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Querdenker

Welle machen

Querdenker: Welle machen
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Es gibt durchaus gute Gründe, mit der derzeitigen Corona-Politik uneins zu sein. Was auf der Querdenker-Demo in Stuttgart verbreitet wird, sind keine. Der Initiator spricht eine Einladung an Donald Trump aus. Ein esoterischer Polizist verneint die Existenz der Verfassung, und ein Oberleutnant a.D. stellt dem Militär die Gewissensfrage.

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Michael Ballweg strahlt wie ein Honigkuchenpferd. Die Galionsfigur der Stuttgarter Querdenker hat einmal durchgezählt und kommt auf 53 Menschen, die bei seiner Demo mitmachen, "das ist auch die offizielle Zahl für die Presse". Kleiner Scherz. Tatsächlich haben sich am vergangenen Samstag um die 2000 Personen zum Corona-Protest im Schlossgarten der Landeshauptstadt eingefunden, angesichts der drückenden Temperaturen größtenteils dicht gedrängt um die heißbegehrten Schattenflächen.

Ballweg spielt auf die Berichterstattung zum Berliner "Tag der Freiheit" an, bei dem er eine Woche zuvor mitmischte,  und über den viele Medien Teilnehmerzahlen verbreiteten, die ihm zu niedrig vorkommen. Der "Demokratische Widerstand", das Blatt, das auf Querdenker-Demos gratis verteilt wird, berichtet hingegen, die "größte Demonstration Deutschlands im 21. Jahrhundert am 1. August 2020 rief Erinnerungen an den Mauerfall wach", bei diesem historischen Ereignis "versammelten sich nach Polizeiangaben vom Sonnabend 1,3 Millionen Menschen in der Bundeshauptstadt gegen das Corona-Regime". Rückfrage bei der Berliner Polizei: Diese Angabe stamme nicht von ihr, sie bleibt bei ihrer Schätzung von circa 20.000 Teilnehmenden in der Spitze.

"Von Monat zu Monat lernt man mehr von der DDR", leitet Ballweg seine Rede in Stuttgart ein. "Die dreiste Kleinrechnung der Teilnehmerzahlen der Demo vom 1. August durch die Berliner Polizei entspricht in etwa dem Geschwätz von der Zusammenrottung einiger weniger Rowdys, mit der die DDR-Medien anfangs die Demonstrationen im Herbst 1989 kleinrechneten." Der Querdenken-Initator, der im November Stuttgarts nächster Oberbürgermeister werden möchte, zitiert damit Arnold Vaatz, den stellvertretenden Vorsitzenden der Unionsfraktion im Bundestag, der diese historischen Parallelen in einem Gastbeitrag für das rechtspopulistische Onlineportal "Tichys Einblick" zog. 

"Lieber ein Spinner sein"

Insgesamt fällt es schwer, sich ein Szenario auszumalen, bei dem ein vergleichbares Personenspektrum zusammenfinden könnte. Ein paar sind mit Friedens- und Regenbogenflaggen unterwegs, ein anderer hält ein Schild hoch: "Mainstream-Media = wieder Holokaustkomplizen". Da sind ältere Damen, die einen Impfzwang ablehnen; Jesus-Fans und Mönche; Menschen, die sich mehr Spiritualität in der Politik wünschen; Menschen, die sich in der veröffentlichten Meinung mehr abweichende Standpunkte unter Experten erhoffen; der Querdenken-Pressesprecher Stephan Bergmann, der im Netz vor einer "Vermischung der Rassen" warnte, weil das den Intelligenzquotienten der weißen Bevölkerung gefährde, dies dann leugnete, aber vom "Tagesspiegel" widerlegt wurde; ein Punk mit Anti-AfD-Shirt geht nicht mehr einkaufen und zum Fußball und fährt nicht mehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln, weil er dann eine Maske tragen müsste; Hippies; Leute, die anfingen, sich für Politik zu interessieren, als sie nicht mehr feiern gehen durften. Es ist kaum möglich, unter den gemeinsam Demonstrierenden eine Art Konsens auszumachen, abgesehen vielleicht von dem Verlangen: Gebt uns unser altes Leben zurück!

Auf der Rednerbühne sorgt die einfache Nennung der Vokabeln "Friede", "Freiheit" und vor allem "die Wahrheit" mit Erfolgsgarantie für euphorischen Beifall. "Merkel", "Spahn", "Lauterbach", "Bill Gates" und "die Presse" sichern dem Auftritt hingegen ausgiebige Pfeifkonzerte, angeekelte Buh-Rufe und bisweilen eigenartige Grunzlaute.

Für große mediale Resonanz hat der Auftritt des Satirikers Florian Schroeder gesorgt, der ausprobieren wollte, wie viel Meinungsfreiheit die Stuttgarter Querdenker aushalten. Die Gelegenheit, von der Bühne aus zu sprechen, nutzte er, um dem Publikum klarzumachen, dass er Corona für eine reale und gefährliche Krankheit hält und das Maskentragen als sinnvolle Gegenmaßnahme anerkennt (aus dem Publikum kontert einer: "Buh! Bist du für die Diktatur?!"). In einem Beitrag für die NDR-Satiresendung "Extra 3" erläutert der Kabarettist, wie es dazu kam, dass er von den Querdenkern eingeladen worden ist. Offenbar haben die Aneinanderreihung einiger Standardphrasen aus dem Coronagegner-Wortschatz und eine positive Bezugnahme auf  Wolfgang Wodarg ausgereicht, die kritischen Köpfe davon zu überzeugen, auf der selben Seite zu stehen.

Während Schroeders Rede bereits viral gegangen ist, lohnt sich auch ein Blick auf die anderen Bühnenbeiträge vom vergangenen Samstag. Da ist etwa Thomas Bauer, Oberleutnant a.D., der 600 Kilometer angereist ist, um zu berichten, dass ihm "Mitte März vieles deutlich und klar geworden ist", nämlich: "Hier stimmt was nicht". Die Herleitung: "Wenn jede Zelle in meinem Körper und jede Synapse in meinem Hirn Alarm ruft, dann kann und muss was nicht stimmen." Deswegen präsentiert er nun ein, wie er selbst sagt, "verstörendes" Gedankenspiel, und zwar die "Aufgabe: Stellen Sie sich vor, Sie wären Bundeskanzler und wollten Deutschland und seine Bevölkerung entgegen ihrem geleisteten Eid schaden und zerstören, ohne kriegerische Auseinandersetzung."

Deutschlands Untergang: ein 14-Punkte-Plan

Bauer hat sich in diesem Zusammenhang einen 14-Punkte-Plan überlegt, von der mutwilligen Vernichtung der Autoindustrie über die gewollte Destabilisierung der Inneren Sicherheit bis hin zur "massenhaften Zuwanderung von schlecht bis gar nicht ausgebildeten Fachkräften, die die Sozialkassen und den Mittelstand, der die ganze Party finanziert, weiter belasten". Dann formt er in seiner Rolle als Diktator-Kanzler noch die Medien so um, dass "jeder, der Kritik übt und nicht mir huldigt, gebrandmarkt wird: Nazi, Verschwörungstheoretiker, Aluhut-Träger, Covidleugner!" – an dieser Stelle ist der Applaus am lautesten. Wahlen mit unpassenden Ergebnissen macht der fiktive Autokrat kurzerhand rückgängig, aber weil es "den Mittelstand ja immer noch gibt", reicht es ihm jetzt: "Also flieg ich selber nach China und potzblitz: Mitarbeiter einer Firma, die ich besuche, kommen nach Deutschland zurück mit einem Virus, (…), und durch geschickte Medienmanipulation kann ich jetzt endlich Reiche noch reicher machen (…), den Rest kann ich in der Tat unterjochen." Nachdem er sich sein Szenario in den düstersten Tönen ausgemalt hat, stellt Bauer fest, dass das ja quasi unserer gegenwärtigen Realität entspräche.

Spannend an diesem 14-Punkte-Programm für die Deutschlandvernichtung ist, dass er reale Symptome einer gravierenden Krise beschreibt – aber dann als Ursache einen großen Plan vermutet, der alle problematischen Entwicklungen als bewusst gesteuert voraussetzt und den verantwortlich gewähnten Akteuren alberne Motive unterstellt. Ironischerweise offenbart das ein zu großes Vertrauen in die Politik: Wer glaubt, eine Regierung könnte alle Krisenprozesse gezielt kontrollieren, überschätzt deren Fähigkeiten maßlos.

Der Oberleutnant a.D. hat sich ein paar Zahlen angeguckt und fragt nun: "Wo ist da die Pandemie?!" Und fährt fort: "Wenn demnächst, jetzt wirklich, viele aufgrund der Unfreiheit und dem finanziellen Zusammenbruch Selbstmord begehen, dann haben wir endlich die vielen Coronatoten, die man melden kann". Gegen Ende seiner Rede gibt es dann eine Art Auflösung, was ihn antreibt: Bauer erzählt, wie er vor ein paar Wochen mit seiner Frau spazieren war, und dabei sei ihnen aufgefallen, wie sehr sie unter dieser aktuellen Situation leiden. Da waren sie entsetzt, "wie viele sich diesen – pardon – Scheiß gerade gefallen lassen. Unglaublich!"

Nachdem Bauer seinen Deutschland-Vernichtungsplan vorgestellt hat, schiebt er noch einen Apell ans Militär hinterher, der sich böswillig auch als Aufruf zum Putsch interpretieren ließe: "Ich wünsche mir, ja verlange von allen männlichen und weiblichen Soldaten des Heeres, Männern und Frauen in der Marine und den Herren und den Damen von der Luftwaffe selbiges: Schauen Sie sich morgens im Spiegel an und fragen Sie Ihr Gewissen, ob so etwas alles in Ordnung ist. Gewissen hat mit Bewusstsein zu tun, sich einer Sache bewusst zu sein. Eins plus eins ist zwei."

Wichtig ist ihm zu betonen: "Also für Sie alle: Ich bin politisch neutral", ruft er dem Publikum zu. Gleichwohl ist ihm aufgefallen, dass sein heimatlicher Radiosender stets mit "anklagender Pointierung" über die AfD berichtet.

Eso-Polizist verneint Existenz der Verfassung

Auf den Oberleutnant a.D. folgt Eduard Meßmer, ein ausgebildeter Polizist, der 43 Jahre im Dienst war und sich freut, dass er hier sprechen kann, "im Kreis von Michael Ballweg". Und vor allem spricht er für die europäische Bürgerinitiative Initiative Attention 5G, die für mögliche Strahlenbelastungen sensibilisieren will. Den Ausführungen seines Vorredners gegenüber bleibt der Ex-Polizist skeptisch: "Ich muss schon sagen, meine Güte, ich glaube, das klingt schwer nach einer Verschwörung." Mucksmäuschenstille. Nach ein paar Sekunden fährt Meßmer fort:  "Mein Name ist eigentlich unwichtig. Mein Herz grüßt euer Herz." Begeisterter Beifall. Der Redner hofft sodann auf ein "weltüberspannendes Bewusstsein", an dem die Welt genesen kann. "Wir machen die Tore zu, den Gates', den Soros' und den Klaus Schwabs, und wir machen das Gate – also das Tor – auf, für ein Bewusstsein der Liebe und des Herzens, der Kooperation und des Miteinanders."

Doch bis es so weit ist, steht dem Weltgeist ein Kampf gegen die Cloud bevor: "Die grenzenlosen Freiheiten des Machtsystems Neoliberalismus können sich mit den Möglichkeiten der omnipotenten 5G-Technologien noch weiter ausweiten, denn alles soll digital erfasst und verbunden werden (…) Mit 5G wird es möglich, Menschen, ohne dass sie es merken, in die richtige Richtung zu lenken. Es winken chinesische Verhältnisse. Die Chinesen haben es aber in dem Punkt besser, weil bei denen passiert das offen! Und bei uns wird das … es passiert verdeckt!"

Ex-Polizist Meßmer hat "natürlich auch eine Botschaft für meine ehemaligen Kollegen, klar". Denn "auch ich habe einen Amtseid geschworen, nicht auf die Verfassung, obwohl wir die ja noch nicht haben – ne, wir müssten sie haben, seit der Vereinigung, haben sie aber immer noch nicht, ich spreche deshalb von einem verfassten Staat […] Und ich rufe deshalb alle Polizisten auf, sich an ihren Eid zu erinnern! Nicht nur im Dienst." Denn der Amtseid gelte auch außerhalb des Dienstes, "und deswegen stehe ich heute hier".

Ex-Fußballprofi Thomas Berthold ist auch da (VfB-Spieler, Weltmeister von 1990). Seine zentrale Forderung: "Ich möchte, dass wir unser altes Leben wieder zurückbekommen", sagt er und fasst damit zusammen, was viele der mittelständischen GegnerInnen der Corona-Maßnahmen antreiben dürfte: Eigentlich haben sie gar nicht so richtig Lust auf Umsturz und Revolution. Sie mochten die alte Welt und hätten sie gerne so zurück, wie sie ihnen vor ein paar Monaten erschien: in Ordnung.

Ferner berichtet Berthold, dass er 1988 mal eine biologische Infektion hatte,  "mit dem Ergebnis, dass es mir schlecht ging. Aber ich habe die ganze Sache überlebt. Und ich hab die ganze Sache auch überlebt, weil ich angstfrei bin." Mehr Mut, das fände er gut. Nach weiteren Schilderungen schlechter Erfahrungen mit der Schulmedizin und besserer Erfahrungen mit alternativen Behandlungsformen rät der Ex-Fußballer abschließend: "Passt auf, was ihr einnehmt und was ihr einwerft. Und passt auf eure Kinder auf."

Im Kontrast zum Restprogramm steht der Redebeitrag eines Fahrlehrers, dem es, wie er sagt, am "17.3.2020 förmlich die Existenz unter den Füßen weggerissen" hat. Fast acht Wochen lang stand sein Betrieb still, und er findet es "eine Unverschämtheit, wie mit uns umgegangen wird und wie ihr alle deformiert werdet". Und weil diese Zeiten so verrückt seien, könne man sich leicht zum Hass verleiten lassen. "Doch Hass ist nicht die Antwort. Mut und Liebe sind das, was wir brauchen", ruft er und bittet seine Freundin auf die Bühne – um ihr einen Antrag zu machen. Sie akzeptiert, ein Moderator freut sich, das sei "Querdenken-Liebe für die Ewigkeit" und überreicht einen Blumenstrauß, ehe der Fahrlehrer noch einmal das Mikrofon ergreift für "eine einzige Sache noch in eigener Sache: Ich bin Inhaber einer Fahrschule. Ich suche Fahrlehrer. Wenn welche da sind, die einen Chef wollen, der euch nicht zwingt, eine Maske zu tragen: Ich bin euer Mann!"

Am 29. August wollen die Querdenker wieder nach Berlin. Michael Ballweg kündigt an, "diesmal bringen wir ganz Europa mit" und außerdem: einen eigenen Hubschrauber. Und nachdem bereits die vorangegangene Demo in der Hauptstadt "weltweit für Aufsehen gesorgt hat, und sogar Donald Trump darüber getwittert hat, war ich gestern so frei, den US-Präsidenten zu unserer Demonstration am 29.08.2020 in Berlin einzuladen", wo er über den Frieden referieren soll. Die Einladung sorgt beim heterogenen Stuttgarter Publikum für gemischte Gefühle. Ein paar begeisterte Jubelschreie, viel betretenes Schweigen, keine vernehmbare Unmutsartikulation.

Ein Haken an der Sache: Ballweg, für den Querdenken nach eigenen Angaben bedeutet: "Glaube wenig. Hinterfrage alles. Denke selbst", ist bei seiner Einladung einer Ente aufgesessen. Trump hat nie über die Berliner Querdenker-Demo getwittert. Bei einem entsprechenden Screenshot, der gegenwärtig in den sozialen Netzwerken kursiert und das Gegenteil belegen soll, handelt es sich um einen Fake, wie er sich in wenigen Minuten anfertigen lässt.


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35 Kommentare verfügbar

  • Ruby Tuesday
    am 15.08.2020
    Antworten
    Wenn es Ihnen schon schwerfällt, den vorher übermittelten Kommentar in seiner Gesmtheit zu veröffentlichen, kommen diese Fragen vielleicht an ihre LeserInnen. Ich finde dieses Maskentragen durchaus sinnvoll, die zunehmenden Ausnahmen jedoch weder notwendig noch sinnvoll.

    1. Wie ist es erklärbar,…
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