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Die Lust- und Frust-Steuer

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Dass es im Stuttgarter Rotlichtviertel brodelt, ist kein Geheimnis. Seit Langem beschweren sich Bewohner und Gewerbetreibende über wachsende Gewalt, illegale Puffs und den damit einhergehenden Verfall des Leonhardsviertels. Daran ist die Stadt nicht unschuldig. Schließlich hat sie vor einigen Jahren selbst Häuser verkauft, in denen sich jetzt Bordelle befinden. Nun soll eine Vergnügungssteuer helfen.

Stuttgarts kleines Rotlichtviertel in der Leonhardstraße. Foto: Martin StorzDass es im Stuttgarter Rotlichtviertel brodelt, ist kein Geheimnis. Seit Langem beschweren sich Bewohner und Gewerbetreibende über wachsende Gewalt, illegale Puffs und den damit einhergehenden Verfall des Leonhardsviertels. Daran ist die Stadt nicht unschuldig. Schließlich hat sie vor einigen Jahren selbst Häuser verkauft, in denen sich jetzt Bordelle befinden. Nun soll eine Vergnügungssteuer helfen.

Mit dieser erweiterten Steuer hofft die Stadt, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Bordelle und Laufhäuser, Bars, Swingerklubs und SM-Studios müssen seit Anfang des Jahres zehn Euro pro Quadratmeter ihres Etablissements im Monat abführen. Rund 700 000 Euro im Jahr sollen durch die Bordellbesteuerung in die Stadtkasse gespült werden. Neu ist die Idee nicht: In Köln werden sechs Euro pro Arbeitstag pro Frau berechnet. In Bonn kostete ein Sexticket sechs Euro die Nacht, pro Quadratmeter Fläche werden nochmals vier Euro im Monat verlangt. In Sindelfingen sind es 150 Euro pro Monat und Zimmer. Nun also auch in Stuttgart.

"Mit dieser Steuer wollen wir in erster Linie Steuereinnahmen generieren", sagt die Vergnügungssteuerbeauftragte und stellvertretende Fraktionsvorsitzende Ulrike Küstler vom Bündnis Stuttgart ökologisch sozial (SÖS), die den Antrag auf Ausweitung der Vergnügungssteuer eingebracht hat. "Und wir wollen den mafiösen Strukturen Einhalt gebieten." Da schwingen viele Wünsche mit.

Denn bisher kümmert sich kaum einer intensiv um die Puffs, die dort aus dem Boden schießen. Das Baurechtsamt genehmigt gewerbliche Zimmervermietungen – explizit ohne Prostitutionshintergrund, kontrolliert dies in der Folge aber nicht. Beim Gewerbeamt, erklärt ein Mitarbeiter, können dementgegen seit 2009 gewerbliche Zimmervermietungen mit explizit erwähntem horizontalem Hintergrund angemeldet werden. Das Ordnungsamt sieht seine Zuständigkeit an der Haustür der Etablissements beendet. Findet das Ordnungsamt allerdings, dass eine gewerbliche Zimmervermietung nicht ordentlich betrieben wird, reicht das Gewerbeamt das ans Baurechtsamt weiter. Das wiederum klagt unter bestimmten Umständen auf Nutzungsuntersagung. Manchmal zumindest und dann meist über Jahre. So erklärt es Kirsten Rickes vom Baurechtsamt.

Große Unlust, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen

Dieses Behördenwirrwarr ist zudem gespickt mit einer gewissen städtischen Unlust, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Und mit einer Menge unterschiedlicher Definitionen all der Zimmervermietungen, der Betriebsarten, der Wohnungsnutzungsarten und der den Ämtern jeweils zugrunde liegenden Gesetzen.

Denn illegal sind viele Betriebe nicht. Manche sind tatsächlich genehmigt, manche sind "geduldet", also schon so lange da, dass man sie nicht mehr verbieten kann. Und, manche wollten sich vor Jahren zwar beim Gewerbeamt anmelden, brauchten dies aber nicht zu tun, weil das Gewerbeamt nach eigener Auskunft bis 2009 keine Einordnung für Zimmervermietungen zum Zwecke der Prostitution vorliegen hatte, das Baurechtsamt ja nur Zimmervermietungen ohne Sexgewerbe zulässt und die Anmeldung als Bordell baurechtliche Auflagen beinhaltet, die sich die meisten sparen wollten. Die Verwirrung ist groß.

Zwischen all diesen genehmigten und halb genehmigten und irgendwie existierenden Häusern wachsen immer wieder tatsächlich illegale Betriebe aus dem Boden, um die sich aber auch heute keiner so richtig kümmert. Alles in allem herrscht in Sachen Rotlichtviertel so etwas wie ein behördliches Bermuda-Dreieck, in dem recht häufig etwas verschwindet und vieles nur rudimentär kommuniziert wird.

Nun soll also eine Steuer Ordnung schaffen. Aber auch bei der geht's drunter und drüber.

Die Vergnügungssteuer im Rotlichtviertel soll Geld bringen, ist aber das reinste Chaos. Foto: Martin StorzIn Stuttgart gibt es von der Stadt geschätzt rund 60 Laufhäuser. Dazu kommen noch rund 200 bis 300 private Wohnungen, in denen sexuelle Dienste angeboten werden. Die sind zwar in der neuen Satzung nicht explizit erwähnt, fallen aber laut Rolf Kiener von der Kämmerei unter den in der Satzung verzeichneten Passus "ähnliche Einrichtungen". Eigentlich hätten sich Betreiber und unter "Ähnliches" fallende Anbieter bis 15. Januar mit einem Grundriss bei der Kämmerei melden sollen. Haben die meisten aber nicht. Weil sie entweder nichts davon gewusst haben wollen oder zwar um die Steuer wussten, aber erst einmal auf den Bescheid der Kämmerei warten wollten. Der ging aber nicht ein, weil die Kämmerei zunächst alle Betriebe und Wohnungen erfassen muss, die seit Anfang des Jahres eigentlich besteuert werden sollen.

Das Problem: nur die Polizei hat eine nutzbringende Auflistung aller Wohnungen und Häuser mit horizontalem Gewerbe. Zumindest da scheint die Zusammenarbeit zu klappen: Die Akten sind so gut wie auf dem Weg ins Rathaus. In diesen Akten steht aus Datenschutzgründen aber nur drin, wo die jeweiligen Betriebe zu finden sind. Der Besitzer ist im Grundbuch verzeichnet, der Veranstalter, der die Steuer entrichten soll, allerdings muss herausgefunden werden. Auch das ist eher kompliziert.

Häufig verpachtet der Besitzer des Hauses an einen Pächter, der wieder an einen Unterpächter, der an einen zweiten, dritten oder vierten Unterpächter, und aus all dem Gewurschtel muss bei einigen Häusern erst der häufig wechselnde Veranstalter ausgemacht werden. Wenn der nach mehrmaliger Aufforderung nicht zahlt, wird der Besitzer in die Pflicht genommen. Der nämlich haftet für die Entrichtung der Steuer.

Nur eineinhalb Stellen, um das Chaos zu verwalten

Kontrolliert wird das Ganze von der Stuttgarter Stadtkämmerei. Und die hat genau eineinhalb Stellen zur Verfügung, um die Steuer zu verwalten, einzutreiben und festzustellen, wer wie viel zahlen muss. Das heißt im Falle der Betriebe mit sexuellen Dienstleistungen: herausfinden, wer wo ein angemeldetes oder nicht angemeldetes Bordell oder eine Zimmervermietung betreibt, wer wo Swingerklubs hat, SM-Studios oder eben erwähnte "ähnliche Einrichtungen" betreibt. Die müssen in der Folge nachgemessen werden. Nicht zu vergessen die Erfassung und Besteuerung der Einzelauftritte von Stripperinnen in Lokalen. Die werden, so ist der Plan, vom Ordnungsamt an die Kämmerei vermittelt. Noch dazu müssen Spielautomaten kontrolliert und überprüft werden, Wettbüros und öffentliche PC mit Internetzugang, die mit der neuen Vergnügungssteuersatzung entweder neu oder höher besteuert werden als bisher.

Ein Dreivierteljahr hat die Kämmerei dafür veranschlagt, eine Schneise in die Unübersichtlichkeit zu schlagen. Bis dahin zahlen aber nur die, die sowieso angemeldet sind und sich um ein relativ sauberes Image bemühen. Am stärksten betroffen davon sind etwa Swingerklubs mit viel Fläche. 400 bis 600 Quadratmeter sind da keine Seltenheit, und das bedeutet 4000 bis 6000 Euro zusätzliche Steuerlast für diese Betriebe. Gerecht insofern, als auch das Sexgewerbe besteuert werden muss. Ungerecht aber, weil es eben zunächst nicht die trifft, die man eigentlich treffen möchte. Der positive Nebeneffekt der Steuer: die Stadt Stuttgart hat nach dieser Bestandsaufnahme erstmals eine womöglich vollständige Liste aller Betriebe, Besitzer und Veranstalter.

Gegen die neue Vergnügungssteuer gibt es in der Branche einen Sturm der Entrüstung. Foto: Martin StorzSeit Bekanntwerden der neuen Vergnügungssteuer laufen zudem die Prostituiertenverbände Sturm: Sie treibe die Prostituierten weiter in die Illegalität und auf die Straße. Die Steuer würde zudem auf die Zimmermiete (bis zu 130 Euro am Tag) und damit auf die Prostitutierten selbst umgelegt, die sowieso schon unter dem enormen Preisverfall in dieser Branche zu leiden hätten. Kenner der Szene allerdings sind sich sicher: Die Steuer soll ja gerade nicht von den Huren getragen werden, sondern von den Veranstaltern. Und auf deren Seite wird so viel verdient, dass das bisschen Steuer dem Gewerbe nicht wehtut.

Bleibt die Hoffnung, dass es einigen Hausbesitzern nach vermutlich langem Streit mit diversen Unterpächtern und Veranstaltern zu bunt wird und sie ihre Immobilien doch lieber an einfachere Gewerbetreibende vermieten. Und, sagt ein Etablissementbesitzer, der sich im Viertel stark engagiert, dass sich die Stadt langsam mal um diese Viertel kümmert und all den Gesetzes- und Zuständigkeits-Wirrwarr entwirrt, der sich mit den Jahren und Jahrzehnten aufgestaut hat.


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1 Kommentar verfügbar

  • Madonnae.V.
    am 25.01.2012
    Antworten
    Wir Prostituiertenverbände laufen zu Recht Sturm. Wir wünschen uns, dass seriöse Argumente gegen eine solche Steuer nicht lapidar beiseite geschoben werden. (Informationen unter: http://www.bufas.net/bufasinformiert.html,…
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