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Kampf um die Jugend

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Schul-Referate, Karriere-Stände, Web-Serien: Mit großem Aufwand bemüht sich die Bundeswehr um die Zielgruppe der Unter-18-Jährigen. Ist das legitim? Oder handelt es sich um Schleichwerbung unter dem Deckmantel sachlicher Informationsarbeit?

Der Jugendoffizier

Helles Hemd, dunkelblaues Sakko, Bundesadler an der Brusttasche: Hauptmann Stefan Gram sieht schick aus. Mit seiner ruhigen Stimme wirkt der 28-Jährige so gar nicht wie ein schießwütiger Klischee-Soldat, eher wie ein nachdenklicher Pädagoge. Genau das ist Gram in diesem Moment auch. Als Jugendoffizier steht er vor der 9. Klasse der Grund- und Hauptschule Lenzkirch im Schwarzwald und referiert über Sicherheitspolitik. Aus Sicht der Bundeswehr.

Gram spricht über seinen Werdegang, über das Raketenabwehr-System „Mantis“, über die blaue Uniform, die die Zugehörigkeit zur Luftwaffe symbolisiert. Dann wendet er sich an die Klasse und fragt, wofür man Jugendoffiziere wie ihn überhaupt braucht. „Na, um Leute anzuwerben“, antwortet ein Schüler, „ist doch der perfekte Ort.“ Gram schüttelt den Kopf. „Das ist mir verboten“, entgegnet er und spricht stattdessen von Transparenz. „Noch nie wurde in Deutschland so viel Geld fürs Militär ausgegeben. Da haben wir die Pflicht, Auskunft zu geben.“

Der kurze Dialog fasst eine Debatte zusammen, die seit Jahren in Deutschland schwelt und durch den Vorstoß der Berlin-SPD („Keine Bundeswehr an Schulen“) nun wieder Fahrt aufnimmt: Darf ein Soldat den Platz des Lehrers einnehmen? Soll eine demokratisch kontrollierte Armee auch im Klassenzimmer über ihre Aufgaben informieren? Oder wird dadurch eine Hintertür geöffnet, um bestimmte Sichtweisen zu propagieren und Minderjährige zum Militärdienst zu überreden?

In der Diskussion werden jedoch oft zwei verschiedene Soldatentypen vermischt: Jugendoffiziere wie Gram gehen an Schulen, um über Sicherheitspolitik zu referieren. Direkte Nachwuchswerbung betreiben sie nicht; diese ist den sogenannten Karriereberatern vorbehalten. Auch sie kommen mit Schülern in Kontakt, allerdings eher auf Berufsmessen oder in Informationsbüros. Ihre Aufgabe: Jugendliche für den Arbeitgeber Bundeswehr begeistern – auch diejenigen, die noch nicht volljährig sind.

Viel Zeit für politische Botschaften bleibt Gram bei seinem Vortrag in Lenzkirch nicht. In der Doppelstunde, die ihm zur Verfügung steht, schneidet er die Cybersicherheit ebenso an wie die Nato und die deutsch-französische Brigade. Auch die marode Ausrüstung kommt zur Sprache. Frage eines Schülers: „Was machen Sie denn mit den 43 Milliarden, die Sie jedes Jahr bekommen?“ Der Jugendoffizier antwortet: „So schnell geht das nicht. Neue Waffensysteme zu entwickeln, dauert Jahre.“

Es geht um Kampfeinsätze und internationalen Terrorismus, um Flüchtlingshilfe und getötete Soldaten. „Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand im Einsatz stirbt, ist gering“, sagt Gram, „aber sie besteht.“ Auch die Tatsache, dass Auslandseinsätze umstritten sind, erwähnt der Jugendoffizier. „Manche Parteien sind dafür, andere dagegen. Jeder Bürger hat die Wahl.“ Wobei schon deutlich wird, wie er und sein Arbeitgeber die Sache sehen. Die internationale Gemeinschaft kann zur Friedenssicherung beitragen – so das Mantra eines Videos, das Gram vorführt.

Die spannendste Frage stellt ein Schüler ganz zum Schluss. „Ich bin selbst Flüchtling“, sagt er, „warum helfen Sie Ländern, die gegen ihre eigene Bevölkerung sind?“ Auch dafür hat Gram eine Antwort parat: „Wir sind nicht da, um innenpolitische Probleme zu lösen. Aber wir sind auch nicht da, um Diktaturen zu schützen.“ Dann klingelt es und die 9. Klasse stürmt in die Pause.


Die Gewerkschafterin

Ilka Hoffmann ist Vorstandsmitglied der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Und sie hat eine klare Meinung. „Viel zu viele staatliche Gelder werden für die Rekrutierung ausgegeben.“ Allein im Grundschulbereich fehlten in Deutschland 25.000 Lehrkräfte, im Pflege- und Sozialbereich noch einmal deutlich mehr. „Dort wird jeder Mensch gebraucht, aber die Bundeswehr investiert 35 Millionen Euro in Werbespots“, echauffiert sich Hoffmann.

Ihr Hauptkritikpunkt: Junge Menschen seien besonders empfänglich für markige Sprüche. „Dabei ist die Bundeswehr eben kein Arbeitgeber wie jeder andere. Wir reden von einem Arbeitsumfeld, in dem man lernt, Menschen zu töten.“ Diese Kontroverse komme bei den Unterrichtsbesuchen viel zu kurz. Dass es einen Unterschied zwischen Jugendoffizieren und Karriereberatern gibt, lässt die Gewerkschafterin nicht gelten. „Damit redet sich die Bundeswehr raus“, so Hoffmann. „Die Jugendoffiziere werben nicht direkt, aber sie verteilen natürlich auch Flyer. Da sind die Übergänge fließend.“

In Schulen in Baden-Württemberg wurden Jugendoffiziere im vergangenen Jahr 538 Mal vorstellig (in Gesamtdeutschland gab es etwa 4300 Vorträge). Wie viele Karriereberater die Schulen besuchten, darüber liegen dem Kultusministerium keine Informationen vor. „Die Zusammenarbeit mit der Bundeswehr hat sich über viele Jahre bewährt“, heißt es aus Stuttgart. Die Armee sei „ein wichtiger Partner bei der politischen Bildung.“

Ilka Hoffmann hingegen findet: „Das ist keine politische Bildung, wenn eine Organisation für sich selbst spricht.“ Besonders stört sie, dass auch Unter-18-Jährige dienen dürfen. Im Jahr 2018 waren von 20.012 eingestellten Soldatinnen und Soldaten 1.679 minderjährig. „Das ist nicht vereinbar mit der UN-Kinderrechtskonvention, der sich Deutschland verpflichtet hat“, so Hoffmann. Gemeinsam mit dem Kinderhilfswerk „Terre des hommes“ hat die GEW eine Kampagne gestartet, mit der sie die Bundesregierung unter Druck setzen möchte („Unter 18 nie“).

In der Zwischenzeit rät Hoffmann allen Lehrern, von ihrer pädagogischen Freiheit Gebrauch zu machen. „Die Länder können Vereinbarungen mit der Bundeswehr schließen und ihnen den Weg in die Schulen erleichtern. Aber niemand kann Lehrerinnen und Lehrer dazu zwingen, die Bundeswehr hereinzulassen.“
 

Der Sprachforscher

„Wie ein bewaffneter Sportverein“: So präsentiert sich die Bundeswehr gegenüber Jugendlichen, meint der Sprachwissenschaftler Friedemann Vogel von der Universität Siegen. Bereits 2013 kritisierte der Linguistik-Professor in Interviews das „irreführende Image“, das in Hochglanz-Broschüren und Internetangeboten zelebriert werde: „Die Bundeswehr stellt sich als Ort dar, an dem sich junge, dynamische und ehrgeizige Männer und Frauen treffen, um Abenteuer zu erleben.“

Damals hatte die Bundeswehr gerade eine Anzeige auf der Website des Jugendmagazins „Bravo“ geschaltet. Inzwischen setzt die Truppe vor allem auf eigene Produktionen wie die Youtube-Serie „Die Rekruten“ oder die Website „bundeswehrentdecken.de“. Zwar habe er Letztere bislang nicht vollständig untersucht, sagt Vogel. Doch ein erster Blick bestätige das alte Muster.

„Da beschreibt zum Beispiel ein Soldat seinen Werdegang als Scharfschütze.“ Von Teamarbeit und Herausforderungen sei dabei die Rede. „Aber an keiner Stelle geht es darum, dass er dafür ausgebildet wurde, mit hoher Präzision Menschen zu töten.“

Seit der Aussetzung der Wehrpflicht im Jahre 2011 ist die Bundeswehr auf freiwilliges Personal angewiesen. Die Truppe konkurriert mit der freien Wirtschaft; die Personalnot ist groß. Laut dem jüngsten Wehrbericht waren bis Ende November 2018 allein oberhalb der Mannschaftsebene 21.490 Dienstposten unbesetzt.

Ist es vor diesem Hintergrund nicht legitim, um potenzielle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu werben? „Das schon“, meint Vogel, „aber Jugendliche sollten nüchtern informiert statt irregeführt werden.“ Verletzungen, posttraumatische Belastungsstörungen, Tod und Gefahr: Von den Schattenseiten des Berufs hörten sie so gut wie nichts.
 

Der Karrierestand

Im Vordergrund stehen zwei Motorräder der Feldjäger, im Hintergrund parkt die Drohne „Luna“. Der Stand der Bundeswehr auf dem Mannheimer Maimarkt sieht, nun ja, militärisch aus. „Mit dem Panzer können wir hier nicht vorfahren“, sagt Thomas Welschhoff, „das würde der Boden nicht mitmachen.“ Tabu ist eine solche Inszenierung aber nicht – auf anderen Veranstaltungen kommen gepanzerte Fahrzeuge durchaus zum Einsatz.

Welschhoff ist einer von 480 Karriereberatern der Bundeswehr. Der 54-Jährige stellt seinen Arbeitgeber auf Berufsmessen, Volksfesten und bei Bedarf auch an Schulen vor. „Wir machen hier keine Rekrutierung“, beteuert der Hauptmann. „Wir sind ja nicht die Amerikaner.“ Wenn jemand Interesse bekunde, werde er stattdessen an eine Hotline verwiesen. „Oder wir vereinbaren ein persönliches Gespräch.“

Was der Karriereberater danach sagt, klingt aber doch eher nach Werbung: „Für 17-Jährige sind wir nicht unattraktiv. Bei der Bundeswehr gibt es über 60 Ausbildungsberufe, man kann den Führerschein erwerben und bekommt ein tolles Gehalt.“ Welschhoff weiß, dass die Rekrutierung Minderjähriger umstritten ist. „Man kann sich ab 16 bei uns bewerben, aber ohne Einverständnis der Eltern läuft nichts.“ Kein 17-Jähriger werde in den Auslandseinsatz geschickt.

Am Stand selbst hängt ein Plakat. „Was sind schon 1000 Freunde im Netz gegen einen Kameraden?“, steht darauf. Broschüren führen aus, worum es bei der Bundeswehr gehen soll: „ums Weiterkommen, nicht nur ums Stillstehen.“ Bei einem Reaktionsspiel, das an der Wand neben der Drohne aufgebaut ist, können junge Leute ihre Fähigkeiten testen.

So wie Christoph Bellmann. Der 29-Jährige sagt, er sei „einfach aus Interesse“ an den Stand gekommen. „Zu meiner Zeit gab es noch die Wehrpflicht, aber damals wurde ich ausgemustert.“ Thuy Phuong Buithi (24) lässt sich ein aufgebautes Funkgerät erklären. „Die Leute hier wirken sehr kompetent“, findet die junge Frau. Kurz huscht ihr Blick zu den bewaffneten Feldjägern herüber. Dann ergänzt sie: „Als Arbeitgeber käme die Bundeswehr für mich nicht infrage.“


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2 Kommentare verfügbar

  • asisi1
    am 01.07.2019
    Antworten
    Bei dieser Bundeswehrführung wundert mich es , dass sie überhaupt noch irgendein Dummkopf finden, der da hin will. Mit dieser Führung kann man kein Scheisshaus stürmen, auch wenn die Tür offen steht! Das sagte unser Hauptmann schon 1970 zu uns! Und die heutige Zeit ist noch viel schlimmer!
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