Eine zweite bezeichnende Episode, so Rechtsanwältin Kuckuk vor Gericht, war der Abschluss einer Ergänzungsvereinbarung vom November 2012 zum ursprünglichen Arbeitsvertrag, in der Sandra D. eine Stelle als Redaktionsleiterin zugesagt wurde. Das Wichtige an dieser Vereinbarung ist deren Präambel, in der ausgeführt wird, dass damit das Thema sexuelle Belästigung ad acta gelegt werde. Doch auch hier vollzog der SWR eine Kehrtwendung: Wieder hielt der Sender seine vertraglichen Zusagen nicht ein. Seit 2012 bis heute wird D. nicht vertragsgemäß beschäftigt. Als sie nach dem Verlust ihres Arbeitsbereichs 2019 – unter der Regie des neuen Intendanten Kai Gniffke – auch noch finanziell zurückgestuft wurde, sah sie keine andere Chance mehr, als gegen den Sender zu klagen. Ihr Resümee vor Gericht: "Ich war dem SWR immer verbunden, aber nach alldem hatte ich den Glauben an das Gute verloren."
Dem Vertreter des SWR, Rechtsanwalt Gerd Feuerstein aus Baden-Baden, war die ganze Geschichte der sexuellen Belästigung sichtlich zuwider und unglaubhaft: "Sie haben dem Sender nie gesagt, um was es bei der sexuellen Belästigung konkret ging." Eine verwegene These, hat doch Sandra D. vor Gericht ausgeführt, es gäbe genügend Zeugen dafür, dass die Senderleitung, das heißt auch der Intendant, "sehr konkret" über die Geschehnisse informiert wurde.
Richterin mahnt Einigung an
Feuerstein bemängelte, dass der Vorfall nie strafrechtlich angezeigt wurde – der angeschuldigte leitende Mitarbeiter sei eh schon pensioniert. Ein Raunen ging durch die Zuschauer im Gerichtssaal, als der SWR-Anwalt dann ziemlich missgelaunt "den untergeschobenen Benachteiligungsvorwurf" bestritt, das sei alles "reine Fiktion": "Beim SWR wird niemand benachteiligt, der sich beschwert." Da verdrehte die Richterin die Augen. Ansonsten hatte Feuersteins hastig formulierter Vortrag nicht gerade Überzeugungskraft.
Die Prozesstaktik des SWR scheint klar: Das Thema sexuelle Belästigung spielt für den Arbeitgeber in diesem Verfahren keine Rolle. Ausschlaggebend sind die arbeitsrechtlich relevanten Fakten wie die vorliegenden Verträge – insbesondere in ihrer zeitlichen Ausgestaltung: unbefristet in den Grundverträgen und befristet in den Zusatzverträgen, so die Ausführungen Feuersteins. Damit und mit der Umgestaltung der TV-Programmstruktur begründet der Sender die Degradierung von Sandra D. – versehen mit der Aussage, dass die Stelle einer Redaktionsleiterin durchaus noch im Bereich des Möglichen sei. Wie das genau aussehen soll, darüber gab es allerdings keine Informationen.
Die Klägerseite sieht das naturgemäß anders und beharrt vor allem auf der Vorgeschichte der gesamten Entwicklung des Arbeitsverhältnisses, auf der Unbefristetheit der Arbeitsverträge und auf deren Gültigkeit. Die Richterin ließ erkennen, dass sie, wohl auf der Basis der vorliegenden Schriftsätze, durchaus gewillt ist, die Argumente der Klägerin ernst zu nehmen. Sie appellierte an beide Parteien, sich gütlich zu einigen. Rechtsanwalt Feuerstein will für den SWR "nichts ausschließen", zeigte sich aber "sehr skeptisch". Die Klägerseite hat einem Güteverfahren zugestimmt.
Da könnte noch mehr kommen
Das harte Auftreten des SWR-Vertreters lässt kaum glauben, dass ein schnelles und einvernehmliches Ende bevorsteht. Sowohl bei Sandra D. als auch in der Sache Joachim L., der schon im Güteverfahren ist, kann vermutet werden, dass sich der SWR hier zweier lästiger Mitarbeiter entledigen will. Während der Verhandlung gab es immer wieder Andeutungen, es könnten im künftigen Verlauf der beiden Verfahren noch Dinge öffentlich werden, die dem SWR und seiner Glaubwürdigkeit Schaden zufügen.
Was auf den Sender noch alles zukommen könnte, hat gerade beispielhaft der SWR-Personalratsvorstand Stephan Newerla mittels einer Richtigstellung in der "Stuttgarter Zeitung" vom 2. Oktober vorgeführt. Er moniert, dass in einem Artikel in der StZ vom 30. September der Eindruck entstehen konnte, der Personalrat des SWR sei in der Angelegenheit von Sandra D. nicht tätig geworden. Im Gegenteil, so Newerla: "Die damalige Beauftragte für Chancengleichheit und die damalige Vorsitzende des Personalrats haben unverzüglich reagiert und umgehend Gespräche mit dem Intendanten, dem Justiziar und Verantwortlichen in der Personalabteilung des SWR geführt. Die Notlage der Redakteurin wurde allen verantwortlichen Stellen eindringlich geschildert. Dass sich die Behandlung der Angelegenheit über Jahre hinzog, hat nicht der Personalrat zu verantworten."
Das ist die endgültige Blamage für Ex-Intendant Boudgoust und seine Mitstreiter mit ihrem Versuch, einen Fall sexueller Belästigung "unter die Tischdecke zu kehren", ihn als nicht geschehen abzuheften. Manchmal sind eben die Lügen der Chefs in ihrer Wirkung und Dauer kürzer befristet als die Arbeitsverträge ihrer Untergebenen.
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Pb
am 07.07.2021