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Lenk-Denkmal

Stuttgart mit Laokoon

Lenk-Denkmal: Stuttgart mit Laokoon
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Endlich ist es entschieden. Endlich ist es sicher. Der "Schwäbische Laokoon", das fast zehn Meter hohe Anti-S-21-Kunstwerk des Bildhauers Peter Lenk, wird in die Landeshauptstadt ziehen. Das freut Menschen aus Kunst und Politik – sogar, wenn sie keine Lenkfans sind.

Ein gewichtiger Beitrag zur Landesgeschichte sei's, das Denkmal von Bildhauer Peter Lenk, schrieb der "Südkurier" kürzlich. Und tatsächlich bringt die ganze üble Geschichte um Stuttgart 21 eine Menge Kilos auf die Waage und vor allem eine beträchtliche Größe mit: Fast zehn Meter hoch wird der "Schwäbische Laokoon" in den Himmel ragen, der statt mit Schlangen mit einem sich windenden ICE ringt. Auf seinem Sockel wird demonstriert, eine Tunneltaufe gestürmt und im S-21-Freibad baden die Leut'. Über dem Kopf des Laokoon schweben die für das Jahrhundertloch mitten in Stuttgart verantwortlichen Manager und Politiker in luftigen Höhen, im "Wolkenkuckucksheim", wie Lenk es nennt.

Aufgestellt werden sollte die Skulptur, Untertitel: "Chronik einer Entgleisung", eigentlich vor dem Stuttgarter Hauptbahnhof. Das war zumindest die Idee des Künstlers. Nun ist es doch der Vorplatz des Stadtpalais geworden, schräg gegenüber des Landtags. Und nach diversem Hickhack mit der Landeshauptstadt, die sich zuletzt nicht so ganz sicher war, ob sie einen im wahrsten Sinne herausragenden Lenk haben möchte. Und dann auch noch zu Stuttgart 21.

Jetzt kommt er aber, der Lenk, die manifeste Würdigung eines nimmermüden Bürger-Protests, zehn Jahre nach dem verhängnisvollen Polizeieinsatz im Stuttgarter Schlossgarten, bei dem der Widerstand gegen das Bahn-Projekt mit Wasserwerfern weggefegt worden war.

In der vergangenen Woche war es so weit: Die Stadtoberen und die Fraktionsvorsitzenden im Gemeinderat gaben ihr Plazet. Noch im Oktober werden zwei Schwerlasttransporter den Laokoon aus Lenks Werkstatt am Bodensee in die Landeshauptstadt transportieren, dort wird er dann auf einem eigens gegossenen Betonfundament aufgestellt. Wer genau alles auf dem neuen Stuttgarter Kunstwerk abgebildet sein wird, ist geheim. Auch die Personalie des Laokoon selbst ist höchstgeheime Verschlusssache und das bis zur offiziellen Enthüllung.

Stehen darf das Werk, das komplett aus Spenden finanziert wird (aktuell befinden sich 112.372 Euro von insgesamt 769 SpenderInnen im Topf), bis zum 30. März 2021, dann muss es wieder weg, meint die Stadt. Da schließen wir mit den weisen Worten der Stuttgarter Schauspielerin und Intendantin Eva Hosemann: Ein Denkmal, sagt sie, sei ja schön und gut. Ein "Denk-Immer" wäre aber noch besser.


Brigitte Lösch,
Landtagsabgeordnete (Grüne) von Baden-Württemberg, bis 2016 Landtagsvizepräsidentin:

"Zehn Jahre nach dem Schwarzen Donnerstag: Das ist ein guter Zeitpunkt, um das S-21-Denkmal von Peter Lenk einzuweihen. Die Stadt kann dankbar sein, dass ein so renommierter und überregional bekannter Künstler ein Werk für Stuttgart geschaffen hat und kein Geld dafür möchte, sondern lediglich einen Standort. Der Platz vor dem Stadtpalais scheint mir ein guter Platz zu sein."


Walter Sittler,
Schauspieler, Stuttgart-21-Gegner:

"Frei nach Erich Kästner – und weil's so gut zu S 21 passt: Wenn ein Kolonialwarenhändler in seinem kleinen Laden so viele Dummheiten und Fehler machte, wie die Staatsmänner und Manager in ihren großen Ländern, dann käme er ganz und gar nicht ins goldene Buch der Geschichte, sondern ins Kittchen. Aber die Weltgeschichte kann ja nicht genug kosten. Deshalb brauchen wir das S-21-Denkmal von Peter Lenk in Stuttgart."


Susanne Heydenreich,
Schauspielerin und Intendantin:

"In endlos vielen Montagsdemos hat der gemeinsame Protest vieler Bürger sie über Jahre hinweg in der gemeinsamen Sache geeint. Auch wenn wir S 21 damit nicht verhindern konnten – der Protest lebt in den Herzen weiter und die Erinnerung an diese vielen Tausend Menschen, die sich über Jahre hinweg am Bahnhof zusammenfanden, verdient es, auch von nachfolgenden Generationen durch ein Denkmal des Protestes im Gedächtnis behalten zu werden. 'Was wir brauchen, sind ein paar verrückte Leute; seht euch an, wohin uns die Normalen gebracht haben.' (George Bernhard Shaw)"


Anna-Katharina Hahn,
Schriftstellerin:

"Ich bin kein großer Fan von Peter Lenks Arbeiten, mir gefallen in der Kunst zweideutigere, subtilere Werke besser. Das geplante Denkmal halte ich trotzdem für notwendig, denn der Kampf um Stuttgart 21 hat die Stadt so stark geprägt, dass es unfair gegenüber dem Protest wäre, wenn am Ende nur der neue Bahnhof zu sehen ist. Stuttgart kann einen Lenk gut verkraften."


Eva Hosemann,
Schauspielerin und Intendantin:

"Denkmal – wir brauchen dieses 'Denk-Immer' für die, die nicht nur mal denken, sondern immer."


Edzard Reuter,
ehemaliger Daimler-Chef, Kontext-Beirat:

"Niemand kann bestreiten, dass das Projekt Stuttgart 21 von grundlegender Bedeutung für die Landeshauptstadt ist. Für die einen gilt es als Symbol des Fortschritts. Andere, wie ich, halten die Beschlüsse, die dazu geführt haben, für einen politischen Skandal. Die Skulptur von Peter Lenk macht diesen tiefgreifenden Konflikt für alle sichtbar. Sie muss dort stehen, wo die Auseinandersetzung ihren Ursprung hat: in Stuttgart. Eine demokratische Stadtgesellschaft findet auf diese Weise eine großartige Möglichkeit, sich selbst ein Denkmal zu setzen."


Winfried Hermann,
baden-württembergischer Verkehrsminister (Grüne):

"Ich finde es großartig, dass Peter Lenk dieses hochumstrittene Projekt und die dafür Verantwortlichen in eine Skulptur gießt. Damit ist die Nachhaltigkeit gesichert. Sie sollte natürlich dorthin, wo alles angefangen hat: nach Stuttgart. Und zwar zentral und nicht versteckt-verschämt. Die Kunst in einer Demokratie ist frei – wie die Rede und die Meinung."


Frl. Wommy Wonder,
Travestiekünstler, Kabarettist:

"Ich halte das Denkmal für Stuttgart für wichtig, weil es durch die Art der Darstellung Gegnern und Befürwortern gleichermaßen ermöglicht, ihre eigene Interpretation der Thematik in der Skulptur wiederzufinden – das regt zum Gespräch an und kann dazu führen, erstarrte Fronten aufzuweichen und eine offene, gleichberechtige Diskussion zu führen. Wäre schön, wenn Kunst dergleichen bewirken würde ..."


Bernd Riexinger,
Bundesvorsitzender der Partei Die Linke:

"Der Protest gegen S 21 hat die politische Kultur, aber auch das Zusammenleben in Stuttgart positiv verändert. Auch wenn es nicht gelungen ist, das Projekt zu verhindern, der Protest bleibt weiter bestehen. Das muss sich auch in der Kunst und Kultur ausdrücken. Zumal der Künstler Peter Lenk mit seinen bisherigen Werken durchaus erfolgreich war. Seine Imperia wurde sogar zum Wahrzeichen von Konstanz. Die Stadt Stuttgart kann sich also mit diesem Kunstwerk durchaus schmücken."


Veronika Kienzle,
Bezirksvorsteherin von Stuttgart-Mitte (Grüne):

"Peter Lenk will ein Denkmal vor das Stuttgarter Stadtpalais stellen, das sich mit einem Stuttgarter Projekt und Trauma befasst: mit Stuttgart 21, symbolisiert durch einen schwäbischen Laokoon. Die Zeiten sind ernst, wir stecken in vielfachen Krisen. Gerade deshalb sind solche satirischen Einfälle und Eingriffe in unsere zubetonierten Stadträume überlebenswichtig, weil sie unsere kritische Phantasie beflügeln."


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2 Kommentare verfügbar

  • Martina Auer
    am 05.10.2020
    Antworten
    Was, sonst keine Kommentare? Muss man sich Sorgen machen um die einstmals so kritischen Stuttgarter? Wieder alles wie vorher, auch das ist halt Stuttgart...
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