Im November vergangenen Jahres waren alle Augen wieder auf Nadia Murad gerichtet. Im Festspielhaus in Baden-Baden nimmt sie den Bambi aus der Hand von Ministerpräsident Winfried Kretschmann entgegen, der sie lobt für ihren Mut, für ihre Standhaftigkeit, ihren Kämpferwillen. Schmal steht sie da in ihrem schlichten Kleid inmitten all des Glitzers, tapfer liest sie von ihrem Manuskript ab: "Mein schönster Preis wäre es, wenn die Vergewaltiger des IS, die das den Jesidinnen angetan haben, vor Gericht gestellt würden." Monika Hauser kennt bosnische Frauen, die in Den Haag vor dem Internationalen Gerichtshof ausgesagt haben, sie kennt ruandische Frauen, die im Völkerrechtsprozess gegen den Ruandamilitär Ignace Murwanashyaka als Zeuginnen ausgesagt haben – und sie weiß, dass diese Aussagen mit Gefahren verbunden sind.
Für Zainab Murad bleibt Freiburg eine fremde Welt
Oft würden den Frauen "minimalste Dinge" verwehrt, wie eine Frau als Übersetzer oder dass der Übersetzer nicht der Volksgruppe der Vergewaltiger angehört, es gebe keine Sicherheit vor und nach dem Prozess. "Wenn es um Gerechtigkeit für Frauen geht", sagt Hauser, "dann machen Strafprozesse für sie nur Sinn, wenn die zuständigen Behörden endlich traumasensibel qualifiziert sind und sie einen Rechtsbeistand haben."
Oder geht es ausschließlich um schnelle Erfolge in der Verfolgung der IS-Täter? Das baden-württembergische Sonderkontingent mit seinen 1100 potenziellen Zeuginnen bietet jedenfalls eine einmalige Chance für die Suche der Generalbundesanwaltschaft nach IS-Tätern. Ein "Zeit"-Artikel spricht von 100 befragten Jesidinnen. Einige kamen aus Freiburg, sie wurden in Workshops auf die Befragung vorbereitet. Im Auftrag des Staatsministeriums führte die Freiburger Menschenrechtsorganisation Amica die Workshops durch. Doch Leiterin Catherina Klop ist mit der Vor- und Nachbereitung nicht zufrieden. "Wir hätten gerne noch einen dritten Workshop gehabt, es ist schwierig, die juristische Materie in eine andere Kultur und Sprache zu übersetzen", sagt Knop. Für Nadia Murad mag die strafrechtliche Verfolgung der Täter der schönste Preis sein. Doch jede Befragung birgt die Gefahr einer Retraumatisierung.
Für Zainab Murad ist Freiburg immer noch eine fremde Welt, in der sie versucht, Fuß zu fassen. Ältere Jesidinnen haben große Schwierigkeiten, anzukommen. Das weiß Yvonne Lux, Mitarbeiterin im Freiburger Amt für Migration und Integration, nur zu gut. Sie unterstützt 150 Jesidinnen und ihre Kinder als "Alltagsbegleiterin, Krisenmanagerin und zuständig für Empowerment", wie sie ihre Aufgabe umschreibt. Zu ihrer Klientel gehören auch die beiden jungen Frauen, die im Gemeinschaftsraum dort Platz genommen haben, wo noch vor wenigen Minuten Zainab Murad saß. Die Schwestern lachen, sie feiern den Geburtstag der jüngeren, 18 Jahre ist sie geworden, und steht nun nicht mehr unter der Vormundschaft der zwei Jahre älteren Schwester. "Für die Frauen, die eine Perspektive in Deutschland gefunden haben, ist es wirklich der Wendepunkt, den die Evaluation nahelegt", sagt Lux, "doch wer hofft und bangt, dass der Mann nachkommen kann so wie Frau Murad, für die ist das eine belastende Situation."
Das ist auch im Staatsministerium bekannt. Dort will man eine unbürokratische Lösung finden, zumal es sich "nur" um 18 Fälle handelt. Dabei hat auch das Innenministerium von CDU-Minister Thomas Strobl ein Wörtchen mitzureden. Dort dürfte das unter Grün-Rot eingefädelte Projekt Sonderkontingent nicht erste Priorität haben.
Doch Zainab Murad will nicht länger warten. Sie hat sich einen Anwalt genommen.
1 Kommentar verfügbar
Andrea K.
am 15.01.2020Wenn ich lese, dass es als "minimalste Anforderung" betrachtet, eine Übersetzerin aus dem gleichen Kulturkreis zu bekommen und mich gleichzeitig erinnere, dass hier in der jesidischen…