlässlich eines Technik-Checks der 40 Beteiligten sei "mit großer Mehrheit" gebeten worden, "nochmals auf Sie zuzugehen" schreibt Ulrich Arndt, der Büroleiter der Staatsrätin, an den sehr geehrten Prof. Dr. Backes: "Das Bürgerforum würde Sie gerne wie vorgesehen hören." Der wiederum winkt definitiv ab und nennt das Programm "extrem parteiisch und interessengebunden, weil am ersten, mit Sicherheit stark meinungsbildenden, Tag, ausschließlich sechs Referenten mit identischer Grundhaltung sprechen". Und weiter: "Wir sind weder beleidigt noch leiden wir unter Profilierungssucht, wir wollen schlicht das Beste für unsere Stadt."

Zur einen Absage gesellte sich bereits eine zweite. "Haus und Grund" mit seiner CDU-Nähe – der Vorsitzende ist Ex-Bürgermeister Klaus Lang – will den Zoff um den "Hokuspokus", wie es in Kreisen der Immobilien- und Grundstücksbesitzer heißt, in den OB-Wahlkampf tragen. Zum Nutzen und Frommen des CDU-Kandidaten Frank Nopper soll der Grünen-Kandidatin Veronika Kienzle, die als frühere Erler-Mitarbeiterin verantwortlich war für den Beteiligungsprozess, dessen Scheitern vor die Tür gerollt werden – am besten, schon bevor er überhaupt begonnen hat. Diese Raketenstufe, heißt es drohend, wird rechtzeitig vor dem Urnengang am 8. November noch gezündet.

Jetzt starten am Freitag erst einmal die Beratungen mit Eingangsstatements von Erler, Kulturstaatssekretärin Petra Olschowski, Kulturbürgermeister Fabian Mayer sowie den beiden Intendanten Marc-Oliver Hendriks und Viktor Schoner. Am zweiten Tag werden Finanzierung und Berechnungsmethode vorgestellt und erläutert, warum auch nach Meinung externer Fachleute die Milliarde tatsächlich die Endsumme sein könnte. Erst danach kommen KritikerInnen zu Wort. Wahrscheinlich wäre es eleganter gewesen, ihre Stimmen früher einzubinden. Andererseits vermittelt Backes nicht den Eindruck, auf seine "Maximalopposition", so die interne Kritik im eigenen Verein, verzichten zu wollen.

Zumindest ein belastbares Indiz dafür ist die Reaktion auf Erlers Absicht, den ZufallsbürgerInnen die Argumente all derer, die der Einladung nicht mehr nachkommen wollen, von neutralen Dritten vortragen zu lassen. Aus Backes' Sicht hat das "die Anmutung unerträglichen Drucks": Durch die Hintertür solle so einer Sache der Segen gegeben werden, "die den Segen nicht verdient". Seine Forderung steht: Die Beteiligung abbrechen und 2021 neu starten. Das allerdings müsste im Aufbruch an der Basis auch erst einmal breit und ergebnisoffen diskutiert werden …


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1 Kommentar verfügbar

  • Martha Reiser
    am 14.10.2020
    Antworten
    Stuttgarts Daseinsvorsorge besteht darin, Kitaplätze anzubieten, die heruntergekommenen und versifften Schulen unserer Kinder zu sanieren und Radwege zu bauen.

    1 Milliarde Euro für ein Opernhaus? Das ist schlichtweg maßlos, obzön und nicht vermittelbar. Es hält keiner Verhältnismäßigkeit stand.
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