Ein Blick über den Kesselrand: Seit 23 Jahren kämpfen zuerst die Grünen und dann andere Fraktionen mit ihnen in Leipzig für eine "baumstarke Stadt". Nach großen Anlaufschwierigkeiten stehen inzwischen 57.000 Straßenbäume, und pro Jahr müssen nochmal tausend mehr in die Erde. 45.000 mögliche Standorte sind ausgewählt. Und, oh Wunder, in zwei der sechs Landtagswahlkreise holten grüne Kandidatinnen 2019 das Direktmandat. "Wir brauchen Politiker, die sich was trauen", weiß der Verkehrswissenschaftler Hermann Knoflacher schon lange, "und die auf die Ebene der Bürger heruntersteigen." Der gebürtige Kärntner ist ein alter Bekannter auf den Stuttgarter Montagsdemos und passt bestens zum Jubiläum mit seinem treffsicheren Hang zur Ironie.
Also wird viel gelacht an diesem Abend, der eigentlich zum Weinen ist. "Wir berauschen uns nicht an unserem Durchhaltevermögen", sagt Moderatorin Angelika Linckh vor dem inzwischen zur Gänze und noch für Jahre stillgelegten Bonatzbau, "sondern wir sind gegen Verkehrswende-Verhinderungspolitik und die Flasche unter dem Bahnhof." Die Flasche und ihr Hals sind das Symbol des Abends, zuerst mit etwa 3.000 Menschen auf dem Arnulf-Klett-Platz, vielen bekannten Gesichter und dem obligatorischen Verkehrschaos in der Innenstadt. Angelika Linckh, die schon auf so vielen Demos aufgetreten ist, nahm Winfried Kretschmanns Steilvorlage auf. Der so oft und so scharf kritisierte Grüne hatte den Konflikt um Stuttgart 21 als "befriedet" eingeschätzt. "Wir waren immer friedlich und mussten uns von gewalttätigen Regierungen mit Wasserwerfern, Schlagstöcken und Pfefferspray bekämpfen lassen, weil wir für die grüne Lunge in der Stadt auf die Straße gegangen sind." Befriedet sei gar nichts, ganz im Gegenteil.
Mutige Politik steht auf der Seite der BürgerInnen
Gerade mit der Rolle von Politikern befasst sich auch Knoflacher, holt weit aus im Österreich der Siebziger Jahre und wird damit der Tradition der Montagsdemos gerecht. Die waren nie nur Protest-, sondern immer Informations- und Weiterbildungsveranstaltungen. An diesem Montag geht es um den November 1978, um die Volksabstimmung über das Atomkraftwerk in Zwentendorf, die die GegnerInnen bei einer Beteiligung von immerhin 64 Prozent hauchdünn gewonnen hatten mit 50,5 Prozent. Es gehöre zur Größe des damaligen SPÖ-Bundeskanzlers Bruno Kreisky, dass er das, obwohl er vollkommen dagegen war, akzeptiert hat. Bei der darauffolgenden Nationalratswahl bauten die Roten ihre absolute Mehrheit sogar leicht aus. Die Lehre gut 40 Jahre später: "Das heißt, mutige Politik gegen den Strom der hinter ihr agierenden Kräfte steht immer auf der Seite der Bürger."
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Martina Auer
am 10.02.2020