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Rechtsradikale Vernetzung

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Deutschlandweit vertrauen rechtsradikale Akteure auf den Messenger Telegram. Denn dort können sie ihre Botschaften ungestört verbreiten. Auch in Stuttgart nutzt eine Gruppe sogenannter Patrioten die App für rassistische Hetze.

Auf seinem Profilbild bei Telegram gibt sich der Nutzer "Max83nt" unauffällig. Es steht auf dem Flachdach eines Neubaus und trägt eine schwarze Jogginghose, dazu Turnschuhe von Adidas. An der Hüfte ist das Bild abgeschnitten, damit Oberkörper und Gesicht nicht erkennbar sind. Aus gutem Grund ist "Max83nt" an seiner Anonymität im Internet interessiert. Seit August 2019 betreibt er zusammen mit zwei weiteren Administratoren eine Gruppe auf dem Messenger Telegram, die sich als eine "patriotische Vernetzungsgruppe im Raum Stuttgart" versteht.

Mittlerweile umfasst die Gruppe 326 Mitglieder, Tendenz steigend. Auf dem Handy werden die Mitglieder mit unterschiedlichsten Informationen versorgt, die sich problemlos in ein rechtes Weltbild einfügen. Häufig handelt es sich dabei um Hetze gegen Muslime oder um Berichte über Straftaten von Migranten. Der Tonfall ist offen rassistisch. Geflüchtete werden als "Merkels Gäste" bezeichnet und die Stadt Leinfelden sei auf dem Weg zu einem "multikriminellen Krisenherd". Ergänzend kommen Hinweise auf islamfeindliche Kundgebungen oder überregionale Nachrichten zu Wahlerfolgen der AfD dazu. Mit verschiedenen Emojis können die Abonnenten des Kanals ihre Emotionen zu den einzelnen Beiträgen zum Ausdruck bringen, wobei ein fluchender Smiley mit rotem Kopf besonders beliebt ist.

Mehrfach haben die Betreiber der Gruppe darauf hingewiesen, dass die Namen und Profilbilder der Mitglieder öffentlich sichtbar sind. Unter den Mitgliedern tummeln sich Sympathisanten der AfD neben Aktivisten der Identitären Bewegung, die aufgrund ihrer migrations- und islamfeindlichen Positionen vom Verfassungsschutz Baden-Württemberg beobachtet wird. Gemeinsam ist ihnen die Ablehnung einer offenen und pluralistischen Gesellschaft – insbesondere im Bereich der Migrationspolitik.

Islamfeindliche Hetze – made in Stuttgart

Streit um Moschee in L.-E.

Der Bau einer Moschee in Leinfelden-Echterdingen durch den muslimischen Verein für Kultur, Bildung und Integration (VKBI) ist seit Jahren ein umstrittenes Thema. Angefangen beim Standort: Seit über 30 Jahren gibt es in Echterdingen einen Gebetsraum für Muslime in einer baufälligen Baracke. Nachdem der Verein 2009 geplant hatte, das ehemalige Gasthaus "Rössle" im Teilort Unteraichen zu kaufen und zu einer Moschee umzubauen, dies aber zu Bürgerprotesten führte, schlug die Stadt stattdessen ein Grundstück im Gewerbegebiet Oberaichen vor. Im Sommer 2009 machte der Gemeinderat Leinfelden-Echterdingen mit seiner Zustimmung zur Änderung des Bebauungsplans den ersten Schritt für den Neubau dort. Begonnen wurde mit dem Bau wegen verschiedener Probleme allerdings erst Ende 2017. Für Streit sorgte ab Mitte 2018, dass der VKBI auf dem Gelände nicht nur eine Moschee, sondern auch einen Anbau mit unter anderem einem Schülerwohnheim errichten will. Weil Leinfelden-Echterdingens OB Roland Klenk (CDU) dadurch "die Entwicklung einer Parallelgesellschaft" befürchtet, wollen er und die Gemeinderatsmehrheit das Wohnheim verhindern. Laut VKBI habe die Stadt indes von Anfang an von den Plänen gewusst.

Seit Ende 2018 klagt die Stadt auf Rückgabe des Grundstücks; sie verweist dabei auf den mit dem VKBI abgeschlossenen Erbbaurechtsvertrag. Nach diesem kann sie das Grundstück zurückfordern, falls der erste Bauabschnitt nicht bis zum 31.10.2018 fertiggestellt ist, was tatsächlich nicht gelang. Nach aktuellem Stand will die Stadt dem VKBI die Fertigstellung des Moscheegebäudes zugestehen, nicht aber den Bau des Schülerwohnheims. Weil sich beide Parteien nicht einigen konnten, sahen sie sich im Januar 2020 vor dem Landgericht Stuttgart wieder. Dieses lehnte am 4. Februar den Antrag des VKBI ab, den Streit ans Verwaltungsgericht zu überweisen. Der Verein prüft momentan noch, gegen den Beschluss Beschwerde einzulegen. (red)

Am südlichen Rand von Stuttgart liegt die Stadt Leinfelden-Echterdingen. Seit Jahren plant der Verein für Kultur, Bildung und Integration e.V. hier die Errichtung eines muslimischen Gebets- und Kulturzentrums. Diesen Anlass nutzen rechte Gruppen, um gegen den Bau der Moschee samt eines angegliederten Kulturzentrums zu mobilisieren: Schon im Januar 2019 hat die Identitäre Bewegung Schwaben auf der Baustelle ein Plakat angebracht und ein Video von dieser Aktion bei YouTube veröffentlicht. Wenige Wochen später wurden Flyer mit der Falschmeldung verbreitet, dass die Stadt Leinfelden-Echterdingen im Moschee-Rohbau ein Grundschulzentrum einrichten werde. Im Oktober 2019 wurde in Oberaichen und Leinfelden erneut ein Flugblatt mit islamfeindlichen Botschaften verteilt. Die Religion wird darauf pauschal mit "Bildungsverweigerung" und "Bandenkriminalität" in Zusammenhang gebracht. Als Vernetzungsmöglichkeit findet sich auf dem Flyer auch ein Hinweis auf besagte Telegram-Gruppe, in der bereits zu "bürgerlichem Widerstand" gegen das Bauprojekt aufgerufen wurde. Bilder des Flyers wurden schließlich von den Administratoren in der Gruppe gepostet, um sich bei den Urhebern des Flugblatts für die Werbung zu bedanken und sich über die öffentliche Resonanz auf den Flyer lustig zu machen.

Damit folgen auch die rechten Akteure aus Stuttgart dem Aufruf von Martin Sellner, Sprecher der Identitären Bewegung Österreich, der zu einem Wechsel auf Telegram aufgerufen hatte. Er gab 2018 in einer Videobotschaft den Anstoß für die bundesweite Tendenz der Szene, sich aus den großen Sozialen Medien zurückzuziehen, weil ihre Hassbotschaften auf Plattformen wie Facebook, Twitter oder YouTube immer häufiger gesperrt werden. Auf Telegram kann sich die rechte Szene dagegen unbeobachtet fühlen und ihre Propaganda ungestörter verbreiten. In der Folge entstanden dutzende lokale Gruppen und Kanäle, die den Messenger für sich nutzen wollen. Während bekannten Akteuren wie Martin Sellner oder dem Pegida-Gründer Lutz Bachmann hier tausende Abonnenten folgen, sind die meisten Regionalgruppen nur wenig erfolgreich. Eine Gruppe in Villingen-Schwenningen ist mit 12 Mitgliedern ähnlich überschaubar wie jene aus dem Rhein-Neckar-Kreis, die 14 Nutzer umfasst. Trotzdem sollte die Gefahr nicht unterschätzt werden. Denn der Messenger bringt für Akteure vom rechten Rand einige Vorteile mit sich.

"Von großen Plattformen wie YouTube und Facebook werden Desinformationen mittlerweile durch einen Algorithmus vorsortiert und schlechter bewertet, was sich schnell zum Nachteil für rechtsextreme Akteure entwickeln kann. Eine solche Sortierung hat man auf Telegram nicht", erklärt Miro Dittrich, Leiter des Projekts de:hate der Amadeu Antonio Stiftung. Er betreibt seit vier Jahren ein Monitoring von rechtsextremistischen und -populistischen Phänomenen im Internet und hat einen genauen Blick auf einschlägige Gruppen und Kanäle bei Telegram. Dort gebe es kaum Gegenrede, weshalb rassistische und menschenverachtende Positionen unhinterfragt stehen blieben. Dabei sieht er die App als eine Ergänzung zu geschlossenen Gruppen auf Facebook, die für extrem rechte Organisationen ebenfalls an Bedeutung gewinnen. "Stellungnahmen von Rechtsextremen zu politischen Großereignissen liest man heutzutage eher auf Telegram als auf den etablierten Plattformen. Das Kommunikationsmittel ist ganz klar für den harten Kern der Anhänger gedacht, die sich hier langfristig eine politische Basis aufbauen wollen", ergänzt Dittrich.

Gelöscht wird (fast) nicht

In den letzten Jahren hat sich Telegram in Deutschland mit etwa 7,8 Millionen aktiven Usern als einer der beliebtesten Messenger etabliert. Viele Menschen benutzen die App, um sich mit Freunden zu verabreden oder Kollegen zum Geburtstag zu gratulieren. Die Kommunikations-App wirbt vor allem mit ihrer starken Verschlüsselung, was sie für rechte Kreise interessant macht. Auf der Homepage des Unternehmens heißt es, der Schutz von privaten Daten vor dem Zugriff durch Behörden oder Marketingagenturen habe oberste Priorität. Dementsprechend seien Gruppen-Chats auch hinsichtlich illegaler Inhalte die Privatangelegenheit der jeweiligen Nutzer und die Betreiber würden keine Anfragen dazu annehmen. Terroristische Kanäle und illegale Inhalte wolle das Unternehmen blockieren, ohne sich jedoch dabei an staatlicher Zensur zu beteiligen.

Ein Blick in andere Kanäle macht deutlich, dass der Messenger selbst bei der Verwendung von NS-Symbolik oder bei rechten Gewaltphantasien nicht regulierend einschreitet: Schnell findet sich ein Kanal, dessen Name von mehreren Hakenkreuzen dekoriert wird. Auch ein Video des Anschlags auf die Synagoge von Halle, das der Täter mit einer Helmkamera aufgenommen hat, wurde von den Betreibern der App nicht gelöscht. Selbiges gilt für die Aufforderung, sich an den gewalttätigen Ausschreitungen in Chemnitz zu beteiligen.

In der Vergangenheit wurde die App bereits mit der Verbreitung islamistischer Propaganda in Zusammenhang gebracht. Nach dem Attentat in der Pariser Konzerthalle Bataclan im November 2015 und einem anschließenden Aktionstag von sechs europäischen Staaten hat der Messenger tausende Accounts gelöscht, die von Dschihadisten zum Informationsaustausch benutzt worden sind. Ohne staatlichen Druck ist auch hinsichtlich rassistischer oder rechtsextremer Positionen keine Änderung der bisherigen Praxis absehbar. Zu dem Kanal aus Baden-Württemberg haben sich die Betreiber der App auf Anfrage nicht geäußert.

Die Administratoren der Stuttgarter Gruppe rechnen offensichtlich damit, dass sich über Telegram noch mehr Menschen für ihre rechte Politik erreichen lassen. Dabei befindet sich die Gruppe aktuell noch in der Aufbauphase. Laut den Administratoren soll sie zukünftig um eine weitere Gruppe ergänzt werden, in der sich die Mitglieder miteinander unterhalten können. Zusätzlich planen die Organisatoren persönliche Treffen. Sie reagieren damit auf den Wunsch ihrer User nach besseren Möglichkeiten zum gegenseitigen Austausch. Schon im August erkundigte sich der erste Abonnent in einem Kommentar bei den Administratoren der Gruppe: "Wird dieser Channel eigentlich mal zur Vernetzung genutzt oder bekommen wir hier nur irgendwelche irrelevanten Links zugeschickt?"


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4 Kommentare verfügbar

  • Jaheira
    am 16.02.2020
    Antworten
    Youtube, Facebook und Twitter gehen mit Löschen und Verstecken vor allem gegen Friedensaktivisten und Bürgerrechtler vor. Twitter ist bekannt dafür, linke US-Satiereaccounts zu sperren, die sich über Narzissmus und Korruption rund um Partei der Demokraten lustig machen.

    Rechte werden gegen…
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