Seit Jahresanfang schwebt ein Damoklesschwert über Deutschlands Vereinswesen. Denn im Februar hatte Attac durch ein höchstrichterliches Urteil den Gemeinnützigkeitsstatus verloren. Dem Münchner Bundesfinanzhof waren die umtriebigen Globalisierungskritiker im hippen Berlin zu "allgemeinpolitisch". Anders gesagt: zu wenig gemeinnützig. Die Entscheidung des obersten Gerichts für Steuer- und Zollsachen gilt als Paukenschlag in der steuerlichen Rechtsprechung – der in vielen politisch aktiven Vereinen die Alarmglocken klingeln ließ. Wen würde der behördliche Liebesentzug als nächstes heimsuchen, fragten sich ehrenamtliche wie professionelle Vereinsvorstände seitdem. Es war nur eine Frage der Zeit, bis das Fallbeil Abgabenordnung, in der das Gemeinnützigsein gesetzlich geregelt ist, in Folge des Attac-Urteils erneut sausen würde.
Im Herbst war es dann soweit. Mitte Oktober trifft es zunächst einen weiteren großen außerparlamentarischen Player: das deutschlandweit aktive Kampagnenportal Campact. Wenige Tage später büßt mit dem "Demokratischen Zentrum" (DemoZ) in Ludwigsburg bundesweit erstmals ein kleines soziokulturelles Zentrum seine Gemeinnützigkeit ein. Mit Schreiben vom 24. Oktober entzieht das Finanzamt in der württembergischen Residenzstadt dem "Verein für politische und kulturelle Bildung", so der Namenszusatz, diesen Status.
Nazis ausgeschlossen – für die Behörde nicht okay
Wie begründet die Behörde ihre Entscheidung? Die politische Willensbildung werde im DemoZ nicht mit geistiger Offenheit geführt, moniert sie. "Es wird vielmehr versucht, die öffentliche Meinung im Sinne eigener Auffassungen zu beeinflussen", heißt es im Bescheid. Beispielhaft verweist das Amt auf kapitalismuskritische Vorträge und Workshops im Jahr 2017, die unter der Überschrift "Kapitalismus – was ist das und was können wir dagegen tun?" im DemoZ angeboten wurden. Ein Dorn im Auge ist den Sachbearbeitern explizit auch eine Veranstaltung, die den Teilnehmenden eine "Einführung in die Idee des Anarchismus" nahebrachte.
Zudem kritisiert die Behörde, dass sich das Kulturangebot des Zentrums nicht an alle richte, weil – Neonazis leider draußen bleiben müssen. So sichteten die Prüfer offenbar die Internetpräsenz des DemoZ, wo man im Impressum fündig wurde. "Ausgeschlossen von den Veranstaltungen sind Personen, die rechtsextremen Parteien oder Organisationen angehören, der rechtsextremen Szene zuzuordnen sind oder bereits in der Vergangenheit durch rassistische, nationalistische, antisemitische oder sonstige menschenverachtende Äußerungen in Erscheinung getreten sind", steht dort wörtlich. Für das Finanzamt Beweis genug, dass die Förderung der Allgemeinheit, wie die Abgabenordnung verlangt, nicht gegeben ist. "Gegenüber dem Anspruch, der 'Volksbildung' und einer offenen demokratischen Diskussion zu dienen, ist laut Text neben dem Impressum festzustellen, dass der Verein DemoZ ausdrücklich auch Personen von seinen Veranstaltungen ausschließt", heißt es in einem früheren Behördenschreiben.
Yvonne Kratz kann den blauen Brief der Steuereintreiber noch immer nicht fassen. Das sei in Zeiten von Hass und Hetze "ein ganz schlimmes Zeichen für unsere Gesellschaft", sagt die 24-jährige Vorstandsfrau. Seit 40 Jahren biete das DemoZ einen für alle Menschen offenen sozialen Treffpunkt mit zahlreichen Kultur- und Politikangeboten. Für das kulturelle Leben in einer Stadt wie Ludwigsburg sei ein vielfältiges, für alle zugängliches Programm entscheidend. So weit wie möglich habe man alle Angebote kostenlos gehalten, damit jede und jeder daran teilnehmen kann. Zudem stehe kein Träger hinter dem Zentrum, sondern man verwalte sich selbst. Alle, auch die Gäste, entscheiden gemeinsam, so Kratz. Ohne den Status der Gemeinnützigkeit sei das Zentrum in seiner Existenz bedroht, betont sie.
Ohne Gemeinnützigkeit keine Fördergelder mehr?
Weil man sich gegen Rassismus und Antisemitismus einsetze und deshalb mit Störungen rechnen müsse, habe man eine rechtssichere Formulierung gewählt, um notfalls das Hausrecht durchsetzen zu können, erläutert sie den monierten Ausschlusspassus. "Der Text ist so im Internetportal der Bundeszentrale für politische Bildung publiziert", betont Kratz.
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Reinhart Vowinckel
am 29.01.2020Der Gemeinnützigkeitsbegriff, wie ihn der Bundesfinanzhof anscheinend versteht - auf welcher rechtsstaatlichen Grundlage? - wider spricht eindeutig dem wichtigsten politischen Grundrecht, dem Recht der…