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"Für den Papst bin ich ein Auftragsmörder"

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Der Paragraf 218 hat sein Berufsleben bestimmt: Friedrich Stapf kämpft seit Jahrzehnten für die Liberalisierung des Schwangerschaftsabbruchs, begründete das "Beratungsmodell" mit und führt eine Abtreibungsklinik in München. Den Kliniknotstand in Stuttgart kennt er nur zu gut.

In der Kontext-Ausgabe 458 berichteten wir im Artikel "Arbeiten in der Tabuzone" zum Thema Schwangerschaftsabbruch auch über die Klinik Stapf, die 2015 nach 24 Jahren wegen massiver Hetzkampagnen der AbtreibungsgegnerInnen keine Räume mehr fand, um ihre Arbeit in Stuttgart fortführen zu können. Heute führt der  Arzt Friedrich Stapf eine Privatklinik für Schwangerschaftsabbruch in München-Freiham, einem neuen Viertel am Stadtrand. Die Klinik auf etwa 400 Quadratmetern im zweiten Stock eines Gesundheitszentrums, das direkt an der S-Bahn-Haltestelle steht, ist hell, modern und macht einen freundlichen Eindruck. Friedrich Stapf (74) wirkt müde, spricht schnell und ohne Unterbrechung.

Herr Stapf, Sie mussten unser Interview kurzfristig verschieben, weil Sie sich um einen besonderen Notfall kümmern mussten.

Ja, es handelt sich um eine Frau, die vor ein paar Jahren eine sehr komplizierte, schwere Geburt hatte und bei der kurz danach eine Krebserkrankung diagnostiziert wurde. Die Frau wurde zwar wieder gesund, aber leidet seitdem unter Angststörungen. Sie hatte panische Angst, schwanger zu werden. Als es dann unglücklicherweise doch passierte, musste sie psychologisch behandelt werden. Sie kann das Kind nicht austragen. Eigentlich ist das ein Fall für die medizinische Indikation. Aber kein Krankenhaus hier will den Abbruch machen. Dem Kind ginge es ja gut, sagen die. Aber das ist eine völlige Sinnentstellung der medizinischen Indikation, die ja dann greifen soll, wenn die körperliche oder geistige Gesundheit der Frau durch eine Geburt gefährdet würde. Die Krankenhäuser akzeptieren das aber nur, wenn die Frau vom Tode bedroht ist, was so gut wie nie vorkommt, oder ein schwerstbehindertes Kind geboren würde, das nicht lebensfähig ist.

Friedrich Stapf, 1946 geboren, seit Jahrzehnten im Einsatz für die Liberalisierung des Schwangerschaftsabbruchs: Stapf betreibt seit 1993 eine Privatklinik in München, die mit etwa 3.000 Schwangerschaftsabbrüchen pro Jahr fast ein Drittel aller Abbrüche in Bayern durchführt. Von 1991 bis 2015 war die Klinik Stapf auch in Stuttgart ansässig. Darüber hinaus hat Stapf an Formulierungen für Gesetze mitgearbeitet, sich für Honorarpauschalen eingesetzt und war Anfang der 1990er-Jahre an der Entstehung des "Beratungsmodells" beteiligt. Er hat 1998 den Freistaat Bayern vor dem Bundesverfassungsgericht erfolgreich wegen des Verbots ambulanter Schwangerschaftsabbrüche verklagt. Er musste sich vor Gericht immer wieder gegen Abtreibungsgegner wehren, die ihn auf ihren Internetseiten als "Massenmörder" bezeichnen. (vg)

Von 1991 bis 2015 haben Sie neben Ihrer Münchner Klinik auch eine in Stuttgart betrieben. Sie fanden dort wegen einer Hetzkampagne von "LebensschützerInnen" keine neuen Räumlichkeiten mehr und gaben auf.

Ja, 1991 konnte ich meine erste Praxisklinik für Schwangerschaftsabbruch im städtischen Frauenkrankenhaus in Berg eröffnen. Das ist ein langer Kampf gewesen. Nach ein paar Jahren wurde die Frauenklinik abgerissen, und wir mussten umziehen. Wir konnten 2004 die ehemalige Kinderklinik in der Türlenstraße mieten. Wir konnten dort aber nicht auf Dauer bleiben. Bei der Suche nach neuen Räumlichkeiten standen uns dann ständig die AbtreibungsgegnerInnen im Weg, die potenzielle Vermieter massiv bedrohten und verunsicherten. Das ging so weit, dass sie sogar die Verwaltungen der betroffenen Immobilienfirmen in Wien und Luxemburg mit Farbbeuteln torpedierten.

Was verschafft den sogenannten LebensschützerInnen eine solche Macht?

Es ist nach wie vor der Strafparagraf 218. Ärzte handeln zwar seit dem Urteil von 1998 rechtmäßig, aber die Frauen nach wie vor rechtswidrig. Damit will man ihnen ein schlechtes Gewissen einimpfen.

Mit Ihrer Klinik verschwand 2015 die einzige auf Abbrüche spezialisierte Einrichtung in Stuttgart. Es gibt dort heute lediglich drei Arztpraxen, die neben ihrer gynäkologischen Arbeit auch im kleinen Umfang Abbrüche in einem ambulanten OP-Zentrum vornehmen. Das ist wenig für eine Landeshauptstadt. Warum dürfen sich die Krankenhäuser aus der Verantwortung ziehen?

Das Land hat keinen Einfluss auf kommunale Kliniken. Die können denen nichts vorschreiben. Kein Arzt kann gezwungen werden, sagen sie, an einem Abbruch mitzuwirken, außer es bestehe Gefahr für Leib und Leben der Mutter. Und die Krankenhäuser wollen sich die Finger nicht schmutzig machen. Und warum sollte das Land da auch Druck ausüben? Es gibt den Paragrafen, dass die Länder für eine wohnortnahe Versorgung mit Schwangerschaftsabbrüchen verantwortlich sind. Sollte jemand eine parlamentarische Anfrage stellen, ob dies denn derzeit in Baden-Württemberg gewährleistet sei, würde das Land einfach sagen, es funktioniert hier doch alles wunderbar: Es müsse keine Frau für ihren Abbruch in ein anderes Bundesland fahren, komme überall in Baden-Württemberg an einem Tag hin und zurück, so wie es das Bundesverfassungsgericht eben fordert.

Seit 2003 hat die Anzahl der ÄrztInnen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, bundesweit um mehr als 40 Prozent abgenommen. Worauf führen Sie die krassen Nachwuchsprobleme zurück?

In Berlin oder Hamburg gibt's keinen Nachwuchsmangel, weil dort in den Krankenhäusern Abbrüche auch nach der Beratungsregel vorgenommen werden. So was ist dort Alltag. Wenn aber Krankenhäuser wie in Bayern oder Baden-Württemberg Abbrüche selbst mit medizinischer Indikation nur im absoluten Ausnahmefall machen und dementsprechend angehende ÄrztInnen in ihrer fünfjährigen Facharztausbildung hier so gut wie nie mit dem Problem der ungewollten Schwangerschaft konfrontiert werden, ja, dann sieht es düster aus. Obwohl der Schwangerschaftsabbruch ja eigentlich der häufigste Eingriff in der Gynäkologie ist. Dieses Szenarium ist nach wie vor problematisch: Wenn der Chefarzt – wie die gesamte Medizin – die Nase rümpft und damit ausdrückt: Schwangerschaftsabbruch, das gehört sich nicht. Wer lehnt sich da schon auf und sagt, ich möchte jetzt aber bei der Frau hier einen Abbruch machen.

Wann ist Abtreibung straffrei?

Abtreibungen sind laut Paragraf 218 Strafgesetzbuch nach wie vor Tötungsdelikte. Sie bleiben nur unter bestimmten Voraussetzungen straffrei: bis zur zwölften Woche, wenn vorher eine Schwangerschaftskonfliktberatung erfolgt ist. Nicht rechtswidrig sind Abbrüche aus kriminologischen Gründen wie einer Vergewaltigung oder wenn Gefahr für das Leben oder die Gesundheit der Schwangeren besteht. Diese medizinische Indikation erlaubt Abbrüche über die zwölfte Woche hinaus. 96 Prozent der 2019 gemeldeten Abbrüche wurden laut Statistischem Bundesamt nach der Beratungsregelung vorgenommen. Vor allem die kommunalen Krankenhäuser im Süden Deutschlands übernehmen in der Regel keine Abbrüche nach der Beratungsregelung. (vg)

Ein Punkt ist neben dem komplizierten Abrechnungsverfahren auch die Höhe der Honorare. Werden Schwangerschaftsabbrüche überhaupt kostendeckend honoriert?

Angemessen verdienen lässt sich nur in einem spezialisierten Haus wie dem meinen. Und hier kommen die Frauen auch gerne hin, weil sie gut betreut werden und wir viel Erfahrung haben. Ich kann die KollegInnen, die eine gynäkologische Praxis ohne eigenen OP-Saal führen, verstehen, wenn sie sagen, das lohnt sich für mich einfach nicht.

Zeit Lebens setzen Sie sich für die Liberalisierung des Schwangerschaftsabbruchs ein. Was treibt Sie an?

Die heutigen angehenden ÄrztInnen werden – zum Glück, muss man sagen – nicht mehr mit den schrecklichen Zuständen konfrontiert, die meine Generation noch in den Krankenhäusern erlebt hat und wegen derer wir uns für die Liberalisierung des Abbruchs stark gemacht haben. Als ich Anfang der 1970er-Jahr Famulus in der Wiesbadener Frauenklinik war, sah ich ständig Frauen, die mit schwersten Komplikationen wegen illegaler Abbrüche eingeliefert wurden.

Wie groß ist die Chance, dass der Strafparagraf 218 endlich abgeschafft wird?

Im australischen Bundesstaat Queensland, in Kanada, in Neuseeland: Überall dort, wo eine Mehrheit von Frauen im Parlament sitzt, wurde die Strafbarkeit abgeschafft, und gerade dort geht die Zahl der Abbrüche zurück. Der Einfluss von erzkonservativen Katholiken ist hierzulande einfach immer noch zu groß. Für den obersten von ihnen, Papst Franziskus, bin ich ein Auftragsmörder, und selbst in den Fernsehräten hocken religiöse Überzeugungsaktivisten. Das ist ein echtes Problem.

Für alle Konservativen ist der Schwangerschaftsabbruch doch geradezu ein gefundenes Fressen. Es kostet ja nichts, wenn man ihn verbietet. Und man kann sich damit prima profilieren.


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