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Nikolausfeier im Fadenkreuz

Nikolausfeier im Fadenkreuz
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Für Flüchtlinge nur neue Sachen? Nichts dabei für deutsche Kinder? Die Kirchen setzen sich zu Weihnachten für Nicht-Christen ein? Das ist für angeblich gute Deutsche nicht hinnehmbar. Der Ökumenische Freundeskreis Asyl in Esslingen wurde zum Ziel rechter Hetze.

Jahrzehntelang hat es kaum jemanden interessiert. Für den Freundeskreis Asyl kam es deshalb umso überraschender, zumal er sich überhaupt nicht im Internet herumtreibt. Ganz klassisch werben die acht ständig Aktiven mit Aushang und Zeitungsanzeige. So auch für die Nikolausfeier, die seit über 20 Jahren stattfindet. Mit einer Anzeige im Mitteilungsblatt des Esslinger Stadtteils Berkheim wurde um Spenden für die Feier gebeten: "z. B. kleines Spielzeug, Malsachen, Toilettenartikel, Handtücher. Es sollen nur neue Sachen geschenkt werden." Dazu gab es zwei Kontaktnamen plus Telefonnummern. Diese Anzeige hatte jemand abfotografiert und auf der rechten Facebook-Seite "Unsere Heimat Deutschland" gepostet. Von hier aus verbreitete sich die Meldung weiter: Die AfD Ettlingen übernahm ebenso wie die AfD Karlsruhe Land, begleitet von Kommentaren wie "nehmen die auch Handgranaten" und "geb ihnen ein schönes kaßler mal zum essen". 

Besonders übel ging es zu auf anonymousnews.ru, einer Seite, die Falschmeldungen, Rassismus und Verschwörungstheorien verbreitet, in Russland registriert ist und kein Impressum hat. Dort strotzt es vor Hetzbegriffen wie "linksgrüne Überfremdungsfanatiker" und "illegale Invasoren". Aggressiv äußern sich die Kommentatoren zu der Nikolausmeldung: "Habe gerade einen hübsch verpackten Karton mit 'NEUER' Scheiße an die zuständigen Damen geschickt", schreibt ein gewisser "Neko". "Sehr gerne würde ich eine Handgranate spenden. Wenn man den Stift zieht, bekommt man die Überraschung!!!" kommt von "jogimann". Über die Plattform und deren möglichen Betreiber <link https: faktenfinder.tagesschau.de inland migrantenschreck-anonymousnews-101.html _blank external-link>wurde unter anderem in der ARD bereits berichtet. 

"Diese Leute wollen Schmutz über einem auskippen"

Aus Österreich regten sich online Wochenblick.at und unzensuriert.at über die Nikolausfeier auf. Laut Wikipedia-Einträgen werden beide Publikationen vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes als "Desinformationsprojekte am rechten Rand" bezeichnet und mussten wegen übler Nachrede bereits Geldstrafen zahlen.

Man könnte den Hass im Netz ignorieren. Doch durch die Wiedergabe der Zeitungsanzeige mit Name und Telefonnummer geriet die Leiterin des Freundeskreises, Brunhilde Burgmann, in den Fokus. Anonyme Anrufe und Beschimpfungen am Telefon waren die Folge. "Schlampe" wurde sie geheißen, und dass sie lieber Christen helfen solle. Dabei ging manches auch durcheinander. So hinterließ eine Frau auf dem Anrufbeantworter: "Volksverräter! Ihr seid Nazis." Egal, wie krude die Ansagen waren – so etwas zehrt an den Nerven. Selbst an denen von Brunhilde Burgmann, die normalerweise eine taffe Frau ist. Doch nach solchen Anrufen kamen auch ihr die Ruhe und damit der Schlaf abhanden. Vor allem das Überfallartige und Anonyme machten der 67-Jährigen zu schaffen. "Die Nikolausfeier organisieren wir seit über 20 Jahren und noch nie gab es Reaktionen", sagt Burgmann. Zudem irritiere es sehr, dass man sich nicht auseinandersetzen könne. "Da ist nichts fassbar. Diese Leute wollen nur Schmutz über einem auskippen."

Burgmann hat wegen der Hasstiraden mit Kirchenleuten und anderen Aktiven Unterstützung und Öffentlichkeit in Esslingen organisiert. "Wir haben überlegt: Soll man an die Öffentlichkeit gehen oder diesen Hetzern keinen Platz geben", sagt Ulrike Krinn vom Unterstützerkreis Berkheim. "Aber stillhalten geht nicht. Ich bin überzeugt: Wir sind mehr. Also müssen wir auch mehr wahrgenommen werden." Sie ärgert am meisten, "dass diese Leute auf ihrem Sofa hocken und anonym irgendwas in ihren PC hacken. Wie bequem. Wir sind aktiv, wir tun was für andere!" 

Polizeischutz für Weihnachtsfeier im katholischen Gemeindehaus

Auch mit der Polizei hat Burgmann Kontakt aufgenommen. "Die haben mir mitgeteilt, da könne man wenig tun." Auf Anfrage rät Polizeisprecherin Andrea Kopp, Mails zu sichern, Anrufe zu notieren. Ob etwas strafrechtlich relevant sei, hänge vom Wortlaut ab. Kopp: "Konkrete Drohungen wie 'ich zünde dein Haus an' sind strafrechtlich relevant. Allgemeine wie 'pass bloß auf' nicht. Aber auch Beleidigungen, Volksverhetzung, üble Nachrede können verfolgt werden." Burgmann hat sich daheim zwar alles notiert, doch Anzeigen hat sie nicht erstattet. "Ich habe wirklich anderes zu tun. Und ich habe keine Lust, mich mit diesen Leuten auseinanderzusetzen." 

Kurz vor der Nikolausfeier kam noch einmal Sorge auf. Ein Anrufer fragte, ob die Feier wirklich stattfinde oder ob sie ein Fake sei. Burgmann: "Ich habe dazu nichts gesagt, aber der Polizei Bescheid gegeben." Die kam und stand in einer Seitenstraße zum katholischen Gemeindehaus parat. Doch die Feier verlief ungestört und fröhlich. Um die 60 Frauen, Männer und Kinder aus Afghanistan, Syrien, Iran, Irak, Pakistan, Türkei, Mazedonien, Somalia genossen den Nachmittag mit Brezeln, Keksen, Nüssen, Kaffee und Tee. Gemeinsam wurden Weihnachtslieder gesungen, ein Zauberer sorgte für Spaß, und als der Nikolaus tatsächlich kam, erzählte er den aufgeregten Kindern, dass er ursprünglich aus der Türkei komme und Menschen helfe.

In den Geschenktüten, die persönlich adressiert waren, verbargen sich Handtücher, Shampoo, Stifte, Kalender, kleine Regenschirme, Spielzeugautos – je nach Alter und Geschlecht. Auch für Brunhilde Burgmann gab es eine Überraschung: Der Esslinger SPD-Landtagsabgeordnete Wolfgang Drexler hatte sich seit Langem um eine Ehrung für sie bemüht, nun hatte die Staatskanzlei endlich zugestimmt. Und die Stadt Esslingen hat es geschafft, den Sozialamtsleiter Marius Osswald zu schicken, um Burgmann die Ehrennadel des Landes für ihr umfassendes und langjähriges Engagement zu verleihen. "Gerade in der jetzigen Situation hätte ruhig der Oberbürgermeister oder Sozialbürgermeister kommen können", befand Drexler etwas irritiert.

Burgmann freute sich auch so. Ihr Engagement allerdings hängt weder von Ehrennadeln noch von rechter Hetze ab. "Dass ich in einem friedlichen, sicheren Land lebe, ist nicht mein Verdienst. Ich stelle mir immer vor, wie es wäre, in der Lage der Menschen zu sein, die zu uns flüchten. Sie haben alles verloren: ihre Heimat, ihr Haus, ihre Freunde, ihre Kultur, ihre Sprache. Sie brauchen unsere Unterstützung. Nur dann kann Integration gelingen. Aber nicht so, wie die Politik sich das vorstellt: In einem Jahr Sprache lernen und arbeiten gehen. Das dauert viel länger."

In ihrem E-Mail-Postfach und am Telefon ist es mittlerweile ruhig geworden, berichtet Burgmann. Die angedrohten Pakete mit vollen Windeln und anderem kamen nicht. "Nur eines mit getragener roter Unterwäsche. Was das sollte, ist mir ziemlich rätselhaft."


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1 Kommentar verfügbar

  • Rolf Steiner
    am 19.12.2018
    Antworten
    "Unsere Heimat Deutschland" ist gehörig verschmutzt von den vollgeschissenen Windeln der Rechtsextrremen. Ja, man muss Leuten, die solche Gemeinheiten gegenüber gemeinnützigen Vereinen äußern und die Wohlfahrt a l l e r Mitbürger gefährden, eindeutig und scharf ihre Grenzen aufzeichnen. Wenn…
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