KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Schutz vor LebensschützerInnen

Schutz vor LebensschützerInnen
|

Datum:

Papst Franziskus vergleicht Abtreibung mit Auftragsmord, Beratungsstellen werden tyrannisiert, gegen den "Babycaust" wird demonstriert – Frauen, die abtreiben wollen, sind zunehmend unter Druck. Und ebenso die, die ihnen helfen.

Nur mal angenommen, vor der Schwabengarage oder vor dem Breuninger-Parkhaus in Stuttgart stünden 40 Tage lang UmweltaktivistInnen mit Bildern von Klimatoten oder von feinstaubzerfressenen Lungen und wollten so AutofahrerInnen abbringen von ihrem fatalen Tun. Die Aufregung wäre sicher schnell hochgekocht und solchen Mahnwachen Einhalt geboten – durch Schutzzonen oder Betretungsverbote, weil Autohändler oder Parkhausbetreiber Security-Unternehmen anheuern. Die öffentliche Meinung hätten die DemonstrantInnen in Windeseile gegen sich. Und es gehört wenig Fantasie dazu, sich auszumalen, wie zügig speziell die Grünen mit einer neuen Verbotspartei-Debatte überzogen würden, um Stimmung zu machen für freie Fahrt und die Rechte freier BürgerInnen.

Demonstrationen in etlichen deutschen Städten verfolgen gerade andere Ziele. Die biblischen 40 Tage lang wird mit Plakaten und Gebeten Stimmung gemacht, nicht vor Autohäusern, sondern vor Beratungsstellen und "Abtreibungspraxen". Die gesellschaftliche Empörung, die auch Ausdruck der Solidarität mit jenen Frauen wäre, die nichts anderes wollen als verbrieftes Recht auf Beratung, Unterstützung und Hilfe in Anspruch nehmen, hält sich in engen Grenzen.

Beispiel Frankfurt: Hier hat das Stadtparlament, angestoßen von SPD und Grünen, beschlossen, eine Schutzzone einzurichten vor der Pro-Familia-Beratungsstelle im Westend, vor der fundamentalistische AbtreibungsgegnerInnen auf ratsuchende Frauen einwirken wollen. Doch der zuständige CDU-Ordnungsdezernent Markus Frank ist nicht bereit, den Beschluss umzusetzen; der 49-jährige Kfz-Meister hält die geforderte Schutzzone für rechtswidrig. "Eine 150-Meter-Zone wäre ein schwerwiegender Eingriff ins Versammlungsrecht und damit rechtswidrig", sagt Frank im Interview mit der "Frankfurter Rundschau". Er habe vom Rechtsamt ein Gutachten erstellen lassen und mit einem Verwaltungsrichter gesprochen, und der habe erklärt: "Wenn die Abtreibungsgegner gegen die Schutzzone klagen, dann ist diese Verfügung in nicht einmal 15 Minuten vom Tisch."

In Frankfurt wehrt sich ein breites Bündnis

Der selbstauferlegten Zurückhaltung eines CDU-Mannes steht das Engagement vieler couragierter Frauen und von mehr als 40 Organisationen gegenüber. Schon im März wurde ein <link https: frauenrechteffm.de aufruf _blank external-link-new-window>Aufruf des Bündnisses Frankfurt für Frauenrechte formuliert: "Im fünfzigsten Jahr der Zweiten Frauenbewegung, die in Frankfurt ihre Wurzeln hat, wollen wir dem Treiben dieser rechtspopulistischen Gruppen nicht länger zusehen." Vor allem eine Erwartung ist unmissverständlich. Rechtsgüter müssten "erneut abgewogen und Mahnwachen auf Plätze verwiesen werden, von denen aus es zu keinerlei Beeinträchtigungen des anonymen Zugangs zu Beratungseinrichtungen mehr kommen kann". Denn das Schwangeren-Beratungsgesetz sehe "ausdrücklich vor, dass es bei der Beratung keinerlei Beeinflussung von außen geben darf".

Die Pforzheimer Pro Familia hat zur Selbsthilfe gegriffen. Nach dem ersten 40-tägigen Belagerungszyklus wurden flugs Veranstaltungen angemeldet und auf diese Weise die selbsternannten LebensschützerInnen auf die weit gegenüberliegende Straßenseite gezwungen. Ein Dauerzustand sei dies aber nicht, so die Pro-Familia-Verantwortlichen, weil die durchgehende Besetzung der eigenen Termine nur schwer zu stemmen sei.

Immerhin: Für Freiburg sind – höchstrichterlich bestätigt – sogenannte "Gehsteigbelästigungen" von der Stadt schon seit Jahren untersagt. Das Bundesverwaltungsgericht begründete seine Entscheidung damit, dass es sich bei Demonstrationen, begleitet von Gebeten, Gesängen und Plakaten von Föten, um "schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung" der ungewollt schwangeren Frauen handelt. Das Ziel der Schutzzonen-BefürworterInnen ist bundesweit immer dasselbe und im Frankfurter Aufruf erläutert: "Das Recht auf reproduktive Selbstbestimmung und auf eine ergebnisoffene, wohlwollende, kostenlose und anonyme Schwangerschaftskonfliktberatung für Frauen muss uneingeschränkt sichergestellt sein."

In Stuttgart vertrieb eine Hasskampagne den Abtreibungsarzt Stapf

Stuttgart ist gegenwärtig noch verschont von den in evangelikalen Kreisen der USA erdachten Aufmärschen, die seit 2004 und nach Angaben der OrganisatorInnen in inzwischen 28 Ländern stattfinden, mit dem Ziel eines weltweiten Endes von Abtreibungen. Doch deren größter Erfolg ist bereits eingefahren: Mit einer Hasskampagne wurde der renommierte Abtreibungsarzt Friedrich Stapf Anfang 2015 aus der Stadt vertrieben. Seit 1991 hatten er und sein Team pro Jahr rund 2200 Schwangerschaften beendet. Radikale GegnerInnen, versammelt um Klaus Günter Annen, einen früheren Autoverkäufer aus Weinheim, und Gefolgsleute der AfD hatten sogar potenzielle Vermieter traktiert. Stapf wanderte nach München ab, wo er wenigstens Praxisräume fand, die allerdings auch belagert werden.

Annen hat eben erst zwei Mal für Schlagzeilen gesorgt – für positive, aus Sicht einer aufgeklärten Gesellschaft. Denn erneut ist er mit seinen Beschwerden vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gescheitert. Er darf, wie von deutschen Gerichten entschieden, die Arbeit in der Stammzellenforschung nicht mit Menschenversuchen in nationalsozialistischen Konzentrationslagern vergleichen. Und alle Verbote, Abtreibung mit Holocaust und Mord auf eine Stufe zu stellen, haben bisher ebenfalls Bestand.

Dass die in der digitalen wie in der realen Welt gerne mit der "Demo für alle" vernetzten radikalen Gruppen gegenwärtig dennoch meinen, in der Offensive zu sein, hängt an zwei Ereignissen. Papst Franziskus hatte sich abweichend vom Predigttext Mitte Oktober bei einer Generalaudienz seine rhetorische Frage "Ist es richtig, ein menschliches Leben zu beseitigen, um ein Problem zu lösen?" selbst beantwortet: "Einen Menschen zu beseitigen, ist wie die Inanspruchnahme eines Auftragsmörders, um ein Problem zu lösen." Gudrun Christ, der baden-württembergischen Pro-Familia-Landesgeschäftsführerin, "fehlen eigentlich die Worte ob dieses unerträglichen Vergleichs". Es sei inakzeptabel, dass die Notlage von Frauen nicht ernstgenommen werde, betont Christ. Niemand könne sich anmaßen, für andere zu entscheiden. "Da wird eine Debatte aus den Siebzigerjahren geführt", erinnert sich die Diplom-Pädagogin. Die Gesellschaft sei schon weiter gewesen.

Richter zweifelt, ob Paragraf 219a verfassungsgemäß ist

Dieser Befund wird gestützt von einer Entscheidung des Landgerichts Gießen, das eine Verurteilung der Ärztin Kristina Hänel wegen illegaler Werbung für Abtreibungen bestätigte. Der Vorwurf: Die Medizinerin werbe auf ihrer Homepage für Schwangerschaftsabbrüche und verstoße damit gegen den Paragrafen 219a. Der untersage das öffentliche Anbieten, Ankündigen oder Anpreisen von Schwangerschaftsabbrüchen. Die Medizinerin gibt allerdings nicht auf, zumal der Gießener Richter selbst Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Paragrafen erkennen ließ. Geplant ist, die Frage dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen.

Was einerseits erfreuliche Klarheit im Sinne der Frauen schaffen könnte, andererseits aber kein gutes Licht auf die Gestaltungskraft der Großen Koalition wirft. Die SPD hat sich längst auf eine Abschaffung des Paragrafen festgelegt; selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel hat eine Regelung versprochen, um klar zwischen Information und Werbung zu unterscheiden. In einem<link https: www.sexuelle-selbstbestimmung.de _blank external-link-new-window> Offenen Brief an die Bundesregierung macht sich das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung – getragen von Verbänden wie der AWO über DGB-Frauen und Grüne bis Pro Familia – für eine Abschaffung stark: "Wir, die unterzeichnenden Organisationen, fordern, dass Ärztinnen und Ärzte ohne Risiko vor Strafverfolgung darüber informieren dürfen, wie, wo und durch wen straflose Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden (...). Frauen benötigen einen niedrigschwelligen Zugang zu sachlichen Informationen über medizinische Möglichkeiten und Implikationen eines Schwangerschaftsabbruchs sowie über Ärztinnen und Ärzte in erreichbarer Nähe, die ihn ausführen."

Damit ist ein weiteres drängendes Problem aufgeworfen. Denn "erreichbare Nähe" muss inzwischen dehnbar ausgelegt werden. Rund um den Bischofssitz Trier zum Beispiel sind mehr als hundert Kilometer gemeint. Auch in Südbaden ist die Nachfrage deutlich größer als das Angebot. "In der Gesamtheit", sagt Claudia Krüger, Sprecherin im baden-württembergischen Sozialministerium, "gibt es keine Versorgungs-Engpässe im Land". Die Versorgungslage könne "regional betrachtet jedoch unterschiedlich ausfallen". Die AOK geht landesweit von rund 500 Arztpraxen und von einer zweistelligen Zahl an Kliniken aus, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen oder vorgenommen haben.

Recherche mit Wirkung: Sozialministerium will Versorgungslage checken

Die Länder sind gesetzlich verpflichtet, nicht nur eine ausreichende Versorgung sicherzustellen, sondern sogar die Kontaktdaten jener GynäkologInnen vorzuhalten, die Abbrüche durchführen. Allein die Stadtstaaten Hamburg, Berlin und Bremen erfüllen diese Vorgaben. Immerhin hat die Kontext-Recherche Konsequenzen. "Wir nehmen dies zum Anlass", sagt Krüger, "bei allen Kassen und Kliniken mit gynäkologischer Abteilung eine Abfrage über die Anzahl der vorgenommenen Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. Außerdem wollen wir uns die Altersstruktur der Ärzte genauer anschauen, um zu antizipieren, wo eventuell in den kommenden Jahren Versorgungslücken entstehen können." Und Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) will einen Diskurs in der Ärzteschaft anstoßen. Denn es sei "in unser aller Interesse, eine ausreichende Zahl an Ärztinnen und Ärzten vorzuhalten, die betroffenen Frauen in dieser schwierigen Situation helfen".

Derweil wird in Pforzheim weiter demonstriert. Und im Netz finden sich immer neue Verbündete der radikalen AbtreibungsgegnerInnen. "Abtreibung geht uns alle an. Wegschauen macht das nicht besser!", schreibt etwa Christiane Lambrecht, bayerische Landesvorsitzende der Christdemokraten für das Leben (CDL), "deswegen danke ich Papst Franziskus".


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


6 Kommentare verfügbar

  • Peter Balden
    am 31.10.2018
    Antworten
    Wenn der Papst Abtreibung mit Auftragsmord gleichstellt, so leisten Militärpfarrer Beihilfe zum Massenmord. Wenn Männer statt Frauen die Kinder bekämen, so wäre ein Abbruch ohne Schwierigkeiten noch im 9. Monat möglich.
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!