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Kerzen für Kinder!

Kerzen für Kinder!
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Tausende Kinder in Deutschland haben am Wochenende mit Laternen-Umzügen Sankt Martin gefeiert. All überall goldener Kerzenschein im herbstlichen Dunkel. Ja, von wegen. Das moderne Kind beleuchtet seine Laterne mit LED-Lämpchen.

Sonntag, Martinsumzug in Stuttgart. Vorne draus reitet auf einem Schimmel der heilige Martin im roten Mantel, hintendrein laufen eine Menge Kinder, gut gelaunt, singend mit bunten Laternen und leuchtenden Augen. Wie schön, denkt sich da der kinderlose Erwachsene, stutzt, kuckt, kuckt nochmal und stellt fest: die gängige Wachs-Kerze hinterm Seidenpapier ist zu dieser Veranstaltung definitiv in der Minderzahl, wenn nicht vollständig ausgemerzt. 

Rabimmel

Stattdessen baumeln kleine Elektrolämpchen von den Laternenstäben, die gibt's wahlweise in blau, gelb, rot oder auch rosa und mit Ein- und Aus-Schiebe-Knopf. Für den Fall vielleicht, dass ein Kind in der Dunkelheit eines Stadtparks verloren geht, dann kann es wenigstens SOS morsen – dreimal kurz, dreimal lang, dreimal kurz. Was als Gag nicht gut ankommt bei Eltern, denen Wachskerzen den Angstschweiß auf die Stirn treiben. Kerzen, lernt man auf diesem LED-Event, seien "viel zu gefährlich" für Kinder.

Die Journalistin wittert da sofort die Leuchtstab-Lobby am Werk und googelt erstmal. "Wenn es wieder heißt 'Ich geh mit meiner Laterne, und meine Laterne mit mir' dann sind diese elektrischen Laternenstäbe genau die richtigen Begleiter für Ihre Kinder. Im Gegensatz zu der altmodischen Variante mit echten Kerzen ist der Laternenstab vollkommen sicher, da keinerlei Verbrennungsgefahr besteht", wirbt beispielsweise Amazon für ein Modell mit gelber Blume am Griff.

Beim Versandhändler Jako-O gibt's die 30 cm-Leuchtstab-Variante "Diamantenball" mit 4 LEDs, 3 Leuchtfunktionen und 24 Stunden Brenndauer, sogar inklusive 3 Micro-Batterien AAA. Andere Hersteller bieten Stäbe "Ohne scharfe Kanten" oder mit "Universalem Sicherheitshaken", damit die Laterne nicht runterfällt. Der Käuferkommentar eines Elternteils: "Einfach zu installieren und sicher im Wind. Zudem finde ich die Länge der Stäbe für Kinder diesen Alters wirklich hervorragend, nicht so lang, dass die Hebelwirkung überwiegt." Ja, wer erinnert sich nicht mit Grausen an die alten Holzstäbe von früher, bei deren Gebrauch es reihenweise Kinder nach vornehin umgespitzt hat. "Er ist aber zu kurz", bemängelt ein anderer Käufer das Tragegerät, "mein Sohn muss den Arm kontinuierlich ausstrecken, damit die Laterne nicht gegen den Buggy knallt."

Rabammel

Dabei ist das wahre Problem dieser Kerzenersatz-Produkte ein ganz anderes: Das Plastiklämpchen baumelt meistens knapp über den liebevoll gebastelten Schafen mit Watte-Wolle, den beklebten Monden oder den glitzernden Papp-Einhörnern, weil das Kabel so kurz ist, dass das schnöde Lichtlein gar nicht erst in die Laterne rein reicht. Aber für die Sicherheit des Kindes müssen eben auch Opfer gebracht werden.

Tatsächlich tut sich bei näherer Recherche eine wahre Kluft auf, zwischen Verfechtern der echten und solchen der künstlichen Kerze beim Laterne-Laufen. "Ich war schockiert, lesen zu müssen, dass Kerzen beim Schul-Martinsumzug meiner Tochter verboten sind. Sind die denn bekloppt?", schreibt eine Mutter erst diese Woche im Netz und es stellt sich raus, dass sie nicht die einzige ist, der Kerzen aus versicherungstechnischen Gründen und wegen Brandschutz-Bestimmungen verboten wurden.

Eine andere Mutter hingegen meint, dass "für uns NIE etwas anderes als elektrisches Licht in der Laterne in Frage käme...Ich finde es auch völlig überflüssig, wenn Kinder im Kindergartenalter schon lernen sollen, mit Kerzen oder offenem Feuer umzugehen. Wozu denn auch?" (Naja, war das nicht auch mal der Sinn der Sache mit der Laterne? Lernen, auf ein Licht aufzupassen? Anm. d. V.) Weiter schreibt sie: "Was passiert denn, wenn mein Kind mit Kerze stolpert, fällt, sich im Affekt mal nicht im Zeitlupentempo mit ausgestrecktem Arm rumdreht, ein anderes Kind gegen mein Kind rempelt, mein Kind mit der Kerze das vorangehende anrempelt und in Brand steckt." Da wird einem erstmal richtig bewusst, welchen Gefahren Millionen von Drei- bis Sechsjährigen in den vergangenen Jahrzehnten ausgesetzt waren. Im Forum "Rund ums Kind" berichtet einer: "Tim ist 3,5 und ich stehe zu unserem elektrischen Licht. Schließlich soll er weder sich noch andere oder die Laterne gefährden."

"Acht mal echte Kerze, null mal abgebrannte Laterne", schreibt dagegen die Autorin des Mamaclever-Blogs. Fünf Kita-Laternenumzüge hat sie bereits hinter sich, "zwei große St.-Martins-Laternenumzüge durch den Stadtteil und einen von der Musikschule". Ihre Erfahrung ist erschreckend: "Ich war ein Alien, außer meinem Kind hatten im besten Fall noch ein oder zwei andere echtes Feuer in ihrer Laterne, meist waren wir aber die einzigen. Die Blicke der Mütter drückten bestenfalls Unverständnis, schlimmstenfalls große Missbilligung aus." Zudem spalteten ihre Kerzen die Umzugsgesellschaft nachhaltig, als der Freund des kleinen Sohns unter waagrecht aus den Äuglein schießenden Tränenströmen auch "echtes Feuer" forderte. Klar, dass dessen Mutter not amused war.

Rabumm!

Die Autorin aber lässt sich nicht kleinkriegen und holt zum größten aller Anti-Leuchtstab-Argumente aus: "Diese Plastik-LED-Stäbe sind ökologisch gesehen im Vergleich zum Holzstab und der Wachskerze eine Katastrophe. ... Ich verstehe nicht, wie Mütter, die ihre Kinder in teure, nachhaltig produzierte Öko-Kleidung stecken, so etwas kaufen können."

So. Damit ist denn alles gesagt.

Wobei: Man fragt sich, wie Eltern von heute es verantworten können, dass ihre Kinder einen mit Schwert bewaffneten (!) Mann feiern, der auf einem echten (!) Pferd angeritten kommt. Dabei schreibt "Baby und Familie", dass alleine ein Kuss auf die Nase einer im Vergleich zum Pferd winzigen Katze ("Mieze") bakteriell bedingt Durchfall, Übelkeit, Fieber, Lungenentzündung, Blutvergiftung und sogar Hirnhautentzündung auslösen kann. Eine Wachskerze ist da gar nichts dagegen!


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