Vielleicht ist aber wirklich alles nur Panik-Mache. Ich weiß es einfach nicht. So viele Leute WISSEN offenbar ganz genau Bescheid, weil sie in WhatsApp-Threads in Corona promoviert haben. Ich muss noch mehr Informationen auswerten in meinem Gehirn, bevor ich irgendwelche gefühlten Wahrheiten rumposaune. Selten so viele widersprüchliche Interviews und andere Texte zu einem Thema gelesen. Musste beim Mittagessen an eine Bekannte denken, die mir erzählt hat, dass sie eine Freundin hätte, die vor Jahren schon von "Indianern" prophezeit bekommen hätte, dass die Menschheit von einem Virus ausgerottet werden würde. Meine Bekannte war überrascht, dass "es" jetzt schon passiert. Sie persönlich dachte, "es" passiert erst in zehn oder zwanzig Jahren. Jetzt sei es halt so. Alles klar. Oh Mann. Brühwürfel gelutscht.
Mittagessen beim Döner heute. Allein das zu schreiben fühlt sich an, als hätte ich drei Omas in den Hals gehustet. Auf dem Boden der Dönerbude waren laut krakeliger Edding-Beschriftung mit Gaffa-Tape 1,5 Meter abgeklebt, um die Menschen an das Power-Mantra der Stunde zu erinnern: Social Distancing. Hat sich natürlich niemand dran gehalten. Ich merke, wie ich hinter einem Ekelbert flach atme, weil ich mir einbilde, so Corona-Viren abzuhalten, sich in meiner Lunge einzunisten. Nachdem mir der Dönermann meinen Yufka in die Hand drückt, muss ich wie alle anderen auch meinen Namen und meine Adresse in eine Liste eintragen. "Isch jetz' halt so", sagt der Mann auf meine Frage, was das soll.
Mich graust es vor dem öligen Kugelschreiber, den laut Liste schon Hunderte Leute vor mir in der Hand hatten. Trage den Fantasienamen "Lena Fuchs" im "Hodenweg 666" ein und muss lachen. Wie dämlich! Fühle mich, als hätte ich Crack gekauft – und die Bullen können jetzt ganz einfach an meine Adresse kommen. Müssen ja nur den Dönermann fragen. "Yufka auf den Rücken, du Corona-Sau, und keine falsche Bewegung." Oh Gott. Schon seltsam, wie vor dem Virus-Alarm alle laut nach Datenschutz und Datenschutz-Grundverordnung geschrien haben und jetzt für ein paar Fettklumpen ihre Namen und Adressen in eine Liste beim Döner eintragen. Wahnsinn, wie relativ Bürgerrechte sind.
Freitag, 20.3.2020
Hatte eigentlich vor, zu meiner Schwester und ihrer Familie zu fahren. Sie hatte Geburtstag. Habe ihr am Telefon gesagt, dass ich mich melde wegen einem Treffen. Hab' ich aber nicht. Fühle mich komisch bei der Vorstellung, neben der notwendigen Anfahrt zur Arbeit mit Bus und Bahn zu fahren, um mit zwei Kindern und zwei Erwachsenen plus eventuell meinen Eltern in einem Raum zu sitzen. Meine Schwester sieht alles nicht so wild: Wir seien doch Familie. Das Virus nicht schlimmer als Grippe. Fühle mich mies, weil ich das Gefühl habe, bescheuert zu sein. 33 Jahre "Fuck the System" und jetzt verteidige ich Regierungsanordnungen? Wie verrückt ist das alles? Ambiguitätstoleranz bedeutet Widersprüche aushalten. Jetzt eben auch meine eigenen.
Der Corona-Test meines Bandkollegen fiel negativ aus. Das ist positiv. Muss also weiterhin zur Arbeit nächste Woche. Das ist deduktiv.
Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Thomas Strobl haben heute auf einer Pressekonferenz bekannt gegeben, dass es ab jetzt verboten ist, sich mit mehr als drei Menschen zusammen in der Öffentlichkeit aufzuhalten. Bußgelder bis 25.000 Euro und Haftstrafen drohen. Ausnahmen gelten für Familien und Paare. Was das genau bedeutet, erklärt einem natürlich keine Sau. Muss ich ab jetzt einen Paar-Ausweis mit mir führen, wenn ich mit meinem Freund auf der Straße laufe? Gelten wir dann als eine Person und können zwei weitere ungestraft treffen? Und was machen die Polyamourösen? Kann ich auf dem Paare-Ausweis "es ist kompliziert" eintragen, falls ich mir meines Beziehungsstatus' nicht so sicher bin?
Bin überfordert damit, was ich von diesen Ansagen von oben halten soll. Einfach schlucken, weil es zum Wohle aller ist? Habe große Probleme, massive Einschränkungen meiner Freiheit ohne mit der Wimper zu zucken zu akzeptieren. Nicht, weil ich nicht glaube, dass es gerade wirklich besser ist, daheim zu bleiben. Es macht mich wahnsinnig, mir vorzustellen, für was solche Macht missbraucht werden könnte. Der Mensch gewöhnt sich schnell an seine Ketten. Aber ja: #wirbleibenzuhause. Auch ich. Versprochen, Instagram. Finde den Gedanken persönlich nicht schlimm, daheim abzuhängen und mich still zu beschäftigen. Gibt so viel Musik zu entdecken – und selbst zu schreiben. Selbstisolation als Chance. Wer sich bislang selbst nicht ausgehalten hat, ist jetzt natürlich gefickt. So verrückt zu sehen, wie viele Leute mit Langeweile nicht klarkommen.
Samstag, 21.3.2020
7 Kommentare verfügbar
Fritz Schwab
am 31.03.2020