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Heckler und Koch

Ans Licht gezerrt

Heckler und Koch: Ans Licht gezerrt
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Heckler und Koch kann es nicht verhindern: Die schriftliche Urteilsbegründung im Mexiko-Waffenkomplex, die der Oberndorfer Rüstungsproduzent lieber geheim gehalten hätte, ist im öffentlichen Interesse und kann veröffentlicht werden. Das hat das Stuttgarter Landgericht entschieden.

Ein kalter Morgen am 21. Februar 2019. Das Landgericht in Stuttgart verkündet das Urteil im Prozess um illegale Waffenlieferungen nach Mexiko: Drei angeklagte Manager von Heckler und Koch (HK) werden freigesprochen, zwei kleine Angestellte zu Haftstrafen von einem Jahr und zehn Monaten beziehungsweise einem Jahr und fünf Monaten zur Bewährung verurteilt. Gut 3,7 Millionen Euro, die HK durch die Waffenverkäufe erzielte, soll der Staat einziehen. Auf der Anklagebank grinsen die Verteidiger und freigesprochenen Manager, die beiden Verurteilten schauen betroffen – und im Zuschauerraum ist die Empörung groß.

Zwei Stunden lang hat der Vorsitzende Richter Frank Maurer das Urteil mündlich begründet. Man habe den drei ehemaligen Geschäftsführern – unter ihnen der ehemalige Rottweiler Landgerichtspräsident Peter B. – nicht nachweisen können, dass sie von den Manipulationen um die Exportgenehmigungen wussten. Nach Ansicht vieler Prozessbeobachter fiel das Urteil arg zu Gunsten der Manager aus: "Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen ..."

Was genau zu dem Urteil geführt hat, das muss ein Gericht in der schriftlichen Urteilsbegründung anführen. Darauf fußen dann auch mögliche Revisionsanträge. Doch die schriftliche Urteilsbegründung ließ auf sich warten. Jedenfalls für die Öffentlichkeit. Da aber in dieser Urteilsbegründung der gesamte HK-Mexiko-Komplex aufgearbeitet wird, habe ich als Redakteur der "Neuen Rottweiler Zeitung" (NRWZ) über den Tübinger Rechtsanwalt Holger Rothbauer Anfang April die "Herausgabe der Urteilsabschrift 13 Kls 143 Js 38100/1 O (Urteil Heckler & Koch)" beantragt.

Anspruch auf Auskunft

Als Journalist und Redakteur der NRWZ hätte ich einen Anspruch auf Herausgabe der schriftlichen Urteilsbegründung. Rothbauer, der gemeinsam mit Jürgen Grässlin das gesamte Verfahren gegen den Oberndorfer Rüstungshersteller in Gang gebracht hatte, begründete dies mit einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2015. Gegen die Herausgabe des Urteils wandte sich der Bevollmächtigte von Heckler und Koch als Nebenbeteiligter, unter anderem mit der Begründung, die NRWZ sei keine richtige Zeitung, weil sie "als Printausgabe aktuell nicht mehr erscheine". Außerdem sei der Herausgeber gleichzeitig Redaktionsleiter, und das Blatt finanziere sich ausschließlich über Anzeigen. Gewinnerzielung sei hier demnach wichtiger als Informations- und Meinungsäußerung. Und schließlich bestünde die Gefahr, dass die Persönlichkeitsrechte Betroffener verletzt würden, wenn das schriftliche Urteil bekannt würde. Es bestünden Zweifel, ob die Öffentlichkeit in der Lage sein werde, zu erkennen, dass es sich teilweise um ein nicht rechtskräftiges Urteil handelt, so der HK-Bevollmächtigte.

Auf Wunsch des Landgerichts Stuttgart habe ich dem Gericht weitere Nachweise meiner journalistischen Tätigkeit zukommen lassen. Unter anderem ein Interview des neuen Kommunikationschefs von Heckler und Koch, Markus Seliger, das auch in die regelmäßige Berichterstattung für "Kontext:Wochenzeitung" eingeflossen ist. Der HK-Bevollmächtigte wiederum konterte damit, dass es der NRWZ an den "erforderlichen journalistisch-redaktionell gestalteten Angeboten" fehle, um einen Anspruch aus Auskunft zu haben.

Fast anderthalb Jahre nach dem Urteil kam jetzt eine Mail aus Stuttgart. Demnach entschied der Präsident des Landgerichts am 13. Juli, dass ich die schriftliche Urteilsbegründung Ende Juli erhalten werde. Ich hätte Anspruch, eine anonymisierte Fassung der schriftlichen Urteilsbegründung vom 21. Februar 2019 zu bekommen. Es müssten aber viele Stellen geschwärzt oder anonymisiert werden, so Präsident Andreas Singer, um die schützenswerten Persönlichkeitsrechte der Betroffenen und die Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse des Unternehmens zu wahren. Auch müssten die Feststellungen zu den bereits rechtskräftigen Freisprüchen vollständig anonymisiert werden.

Singer betont in seinem Beschluss, dass ich mich als Journalist und Online-Redakteur zu Recht auf das Auskunftsrecht berufe, das im Übrigen nicht nur für Print-, sondern auch für Telemedienanbieter gilt. Außerdem erscheine die gedruckte Ausgabe der NRWZ wegen der Coronapandemie laut eigenen Angaben vorübergehend nicht. Singer hat sich offenbar kundig gemacht und gelesen: "Die NRWZ online ist als Onlinezeitung journalistisch-redaktionell für eine breite Zielgruppe gestaltet und informiert über das lokale Geschehen in der Region Rottweil. Die veröffentlichten Inhalte (unter anderem aus Justiz und Gesellschaft) sind dazu bestimmt und geeignet, zur öffentlichen Kommunikation und Meinungsbildung beizutragen." Darüber hinaus erwähnt Singer meine Arbeiten für Kontext, die sich als "Plattform für den Qualitätsjournalismus für feste und freie Autoren" verstehe. Dort seien 21 Artikel von mir abrufbar.

Dass sich die NRWZ über Anzeigen finanziere und unternehmerisch tätig sei, sei schließlich "branchenüblich", schreibt Singer dem HK-Anwalt ins Stammbuch. Bei Kontext sei es noch klarer, denn diese Zeitung werde ausschließlich über Spenden finanziert.

Singer hält fest, dass das Stuttgarter Urteil "veröffentlichungswürdig" sei. Der Prozess habe bundesweit "ein extrem hohes Interesse erfahren". Er erinnert an den ARD-Themenabend am 1. April zum Waffenhandel mit Spielfilm und anschließender Dokumentation, der die Geschehnisse des Strafprozesses zum Gegenstand hatte.

Mein Auskunftsbegehren sei allerdings eingeschränkt. Es dürfe das weitere Strafverfahren nicht beeinträchtigt werden, denn einige Teile des Urteils sind noch nicht rechtskräftig. Außerdem hatte das Gericht das Verfahren gegen einen Angeklagten abgetrennt, der krankheitsbedingt aus Mexiko nicht nach Deutschland reisen konnte. Ob und wann dieses Verfahren stattfindet, ist völlig offen. Auch müssten die schutzwürdigen Interessen der Verfahrensbeteiligten beachtet werden, so Singer.


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1 Kommentar verfügbar

  • D. Hartmann
    am 04.08.2020
    Antworten
    Hallo Herr Himmelheber,

    Gratulation zu Ihrem Erfolg. Und großen Dank für Ihre Beharrlichkeit!

    Haben Sie das 'gute (Schrift-) Stück inzwischen erhalten?
    Falls ja, war es noch 'lesbar' oder wurde so viel geschwärzt, dass man wichtige Inhalte nicht mehr nach vollziehen kann?

    Viele Grüße
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