Er hat scheinbar ein ganz normales Leben geführt. Peter M. hatte einen guten Job, Vollzeit gearbeitet und gut verdient. Aber vor einem Jahr ging es für den Stuttgarter nicht mehr. 25 Jahre Heroinkonsum haben ihre Spuren hinterlassen. Er rutschte immer weiter ab, hatte regelmäßig Abstürze. Der 40-Jährige verlor seine Arbeit und stand plötzlich vor dem Nichts. Hilfe fand er bei Release. Bei der Drogenhilfe erhält er nicht nur regelmäßig Methadon als Substitution für die harte Droge, sondern auch eine Therapie.
Wenn er diese hinter sich hat, will er endlich ein normales Leben führen. Doch das ist gar nicht so leicht. Denn er benötigt im Moment noch viel intensive und vor allem auch direkte Betreuung. Aber diese ist in Zeiten von Corona nicht mehr möglich. Jetzt führt das Team von Release die Therapie per Telefon weiter.
Uwe Collmar macht sich Sorgen. Der Sozialarbeiter, der die direkt neben dem Katharinenhospital gelegene Dienststelle in Stuttgart leitet, hat Angst um Peter M. Ihn könnte die Coronakrise das Leben kosten. Ein Bier genüge, um die Situation völlig außer Kontrolle geraten zu lassen: Peter M. stürze völlig ab und irre im Alkoholdelirium durch die Stadt. Zu Hause ist er dann nicht mehr anzutreffen und per Telefon nicht zu erreichen.
Das letzte Mal hat Uwe Collmar seinen Schützling tagelang gesucht und ihn dann selbst in die Notaufnahme gebracht. Wenn so ein Absturz jetzt wieder passiert, könnte dies für Peter M. das Todesurteil sein. Der Betreuer darf nicht mehr direkt Kontakt aufnehmen. In die Klinik könnte Peter M. jetzt sowieso nicht. Die Suchtstation in Bad Cannstatt nimmt derzeit nur absolute Notfälle auf, bei denen Suizidgefahr besteht, so Collmar.
Tod durch Corona, aber ohne Infektion
Man merkt Uwe Collmar im Gespräch an, wie stark ihn das Schicksal seines Klienten bewegt. "Der Mann ist hochintelligent und würde sofort einen Job finden", sagt er. Bei Peter M. komme erschwerend dazu, dass er sich neben der Sucht auch mit Narzissmus und ADHS herumschlagen müsse. Collmar beschreibt dies als "Giftcocktail", sehr schwer zu therapieren, aber typisch für schwere Fälle. Unter den knapp 400 Klienten von Release Direkt hat Collmar mindestens ein Dutzend solcher "Todeskandidaten". "Es werden Menschen wegen Corona sterben, aber nicht aufgrund einer Infektion durch das Virus", sagt Collmar. "Gerade bei solchen Grenzfällen wie bei Peter M. wird es Tote geben", ist er sich sicher.
Das Team versucht unterdessen alles, um den Kontakt zu den Klienten aufrechtzuerhalten. "Wir bemühen uns nach Kräften und tun, was wir können, damit sie die Krise gut überstehen", sagt Collmar. Die Mehrheit der Klienten sei gut versorgt, versichert er. Release habe schon sehr früh reagiert. Vor vier Wochen wurde das Café geschlossen und die Abstandsregel eingeführt. Zwei Teams arbeiten jetzt immer im Wechsel. In die Praxis kommen nur noch diejenigen, die den Originalstoff Diamorphin erhalten. Die Ersatzstoffe im Rahmen der Substitution werden über Schalter im Innenhof ausgegeben.
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