Nicht jeder ist mit Bits und Bytes per Du, auch wenn die Zukunft längst begonnen hat: Digitalisierung ist in weniger als 30 Jahren selbstverständlicher Teil von Alltag, Gesellschaft und Wirtschaft geworden. Industrie 4.0, die vierte industrielle Revolution, ist nicht mehr nur Schlagwort, sondern bereits Realität: Schrauben kommunizieren mit Montagerobotern, selbstständig fahrende Gabelstapler lagern Waren in Hochregale ein, intelligente Maschinen koordinieren selbstständig Fertigungsprozesse. Menschen, Maschinen und Produkte sind direkt miteinander vernetzt.
Das schlägt sich auch wirtschaftlich nieder: Inzwischen trägt die deutsche Informations- und Kommunikationstechnologie-Branche, kurz IKT, mit knapp 85 Milliarden Euro mehr zur gewerblichen Wertschöpfung bei als traditionelle Branchen wie der Maschinen- oder der Automobilbau. Auch die Umsatzzahlen sprechen für sich: Weltweit setzt der hiesige IKT-Wirtschaftszweig 228 Milliarden Euro um; mit über 86 000 Unternehmen und 900 000 Beschäftigten ist sie ein wichtiger Beschäftigungsfaktor in Deutschland. Laut Statistik schaffen 1000 IKT-Arbeitsplätze 941 weitere Arbeitsplätze in vorgelagerten Branchen.
Klingt auf den ersten Blick nach einer rosigen Zukunft. Doch in Erwartungen und Faszination mischt sich auch Unbehagen. Eine Welt, in der alles vernetzt ist, ist verletzbar, warnen kritische Stimmen. Neben sinnvollen Nutzungen erwachsen mit dem digitalen Fortschritt auch neue Gefahren und Missbrauchsmöglichkeiten. "Was kommt auf uns zu? Wie muss sich die Gesellschaft darauf vorbereiten, wie kann Politik gestalten?", fragte die Heinrich-Böll-Stiftung Baden-Württemberg deshalb am vergangenen Wochenende anlässlich ihrer Jahrestagung Digitalisierung und Vernetzung.
Eher keine Freunde: Digitalisierungsboom und Datenschutz
"Digitalisierung fordert die alte Wirtschaftsordnung heraus", betonte Roderick Kefferpütz, Grundsatzreferent im Stuttgarter Staatsministerium, während der Tagung. Auch gerade im traditionellen Autobauerland. So liegt der Anteil von Software an der Wertschöpfung eines Autos bei inzwischen 40 Prozent. Mit dem autonomen Fahren wird sich dieser Anteil weiter erhöhen. Dabei befinde sich Europa in diesem Technologiefeld "in einem Zangengriff zwischen den USA und China", so Kefferpütz. Von den weltweiten Investitionen in Künstliche Intelligenz, veranschaulichte er, seien im vergangenen Jahr die Hälfte in China und 38 Prozent in den USA getätigt worden. Europa und Deutschland belegen in diesem Ranking die hinteren Plätze. "Wir müssen aufpassen, nicht zu einer Cyber-Kolonie des Silicon-Valleys oder der chinesischen Technikmetropole Shenzhen zu werden", warnte Kefferpütz. Geschäft, Gesellschaft und Geopolitik träfen im Digitalisierungswettlauf aufeinander.
Unter einem ganz anderen Blickwinkel betrachtete Grünen-Chef Robert Habeck als prominenter Referent die Entwicklung: Trotz des Digitalisierungsbooms müssten Privatheit, Datenschutz und informationelle Selbstbestimmung gewahrt bleiben, so Habeck, weil sie essenziell für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Freiheit und offene Gesellschaften sind. Was passiert, wenn dies nicht der Fall ist, zeigt der Blick nach China: Dort führt das Social Scoring vor, wie digitale Technik als Totalüberwachung eingesetzt werden kann. Mit Nachdruck arbeitet die kommunistische Parteiführung des Riesenreichs daran, das Verhalten der knapp 1,4 Milliarden Chinesen digital zu erfassen und zu bewerten. Wer sich parteikonform verhält, steigt auf einer Punkteskala nach oben und wird mit leichterem Zugang zu Arbeit, Gütern und Wohnung belohnt.
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Charlotte Rath
am 08.10.2018