KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Fußballfans als Versuchskarnickel

Fußballfans als Versuchskarnickel
|

Datum:

Es ist wieder so weit: Der Fußball rollt und die Polizei ist mittenmang dabei. Dass sie dabei auch für andere Schlachten übt, bleibt eher unbemerkt. Und dass sich die Fans gegen verschärfte Polizeigesetze wehren ebenso. Eine Anwältin erklärt, warum das so ist.

Als Rechtsanwältin begleite ich seit vielen Jahren nicht nur linke Aktivist*innen, sondern auch Fußballfans und erlebe dabei ganz unmittelbar, was es heißt, mit immer weitergehenden polizeilichen Maßnahmen konfrontiert zu sein.

Viele fragen sich, weshalb sich überhaupt Fußballfans, das heißt vor allem Ultras, gegen das neue Polizeigesetz engagieren. Und warum dafür sogar Fangruppen, die ansonsten regelrecht verfeindet sind, an einem Strang ziehen.

Das hat einen ganz einfachen Grund. Fußballfans sind diejenigen, die mit am häufigsten und intensivsten von polizeilichen Maßnahmen betroffen sind. Wer einmal mit einer Gruppe Ultras zu einem Auswärtsspiel in ein anderes Bundesland gefahren ist, wird wissen, was ich meine.

Typischerweise bringt die Polizei bei Fußballspielen ihr gesamtes technisches Arsenal zum Einsatz. Bei Heimspielen des VfB Stuttgart fliegt mittlerweile regelmäßig eine Drohne über Bad Cannstatt, um die Fans zu beobachten, und die Pferdestaffel ist meist mit dabei. Und wen wundert es, dass Wasserwerfer, die nach dem sogenannten "Schwarzen Donnerstag" im September 2010 in Baden-Württemberg über einige Jahre völlig verpönt waren, weil einem Demonstranten per Wasserstrahl das Augenlicht zerstört wurde, ihren ersten Einsatz wieder beim Fußball hatten?

Schon vor einer Auswärtsfahrt setzt sich die Polizei in der Regel mit dem Busunternehmen in Verbindung, um zu klären, wie viele Busse von den Fans angemietet wurden. Oft stehen am Treffpunkt nochmals Zivilstreifen, die beobachten, welche Personen genau am Start sind. Spätestens einige Kilometer vor der Ankunft am Stadion werden die Busse in einem Konvoi der Polizei zum Stadion geleitet. Ein Abweichen von der Strecke oder nur ein kurzer Halt sind dann nicht mehr möglich. Nicht selten kommt es vor, dass die Busse bereits zuvor über eine große Distanz von einem Polizeihubschrauber begleitet worden sind. Bei Ankunft auf dem Busparkplatz am Stadion werden die Fans häufig in einen Polizeikessel genommen und engmaschig zum Stadion begleitet.

Im Stadion selber ist die Polizei selbstverständlich ebenfalls präsent. Und immer wieder kommt es zu dramatischen Szenen und Verletzten, wenn die Polizei – häufig aus nichtigem Anlass – einen vollbesetzten Fanblock stürmt und dabei Pfefferspray einsetzt.

Kaum ein Ultra ohne Platzverweis

Nach dem Spiel erfolgt gern eine "Blocksperre", die Fans dürfen über einen längeren Zeitraum das Stadion nicht verlassen, um die Fanlager zu trennen. Dass die Fans danach erneut im Polizeikessel zu ihren Bussen eskortiert und im Polizeikonvoi aus der Stadt hinaus geleitet werden, versteht sich von selbst.

Und wer bis zu diesem Zeitpunkt überhaupt dabei ist, kann sich glücklich schätzen. Vor sogenannten Risikospielen greift die Polizei zunehmend zum Mittel der Aufenthaltsverbote, um zu verhindern, dass Fans zu einem Auswärtsspiel reisen können. Ein Ultra, der nicht schon mal von einer Gewahrsamnahme oder einem Platzverweis betroffen war, dürfte schwer zu finden sein.

Als wäre dies alles nicht genug, führen die genannten polizeilichen Maßnahmen in aller Regel zur Eintragung der Betroffen in eine der diversen polizeilichen Datenbanken, insbesondere die "Datei Gewalttäter Sport" oder die baden-württembergische "Datei szenekundiger Beamter". Die Folgen einer solchen Datenspeicherung machen sich nicht nur beim Fußball, sondern auch im Alltag bemerkbar. So kann eine Treffermeldung bei der Grenzkontrolle auf dem Weg in den Urlaub dazu führen, dass der Betroffene so lange akribisch kontrolliert und durchsucht wird, bis der Flugtermin verpasst ist.

Liest man im Nachhinein die Polizeiberichte so meint man, die Polizei habe nur mit letzter Not ein bürgerkriegsähnliches Szenario verhindern können. Viel zu oft werden diese Berichte unhinterfragt von der Presse einfach abgeschrieben, ohne dass auch nur der Versuch einer kritischen Auseinandersetzung zu erkennen ist.

0,7 Verletzte pro Spiel

Im Gegensatz zu diesem massiven personellen und technischen Aufwand, den die Polizei bei Fußballspielen betreibt, stehen die nackten Zahlen der Polizeistatistik. Danach handelt es sich bei Fußballstadien um sehr sichere Orte. In der Saison 2018/2019  waren in Baden-Württemberg in den ersten vier Ligen bei durchschnittlich 17 500 Zuschauern pro Spiel gerade mal 0,7 Verletzte zu verzeichnen. Jedes Dorffest dürfte gefährlicher sein. Und die Anzahl der von der Polizei erfassten Straftaten geht von Jahr zu Jahr zurück.

Warum dann dieser ganze Aufwand? Und warum wird die vermeintliche Notwendigkeit, hart gegen angebliche Fußballgewalt durchzugreifen, mit schöner Regelmäßigkeit von Sicherheitspolitikern und Polizeigewerkschaftern bemüht, um härtere Gesetze, mehr Geld, mehr Stellen und bessere Ausrüstung für die Polizei zu fordern?

Das dürfte damit zu tun haben, dass Fußballfans kaum eine Lobby haben. Viel zu oft werden sie medial als Fußballchaoten und Gewalttäter abgestempelt, und die Bürgerrechtsbewegung tut sich mehr als schwer mit einer Solidarisierung.

Fußballfans sind Linken suspekt

Dabei wäre es immens wichtig, dass gerade die Bürgerrechtsbewegung mit großer Aufmerksamkeit verfolgt, was sich im Fußball abspielt. In Zeiten, in denen die Sicherheitsbehörden mit immer größeren Befugnissen ausgestattet und immer weiter aufgerüstet werden, müssen diese Maßnahmen von der Exekutive sowie der Legislative gerechtfertigt werden können.

Und wer würde sich als Begründung für eine Gesetzesverschärfung besser anbieten als eine Personengruppe, der das Image der „Schmuddelkinder“ anhaftet, und die Linken und sonstigen Engagierten irgendwie suspekt ist?

Hier kommt ein ähnlicher Mechanismus zum Tragen, wie dies beim „Kampf gegen den islamistischen Terror“ regelmäßig der Fall ist. Ebenso wie sich der Kampf gegen den Terror als Argument für ausufernde Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen eignet, weil niemand ernsthaft dagegen protestieren mag, gilt dies auch für Fußballfans – mit freundlicher Unterstützung der Boulevardpresse und der Polizeigewerkschaften.

Und wenn die gesetzlichen Rahmenbedingungen geschaffen sind und die Polizei mit immer besserer Ausrüstung ausgestattet ist, dann müssen die erweiterten Befugnisse selbstverständlich in der Praxis erprobt werden. Die logistische Mammutaufgabe, eine Vielzahl an Personen auf einmal erkennungsdienstlich zu behandeln oder in Gewahrsam zu nehmen, kann bei Fußballspielen am lebenden Fan geübt werden. Die dort gewonnen Erkenntnisse lassen sich ohne weiteres bei jeglicher Art des Aufbegehrens gegen staatliche Gewalt nutzen. Und so kommen im nächsten Schritt vielleicht DemonstrantInnen gegen den Braunkohleabbau oder Protestierende gegen einen Naziaufmarsch in den Genuss der von der Polizei im Einsatz gegen Fußballfans erworbenen Fähigkeiten.

Wenn man sie nur lässt, kennt Repression kein Halten. Und die Begehrlichkeiten der Polizeigewerkschaften und anderer Freunde der Überwachung kennt keine Grenzen.

Noch lässt das Polizeigesetz in Baden-Württemberg "nur" gegen terroristische Gefährder die elektronische Aufenthaltsüberwachung, also die elektronische Fußfessel und sogenannte Aufenthaltsvorgaben und Kontaktverbote zu; und es soll "nur" gegen diesen Personenkreis demnächst der sogenannte Unendlichkeitsgewahrsam möglich sein. In einem übernächsten Schritt zählen möglicherweise Fußballfans zu den Betroffenen, bevor schließlich alle, die gegen Ungerechtigkeiten und gesellschaftliche Fehlentwicklungen aufbegehren, in den Fokus geraten.

Und aus diesem Grund gibt es gegen diese ganze Entwicklung nur ein einziges Wort zu sagen: nein!

 

Angela Furmaniak ist Strafverteidigerin in Freiburg mit Schwerpunkt Polizei- und Versammlungsrecht. Der vorliegende Text basiert auf einer Rede, die Furmaniak auf einer Demonstration gegen die Verschärfung des Polizeigesetzes in Baden-Württemberg am 13. Juli 2019 in Stuttgart gehalten hat.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


3 Kommentare verfügbar

  • Artur Borst
    am 12.08.2019
    Antworten
    Der Umgang der Polizei mit Fußballfans ist ein sehr sensibles Thema. Richtig ist, dass Polizeieinsätze oft übertrieben sind. Ich selbst habe dies einmal erlebt: Erst die völlig unnötige massive Besetzung eines Fanblocks durch die Polizei ohne jeglichen Anlass führte zu Schlägereien. Durch von…
Kommentare anzeigen  

Neue Antwort auf Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!