Fast schon gebetsmühlenartig leitet Lothar Wieler, der Präsident des Robert-Koch-Instituts, seine Pressekonferenzen mit dem Hinweis ein, dass wir erst am Anfang der Pandemie stehen. Dies nicht nur mit Blick auf die Bundesrepublik Deutschland, sondern auf die weltweite Situation. Während die chinesische Regierung versucht, eine zweite Welle des Corona-Virus zu verhindern, beginnt auf dem afrikanischen Kontinent dessen Ausbreitung erst – und dies unter ganz anderen, nämlich viel schlechteren medizinischen, hygienischen und sozialen Bedingungen im Vergleich etwa zu Europa. Und die erschreckenden Bilder der letzten Tage aus den Städten Indiens, aus Kapstadt und den Flüchtlingslagern in Griechenland – die Zustände in türkischen Flüchtlingslagern sowie in den Grenzgebieten zu Syrien und dem Irak dürften kaum andere sein – sollten allen deutlich vor Augen führen, dass die Pandemie nicht in gleicher Weise jede und jeden treffen kann, sondern dass sie die sozial sowieso schon Benachteiligten und Ausgeschlossenen in viel gravierenderem Maße trifft. So schlimm die Zustände in italienischen und spanischen Krankenhäusern durch zu wenig und völlig überlastetes Personal, durch fehlende intensivmedizinische Kapazitäten auch sind – und dabei darf nicht vergessen werden, dass diese Zustände Resultat neoliberaler Sparpolitik und Monetarisierung im Gesundheitswesen sind –, woanders sind sie noch schlimmer: In weiten Teilen Afrikas, Indiens oder in den Flüchtlingslagern fehlen nahezu alle Möglichkeiten medizinischer und erst recht intensivmedizinischer Behandlung.
Anstatt sich dieser globalen medizinischen und zugleich sozialen Herausforderung zu stellen, fallen gerade die wohlhabenden Staaten zurück in Politiken der Re-Nationalisierung, obwohl in den Sozialwissenschaften schon seit Jahrzehnten Konsens darin besteht, dass Nationalstaaten als autonome Gebilde, die je für sich existieren könnten, nur noch eine bloße Phantasmagorie sind. Ursula von der Leyen hat also recht, wenn sie von einem völligen Versagen der Europäischen Union angesichts der Corona-Krise spricht. Es ist ein Versagen nicht nur der europäischen Staaten untereinander, sondern auch der Europäischen Union im Verhältnis zu den Staaten der Welt.
2 Kommentare verfügbar
Frieder
am 02.04.2020Der entprechende Wikipedia-Artikel heißt "Räumliche Distanzierung" und die Autoren schreiben dort:
"Der auch in deutschsprachigen Medien verwendete englische Begriff social distancing beziehungsweise das ins Deutsche übersetzte „soziale Distanzierung“ sind missverständlich, da…