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Die Retter zur See

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Die Lebensretter der Mission Lifeline rufen zur Schiffs-Demo auf, vom 16. bis zum 21. Juni, auf dem Mittelmeer. Auch in Deutschland stehen immer mehr Menschen auf für die Rettung von schiffbrüchigen Geflüchteten und für "Sichere Häfen".

Die Mission Lifeline ist eine der Initiativen, die sich wie Sea-Watch und Sea-Eye der zivilen Seenotrettung im Mittelmeer verpflichtet hat. Vom kommenden Samstag an ruft die NGO zur Mittelmeer-Demo #Yachtfleet auf. Eine Wochen auf See, für die Seenotrettung, gegen die restriktive und menschenverachtende Flüchtlingspolitik der EU, Italiens, Deutschlands, Österreichs. Und im Gedenken an fast 20 000 Menschen, die in den vergangenen fünf Jahren im Mittelmeer ertrunken sind. "Wenn viele Leute zivilen Ungehorsam praktizieren, muss die Politik irgendwann einknicken", sagt Axel Steier, Mitbegründer von Mission Lifeline. "Dann kann man dem staatlichen Sterbenlassen vielleicht die Legitimität entziehen."

Etwa 30 Männer und Frauen aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Griechenland, Italien und Syrien umfassen die bisher vier Crews, die seit ein paar Tagen vor Sizilien für #Yachtfleet trainieren: Hand in Hand zu arbeiten, sich aufeinander einzustellen, auf engem Raum auf einem der vier Schiffe zusammen essen, schlafen, leben – diese Wochen können lang sein. Und gefährlich, wenn der eine nicht weiß, was der andere tut. Obwohl zwei Ärzte dabei sein werden, müssen alle Teilnehmenden erste Hilfe und Reanimation beherrschen, das Verteilen von Rettungswesten muss wie am Schnürchen klappen, jeder muss wissen, wie ein Mensch aus dem Wasser ins Rettungsboot geborgen werden kann. "So eine Aktion braucht Vorbereitung", sagt Axel Steier. Seenotrettung ist kein Segelausflug bei eitel Sonnenschein.

Eindrückliche Dokumentation

Wie die Arbeit auf dem Rettungsboot Lifeline aussieht und welchen Gefahren und Widrigkeiten sie mit sich bringt, zeigt eindrücklich die einstündige Doku "Die Mission der Lifeline" von Regisseur Markus Weinberg, die derzeit durch die Kinos tourt. Am vergangenen Donnerstag war sie in Stuttgart zu sehen.

Es ist eine der berührendsten Szenen des Films: Ein Mann springt panisch vom Boot ins Wasser, lässt sich kaum beruhigen, weil er furchtbare Angst davor hat, nach Libyen zurückgebracht zu werden. In ein Land, in dem, so erzählt es ein anderer Geflüchteter, Schwarze behandelt würden wie Vieh. Eine Ärztin auf dem Schiff berichtet von Männerbeinen voller Peitschenstriemen, Geflüchtete erzählen von Tod, von Folter, von Grausamkeiten, die sie in libyschen Gefängnissen erlebt haben. Und von der Angst, dorthin zurückzumüssen.

Immer wieder blendet der Film über nach Deutschland, nach Dresden. Dort lebt Axel Steier, dort hat er die Mission Lifeline mit aufgebaut. Mitten rein in die Pegida-Hochburg, in das Geschrei und Gebrüll von Neonazis und Rechtspopulisten, ein Zeichen für Menschlichkeit in Sachsen. In einer Film-Szene steht Steier am Rande einer Pegida-Demonstration und versucht vor dieser unwirtlichen Kulisse ein Statement in die Kamera abzugeben. Eine ältere Frau schleudert ihm hasserfüllte Kommentare ins Gesicht, über die „Invasoren“, die Deutschland fluten würden, sie wünscht ihm den Tod und mag sich gar nicht mehr beruhigen. Steier steht einfach da, in seiner gelben Jacke, wartet reglos, bis die Frau schreiend verschwindet. „In Dresden ist es nicht einfach“, sagt er. Und: „Die Gefahr ist die Hetzerei.“ Die auf der Straße, in den Kommentarspalten und Sozialen Medien, in Zeitungen, im Bundestag, in den Landtagen.

Fremdschämen für die Politik und die Nazis

Wer im bequemen Kinosessel in Deutschland diesen Film sieht, der schämt sich. Für die EU, die seit Jahren mit einem Milliardenbudget gegen Menschen vorgeht, die verängstigt in sinkenden Schlauchbooten sitzen. Für diejenigen, die im italienischen Hafen geifern und brüllen, als die Flüchtlinge von Bord der Lifeline gehen. Man schämt sich dafür, dass spendenfinazierte NGOs, dass Menschen, die ihr eigenes Leben riskieren, um andere aus dem Wasser zu ziehen, sich vor Gerichten verantworten müssen und behandelt werden wie Verbrecher.

Und dann gibt es noch dieses andere Gefühl, dass dieser Film auslöst: Die Bewunderung für die Menschen auf der Lifeline und all die anderen Seenotrettungsorganisationen, Crewmitglieder und Kapitäne aus Europa, die sich vor ein paar Jahren aufgemacht haben in Richtung Mittelmeer, weil sie Schiffe steuern können oder Maschinen bedienen, und nicht mehr mit ansehen wollten, wie tausende von Menschen ertrinken. Für den festen Glauben an das, was sie tun, auch wenn ihnen so viele Steine in den Weg gerollt werden. Den Mut, sich immer wieder zu wiedersetzen.

Im Juni des vergangenen Jahres musste die Lifeline mit 234 Menschen an Bord tagelang auf dem Meer ausharren, weil kein Hafen das Schiff anlegen lassen wollte. Mehrere Städte und Länder hatten sich daraufhin bereit erklärt, die Menschen vom Schiff aufzunehmen. Aber die Politik reagierte nicht.

Aus dieser staatlichen Verweigerung ist die "Seebrücke" entstanden. Ein Zusammenschluss mehrerer Initiativen, die in der Farbe Orange europaweit Demos und Öffentlichkeitsarbeit organisieren, gegen die Kriminalisierung der Seenotrettung und für Aufnahme von aus Seenot geretteten Menschen. Mittlerweile haben sich rund 60 Städte in Deutschland der Seebrücke angeschlossen und sich zu "Sicheren Häfen" erklärt, ergo bereit für die Aufnahme von Geflüchteten über die Zahl hinaus, die ihnen sowieso zugeteilt wurde.

Bisher wurden diese Städte nicht gehört, offiziell, weil ein anständiger Verteilungsschlüssel für die Bootsflüchtlinge fehlt. Am kommenden Wochenende, parallel zu #Yachtfleet, berät die Seebrücke auf einem Kongress in Berlin mit Städten und Kommunen, wie sich der Druck auf die Politik erhöhen lässt, endlich tätig zu werden und die Angebote und Aufrufe der Kommunalpolitik nicht mehr sang und klanglos in irgendwelchen Postfächern im Bundestag versickern. "Sichere Häfen. Leinen los für kommunale Aufnahme", ist der Titel des Kongresses. Alles nur Symbolpolitik, sagen Kritiker. Aber je mehr sich diesem Symbol anschließen, desto erfolgreicher wird es werden.

Bündnisse und Kirchen fordern "Sichere Häfen"

Schon im April hat ein Bündnis aus mehr als 250 Organisationen und Vereinen in einem offenen Brief an Kanzlerin Merkel gefordert, "Sichere Häfen" endlich per Gesetz möglich zu machen. "Wir sind erschüttert angesichts der gegenwärtigen europäischen Politik, die immer stärker auf Abschottung und Abschreckung setzt – und dabei tausendfaches Sterben billigend in Kauf nimmt", schreibt das Bündnis. "Die Pflicht zur Seenotrettung ist Völkerrecht und das Recht auf Leben nicht verhandelbar." Es geht darum, das Zeichen, das sie sicheren Häfen setzen, deutlicher aufscheinen zu lassen.

In Baden Württemberg sind Konstanz, Freiburg, Karlsruhe, Reutlingen, Tübingen und sogar Rottenburg am Neckar "Sichere Häfen". Rottenburg ist bekannt für den rechten Kopp-Verlag, der zu großen Teilen mitbeteiligt war am Aufkommen der Hetze gegen Geflüchtete und der AfD. Friedhold Ulonska hatte die Idee in den dortigen Gemeinderat getragen, und der stimmte – sage und schreibe – einstimmig dafür. Ulonska ist Unternehmensberater, war Redakteur der "Rottenburger Post" und brach dann als Kapitän ins Mittelmeer auf, um auf der Sea-Watch, der Sea-Eye und der Lifeline Menschen zu retten. Ulonska war dabei, als sich der Mann im Film "Die Mission der Lifeline" panisch ins Meer stürzte. "Das Bild vergesse ich nie", sagt er später der örtlichen Lokalzeitung.

Widerständiger Bischof

Dabei gehe es, sagte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, Heinrich Bedford-Strohm, am Pfingstmontag, bei der Seenotrettung nicht um "moralische Höchstleistungen. Es ist eine Schande, wenn jetzt Menschen im Mittelmeer ertrinken, weil die organisierte zivile Seenotrettung unter Strafandrohung gestellt wird".

Bedfort-Strom war erst kürzlich auf Sizilien, um dort die im Hafen liegende Sea-Watch III zu besuchen. Das Schiff darf mittlerweile wieder auslaufen, gegen den Kapitän Arturo Centore laufen Ermittlungen – ebenfalls wegen des Verdachts der Begünstigung illegaler Einwanderung. "Es kann nicht sein, dass Menschen im Mittelmeer sterben, und Europa schaut zu", sagte der Landesbischof dem "Deutschlandfunk" später.

Tatsächlich sind es auch die Kirchen in Deutschland, die die zivile Seenotrettung nicht nur mit warmen Worten, sondern auch finanziell unterstützen. Sea-Eye und Sea-Watch haben erst vor wenigen Tagen die Website "Kirche rettet" freigeschaltet, eine Spenden-Homepage, über die Gelder gesammelt werden. Zehn Prozent sollen an das Alarmphone gehen, das Hilfe ruft und Seenotfälle dokumentiert, jeweils 40 Prozent an Sea-Watch und Sea-Eye, weitere zehn Prozent an Solidarity at Sea, die SeenotretterInnen, denen ein Verfahren droht, unterstützt.

Solche wie Pia Klemp. Die angeklagte Kapitänin, sagte kürzlich dem "Tagesspiegel": "Mir fehlt das Raunen, das durch die Gesellschaft gehen müsste. Wenn Menschenrechte nicht für alle gelten, dann gelten sie für niemanden – dafür ist es egal, was man von Migration hält. Dann ist die Freiheit der Gesellschaft insgesamt bedroht.“

Dem ist nichts hinzuzufügen. Außer vielleicht, dass das Raunen auf dem Mittelmeer ab dem kommende Wochenende hoffentlich etwas lauter wird, als gedacht. Axel Steier jedenfalls weiß von Organisationen in anderen europäischen Ländern, die sich unabhängig vom Lifeline-Demo-Training auf #Yachtfleet vorbereiten. Zu Beginn der Aktion am 16. Juni, sagt Steier, würde Mission Lifeline die Demo-Koordinaten übers Netz verbreiten. 


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1 Kommentar verfügbar

  • Frank
    am 14.06.2019
    Antworten
    Wenn hier das Verursacherprinzip gelten würde, dann gäbe es keine Flüchtlinge mehr, oder niemand würde mehr retten.
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