KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Burschenschaft Normannia

Honorige Altherren und junge Patrioten

Burschenschaft Normannia: Honorige Altherren und junge Patrioten
|

Datum:

In Heidelberg macht eine Burschenschaft namens Normannia mit seltsamen Ritualen und antisemitischen Attacken von sich reden. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft und statt Salamander wird nun Empörung "gerieben".

Im Haus der Heidelberger Burschenschaft Normannia, unterhalb des Schlosses, hat sich vom 28. auf den 29. August eine bunte Schar junger Männer aus verschiedenen studentischen Verbindungen versammelt. Sie taten das, was bei derart Veranstaltungen an der Tagesordnung ist: gemeinsam diverse "Salamander reiben", laut Wikipedia eine "akademische Trinkkultur: das Reiben der Gläser auf dem Tisch vor und/oder nach dem gemeinsamen Trinken".

Doch dabei bleibt es nicht. Als der 25-jährige Philipp S., Mitglied der Landsmannschaft Afrania Heidelberg (in der auch Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl Alter Herr ist), die jüdischen Vorfahren in seiner Familie erwähnt, so gibt er später bei der Polizei zu Protokoll, wird er mit antisemitischen Sprüchen und Schmährufen bedacht, mit Münzen beworfen und am Ende mit Gürteln geschlagen. Dabei erleidet er leichte Verletzungen. Philipp S. flüchtet und erstattet sofort Anzeige. Eine Razzia der Polizei ergibt "umfassendes Beweismaterial". Gegen acht Personen, darunter eine Frau, werden Ermittlungen eingeleitet.

Danach beginnt eine denkwürdige Odyssee durch deutsche Befindlichkeiten und Routinen. Nach der Anzeige bleibt die Polizei erst einmal stumm. Obwohl sie zumindest in Heidelberg dafür bekannt ist, jede Verkehrsübertretung, und sei es die Tatsache, dass ein Hund bei Rot über die Ampel spazierte, mit einer sofortigen Pressemeldung zu würdigen. Der antisemitische Anfall bei der Normannia wird erst bekannt, nachdem die Antifaschistische Initiative Heidelberg (AIHD) Anfang September auf ihrer Website und in einer Pressemeldung darüber berichtet.

Inzwischen läuten bei den Alten Herren der Normannia die Alarmglocken, angebliche Empörung macht sich breit. Eine blitzschnell einberufene Versammlung der Alten Herren beschließt die Auflösung der Aktivitas, also der im Haus lebenden Studentengruppe. Die Homepage der Normannia ziert jetzt eine Erklärung des Vorstandes der Normannia, Gunnar Heydrich: "Wir dulden keinen Antisemitismus." Heydrich ist interessanterweise just an jenem Abend im Normannia-Haus, als die Zustände eskalieren. Er will von alledem nichts mitbekommen haben, weil er in einem anderen Teil des Hauses weilte, so Normannia-Sprecher Egon Manz in einem Telefonat mit Kontext.

Burschenschaftliche Verwirrung

Am 8. September fühlt sich auch die Polizei gemeinsam mit der Staatsanwaltschaft bemüßigt, in einer Pressemitteilung über den Vorfall zu informieren, unter anderem mit folgender Erkenntnis: "Es zeichnet sich ab, dass es sich bei dem Schlagen mit den Gürteln, der sogenannten 'Gürtelung', um ein gängiges Ritual der tatverdächtigen Personen handeln soll." Woher die Polizei dieses Wissen hat, wird nicht gesagt. 

Die Heidelberger Staatsanwaltschaft kommt zwei Wochen später auf Kontext-Nachfrage zu folgendem vorläufigen Ergebnis: "Wohl aber gibt es Ermittlungserkenntnisse, die dafür sprechen könnten, dass das Schlagen des anderen mit einem Gürtel im Rahmen 'geselliger' Veranstaltungen unter den konkret beteiligten Studenten nicht zum ersten Mal stattgefunden haben könnte. Der gesicherte und ausgewertete WhatsApp-Verkehr zwischen einem Mitglied der Burschenschaft und dem Verletzten im Vorfeld der Tat könnte zudem möglicherweise den Schluss zulassen, dass dieser unter der Prämisse zu der Veranstaltung auf dem Verbindungshaus der Normannia eingeladen wurde, dass er damit einverstanden sei, in diesem Rahmen von den Gastgebern 'gegürtelt' zu werden. Der Verletzte bestreitet freilich, die WhatsApp-Nachrichten des Burschenschafters so verstanden zu haben, dass ihm Schläge drohten, geschweige denn, dass er mit diesen einverstanden gewesen sei. Die weitere Erhellung des Vorganges muss den weiteren Ermittlungen vorbehalten werden, welche noch nicht abgeschlossen sind."

Biedermänner und Brandstifter

Die Auflösung der Aktivitas der Normannia leitet der bereits erwähnte Egon Manz. Der ehemalige und seit 2018 pensionierte Mannheimer Kriminalhauptkommissar hat sich vor Jahren regional mit seltsamen Sprüchen bekannt gemacht. Etwa als der "Mannheimer Morgen" über einen Mann aus Gambia berichtete, der freiwillig Bürger- und Rinnsteine putzt. Manz bezeichnete den Mann als "fleißigen Neger", der in der Presse "vorgeführt" werde. Oder als er sich in einer internen Mail bei seinen Polizei-Kollegen über "Gesocks" beklagt, bei dem man schon mal über einen "angemessenen Schusswaffengebrauch" nachdenken müsse. Beide Vorfälle sind im "rheinneckarblog" vom Dezember 2016 und März 2017 dokumentiert. Manz bedauert danach öffentlich seine "missverständlichen und undifferenzierten" Äußerungen.

Manz war früher schon Altherren-Sprecher der Normannia und in seiner Zeit als Mitglied der rechten Verbindung Salamandria, Dresden, unter dem Trinknamen "Wotan" geführt. Er war lange Zeit führender Polizeigewerkschafter und ist heute stellvertretender Vorsitzender des Mannheimer Kreisverbandes der CDU, mit Ambitionen für höhere politische Ämter. Manz will die Normannia aus den Schlagzeilen holen und signalisiert im Gespräch mit Kontext "vollumfängliche Kooperation bei der Aufklärung". Er ist überzeugt, dass das skandalöse Ereignis mit antisemitischen Schmähungen und sogenannter Gürtelung nur eine Ausnahme des Burschenschaftslebens in der Normannia war. "Wir haben von alldem nichts mitbekommen", so Manz. Er beschwört die "gute" Geschichte der Burschenschaften aus dem 19. Jahrhundert mit ihrem "Streben nach Demokratie und nationaler Einigung".

Hier bietet sich ein Blick auf die Alten Herren der Normannia an. Laut Bundesbruder Manz alles "honorige Personen", mit denen es ihm Vergnügen bereitet, gemütlich beisammen zu sein, zu "Kneipen", diese "Art der Subkultur" zu genießen. Honorig sind oder waren demnach unter anderem folgende Personen aus dem Kreis der 96 Normannia-Altherren: Christian Wirth, AfD, Mitglied des Bundestages; Klaus Goebel, Rechtsanwalt, Mitglied der "Hilfsgemeinschaft Freiheit für Rudolf Hess" und Verteidiger von Holocaust-Leugnern wie David Irving; Michael Paulwitz aus Stuttgart, ehemaliger Republikaner-Funktionär, Co-Autor eines Buches mit dem völkisch-identitären Verleger Götz Kubitschek; Christian Schaar, Unternehmer und Funktionär der extrem rechten "Jungen Landsmannschaft Ostdeutschlands" mit guten Kontakten in die rechtsradikale Szene. Seine Frau Claudia (ehemals: Walter) war Sängerin des Neonazi-Musik-Duos "Eichenlaub", das 1999 ein Solidaritäts-Lied auf das damals untergetauchte Mörder-Trio Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos (NSU) publizierte. Tenor: "Wir denken oft an euch".

Niemand bemerkt rechtsextreme Umtriebe

Dies ist nur eine Auswahl der illustren Alten Herren der Normannia, zu der auch Manager, Journalisten und Rechtsanwälte gehören und die auf diversen Internetportalen der Antifa akribisch dokumentiert sind – unter der Rubrik "Heidelberger Biedermänner und Brandstifter". Sind diese honorigen Herren tatsächlich völlig ahnungslos, was die Geschichte der Normannia betrifft mit ihren vielen braunen Flecken? Wissen sie wirklich gar nichts von öffentlichen Statements der Normannia-Aktiven? Zum Beispiel "Wir müssen uns nicht schämen, Deutsche zu sein, und wollen nicht mehr vor Juden buckeln", wie 1993 in der Heidelberger Studentenzeitung "Ruprecht" zu lesen war. Oder von Flugblättern, die Normannia-Studenten 2000 in der Heidelberger Fußgängerzone gegen das "jüdische Finanzkapital" verteilten, wie das Portal "linksunten.indymedia" meldet?

Es wäre schon sehr merkwürdig, wenn sie nie mitbekommen haben, dass im Normannia-Haus am Heidelberger Schloss über Jahre hinweg unzählige Abende mit Vertretern der versammelten Rechtsextremen stattgefunden haben – von der Pius-Bruderschaft über regionale AfD-Strukturen oder auch Kubitscheks "Institut für Staatspolitik" bis zur Identitären Bewegung (IB). Oder dass Normannia-Studenten im Januar 2019 an einem Überfall auf das Mannheimer Jugendzentrum Ewwe Longt's beteiligt waren, was nach Polizeiermittlungen dazu führte, dass der Schülerfux Leon S. im Sommer 2019 gehen musste.

Der 18-jährige Leon S. ist ein Paradebeispiel dafür, mit welcher Verzweiflung über fehlenden Nachwuchs manche Burschenschaften neue Mitglieder keilen – und welche Reserven bereitstehen. Egon Manz, bei vielen Aufnahmegesprächen anwesend, postuliert dabei im Gespräch mit Kontext den Wunsch nach Kandidaten mit vorfindbarem "positiven Patriotismus" statt einem "schlechten Chauvinismus". Wo da genau die Grenze ist, so Manz, sei nicht einfach und müsse immer wieder neu geklärt werden: "Wir müssen da einfach aufpassen, der Spruch der Urburschenschaft 'Ehre, Treue, Vaterland' gilt aber auch heute immer noch."

Leon S. jedenfalls war im Vorstand der baden-württembergischen Jungen Alternativen (JA – AfD), andere JA-Mitglieder kamen regelmäßig in die Normannia-Burg. Wieder andere sind aktiv in der Identitären Bewegung, grüßen sich mit "Heil Hitler" und zeigen sich verstimmt, als daraufhin ein Bußgeld von 50 Euro für jeden Hitlergruß erhoben wird – einzuzahlen in die Burschenschaftskasse. Der Aktiven-Sprechen Kilian D., so die Antifa Freiburg auf ihrer Internetseite, soll sich zeitweise am Telefon mit "Heil Hitler" gemeldet haben.

Dies alles sowie Rempeleien und Schmähungen untereinander oder mit anderen Burschenschaften sind auch in jenem Abschiedsschreiben zu finden, das der geschasste Leon S. am 30. August 2019 an den Vorstand der Alten Herren nach seinem Rauswurf schickt und das Kontext vorliegt. Aber nichts geschieht. In einer Konventssitzung wird das Thema nur am Rande angesprochen, sagt Leon S., obwohl spätestens dann die Alten Herren Gelegenheit gehabt hätten, wildgewordene Jungpatrioten wie Luis S. an die Kandare zu nehmen. Doch gerade dieser Hauptbeschuldigte Luis S. ist einer von Zweien, die noch im Normannia-Haus leben, "weil er einen Mietvertrag hat", so Egon Manz.

Der Heidelberger Lehrer Michael Csaszkóczy, ein Kenner der Heidelberger Burschenschaftsszene und streitbarer Antifa-Aktivist, warnt im Gespräch mit Kontext davor, sich Illusionen darüber zu machen, dass sich Gruppen wie die Normannia entscheidend verändern: "Als kontinuierliches Motiv zieht sich durch die Geschichte der Normannia Heidelberg ein entschiedener Antisemitismus. Auch eigentlich unvereinbare Positionen sind bei den Veranstaltungen der Normannia willkommen, solange sie diesem zentralen Anliegen dienen: Ob neonazistische Holocaustleugner, arabische Antisemiten oder der Generalobere der ultrakatholischen Piusbruderschaft – sie alle werden in den wahnhaften antisemitischen Kosmos der Normannia eingebunden. Die Kontakte reichen dabei bis ins rechtsterroristische Milieu."


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


5 Kommentare verfügbar

  • Joachim
    am 26.09.2020
    Antworten
    Achtung, unsachlich! Die Nachwuchsprobleme scheinen schon alt zu sein... In den 90ern prangte am Hörsalprovisorium auf dem Stuttgarter Unicampus ein unübersehbares Graffito, das es schön auf den auf den Punkt brachte: Lieber ein Geschwür am After, als ein Burschenschafter.
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!