KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Jede Leiche hat drei Nummern

Jede Leiche hat drei Nummern
|

Datum:

Die Fotos schockieren. Der syrische Fotograf mit dem Decknamen Caesar hat die Bilder der Gefolterten aus Assads Kerkern aus Syrien geschmuggelt. Er wurde dafür mit dem Menschenrechtspreis der Stadt Nürnberg ausgezeichnet. Bisher wurden sie erst zwei Mal ausgestellt – in Washington und in Nürnberg. Seit gestern sind sie in Stuttgart zu sehen.

Abeer Farhoud kauert auf dem Boden. Um sie herum Holzlatten und abgeschlagene Gliedmaßen aus Gips, Hände, Füße, Finger. Mit Schrauben und Leim, die Zunge zwischen die Lippen geschoben, baut die syrische Künstlerin an ihrer Installation. Die Zeit drängt. Es sind nur noch wenige Tage bis zur Ausstellungseröffnung hier im Württembergischen Kunstverein (WKV) mitten in Stuttgart. Abeer will, dass die BesucherInnen sinnlich erfahren, wie es Menschen geht, die als Regimegegner in eine Gefängniszelle in Syrien geworfen werden. Sie sollen die gedrängte Enge der vollgestopften Zellen spüren, den Gestank der Hoffnungslosigkeit riechen.

Die 31-jährige Künstlerin aus Damaskus war selbst im Gefängnis. Ebenso wie viele ihrer Freunde und Verwandte. Sie haben ihr erzählt von den Zellen, in denen Menschen wie Vieh zusammenpfercht stehen. Von der Entwürdigung, der Folter. "Ich glaube nicht mehr an Worte", sagt Abeer, "aber ich habe noch Hoffnung in die Menschen." Und sie schraubt weiter an dem Holzrahmen, der einmal die Enge einer Zelle symbolisieren soll. A Day in Jail nennt sie ihre Installation. Die Idee dazu kam ihr im Gefängnis, der berüchtigten Abteilung 215, aus der auch viele der Caesar-Fotos sind.

Die Fotos hängen nicht, sie liegen aus Rücksichtnahme

Die lagen bis vor wenigen Minuten noch draußen in einem anderen Raum im WKV, 63 von 50 000 Fotos von Gefolterten. Sie werden nicht an den Wänden hängen, wo man sich ihnen nicht entziehen kann, sondern auf einem Tisch liegen. Doch Abeer konnte in Gegenwart dieser Bilder nicht arbeiten. Die Ausstellungsmacher haben sie weggeräumt. "Ich habe die Fotos nie angesehen", sagt Abeer Farhoud. Die Berichte ihrer Freunde und ihre eigenen Erfahrungen in Assads Kerkern sind in ihren Kopf eingebrannt. Das sind mehr als genug Bilder für ein ganzes Leben. 

Die Fotos. Sie zeigen gefolterte Körper, Gesichter mit ausgestochenen Augen, Leichen übersät mit Brandwunden, zerschmetterte Menschen. Aufgenommen hat sie der Mann mit dem Codenamen Caesar, der als Militärfotograf in Syrien gearbeitet hat. In dieser Funktion lichtete er Tatorte von Verbrechen ab, Selbstmorde, Unfälle, in die Soldaten verwickelt waren. Das änderte sich, als 2011 der arabische Frühling in Syrien begann. Dann wurden ihm die ersten Leichen von Zivilisten gebracht, die Soldaten sagten, dass es Terroristen seien. Der Fotograf sah, dass es junge Demonstranten waren, Schüler, Studenten. Er konnte seine Arbeit nicht mehr mit seinem Gewissen vereinbaren.

Am Anfang trugen die Leichen Namen, später hatten sie nur noch Nummern, manchmal waren sie auf die Stirn geschrieben. Es waren drei Nummern, eine davon war die Erkennungszahl für das Gefängnis. Es sind nicht zuletzt diese Nummern und die bürokratische Akribie, mit der die Bilder der Opfer zwischen Aktendeckel gepresst wurden, die an die Judenvernichtung im Nationalsozialismus erinnern. Die Bilder verfolgten den Fotografen bis in seine Träume. Er musste etwas tun.

Über zwei Jahre lang schmuggelte er die Fotos auf einem USB-Stick aus seinem Büro, mehr als 50 000 Zeugnisse der grausamsten Menschenrechtsverletzungen des Assad-Regimes, die im Schatten des Krieges und der Gräuel des Islamischen Staates stattfinden. Seit seiner Flucht 2013 lebten Caesar und seine Familie, von Unterstützern geschützt, in einem Land im Norden Europas unter einer fremden Identität. Er muss auch dort, fern der Heimat, um sein Leben fürchten. Der Arm des syrischen Geheimdienstes ist lang – und Caesar heute Staatsfeind Nummer eins. Denn diese Bilder, so schreibt die französische Journalistin Garance Le Caisne, der sich Caesar anvertraut hat, sind die Dokumente der staatlichen syrischen Todesmaschinerie. 

Generalbundesanwalt erwirkt internationalen Haftbefehl

Und sie lenken den Blick auf den Assad-Clan, der die Revolution im eigenen Land blutig niederschlagen ließ. Doch aus dem Bürgerkrieg ist längst ein internationaler Krieg geworden. Nur auf Assad zu zeigen, hieße zu vergessen, dass Syrien längst zum Spielball internationaler Interessen geworden ist, mit jeweils taktischen Verbündeten, die genauso wenig Rücksicht auf die Zivilbevölkerung nehmen. Die Gewinner sind wieder einmal die Waffenlieferanten, darunter auch Deutschland. Friedensverhandlungen, wie zuletzt im russischen Sotschi, enden ohne greifbares Ergebnis. Nicht zuletzt deshalb, weil es für viele Syrer nur einen Frieden ohne den Assad-Clan geben kann.

Baschar al-Assad bestreitet die Echtheit der Caesar-Fotos. Doch internationale Strafjuristen haben das Beweismaterial gesichtet, haben Caesar mehrfach befragt, mit Opfern gesprochen. In einem Memorandum an die Vereinten Nationen beschuldigen drei ehemalige Ankläger am Internationalen Gerichtshof das Assad-Regime,"Verhaftete systematisch zu foltern" und im "industriellen Maßstab" zu töten. Der Zeit-Journalist Wolfgang Bauer, der 2011 in Syrien recherchierte, hat mit vielen Deserteuren gesprochen. Sie bestätigten, dass vor allem der Luftwaffengeheimdienst grausam folterte. Gegen dessen Chef Jamil Hassan hat der deutsche Generalbundesanwalt Peter Frank vor wenigen Wochen einen internationalen Haftbefehl erwirkt. Es ist der weltweit erste Versuch, hochrangige Mitglieder der syrischen Führung für Gräueltaten gegen die Zivilbevölkerung und Oppositionelle zur Rechenschaft zu ziehen. Und Tina Fuchs bekam grünes Licht für ihren Film. Endlich.

Seit drei Jahren recherchiert die SWR-Journalistin zum Thema, im April wurde ihr Film "Zeugen gegen Assad" in der ARD gezeigt. Dass die Caesar-Fotos, dieses Archiv des Terrors, nun in Stuttgart zu sehen sind, im Rahmen des Dokumentarfilm-Festivals des SWR, ist nicht zuletzt ihrer Hartnäckigkeit zu verdanken. Tina Fuchs winkt ab. "Es geht nicht um mich", sagt sie. Das ist richtig. Es geht um das Leid der syrischen Bevölkerung, das diese Fotos in aller Schonungslosigkeit dokumentieren. Um die Menschenrechtsverletzungen in einem Krieg, in dem Frieden nicht mehr ist als ein Wort.

Doch genauso richtig ist es, dass es ohne die engagierte Journalistin die Ausstellung in Stuttgart nicht gäbe. Und auch nicht die Diskussionen mit Menschenrechtsanwälten, mit der französischen Journalistin Garance Le Caisne, mit aus Syrien Geflüchteten, die zu Zeugen gegen Assad wurden. Und nicht die Installation von Abeer Farhoud. Tina Fuchs hat mit ihnen allen gesprochen. Sie alle wurden in ihrem Film zu Zeugen gegen Assad. Und nun reden sie in Stuttgart, im Begleitprogramm zur Ausstellung.

Die Menschen sollen endlich hinsehen, sagt die Künstlerin

"Wer redet, verlässt die Opferrolle", sagt Tina Fuchs. Das ist ein Grund für ihre Hartnäckigkeit. Und die tiefe Überzeugung, dass die Menschen endlich hinsehen sollen, auch und gerade in Deutschland. Dass grausamste Menschenrechtsverletzungen auch in einem Krieg geahndet werden müssen.

In Heike Schiller hat sie eine Verbündete gefunden. Die Chefin der baden-württembergischen Heinrich-Böll-Stiftung hat sich gemeinsam mit Fuchs auf die schwierige Raumsuche in Stuttgart gemacht, das Vertrauen der Unterstützer um Caesar gewonnen und sie überzeugt, dass keine Spuren von der Ausstellung zu seinem Exil führen. Ihr ist es zu verdanken, dass das baden-württembergische Staatsministerium die Schirmherrschaft übernommen hat. "Ich will, dass alle hinschauen", sagt Schiller, "auch die Opernfans, deren größter Wunsch derzeit ist, dass in Stuttgart eine Elbphilharmonie gebaut wird." Hinschauen, um zu sehen, was passiert, wenn eine Machtelite versucht, ihre Pfründe zu retten. Die Befürchtung, dass die Verrohung der politischen Sprache in Deutschland, zur Entwürdigung von Menschen führt. Und die Hoffnung, dass Geflüchtete wie Abeer erfahren, dass ihr Schicksal den Menschen nicht gleichgültig ist.

Abeer Farhoud lebt heute in Wismar, mit ihrem Mann Khaled Rawas und ihrer kleinen Tochter. 2015 sind sie nach Deutschland geflohen. Im Revolutionsjahr 2011 engagierten sich beide in Revolutionsräten in Damaskus, halfen Flüchtlingen, demonstrierten für Demokratie. Abeer unterrichtete Kinder in Kunst. Und ihre Kunst wurde politisch. Aus den vielen Springbrunnen in Damaskus ließ sie gemeinsam mit anderen jungen Menschen rotes Wasser sprudeln, als Assad die Demonstrationen für mehr Gerechtigkeit blutig niederschlagen ließ. Sie ließen hunderte gelbe Pingpongbälle eine Treppe hinunterhüpfen, jedes Bällchen für einen Menschen, der anklopft, bis sie vor dem Haus von Assad liegen blieben. Die Worte Justice und Democracy und Freedom waren auf ihnen zu lesen. Manchmal kommt Abeer das heute naiv vor. 

Heute, hier in Stuttgart, baut Abeer Farhoud eine Gefängniszelle und modelliert einen weiblichen Torso, an dessen Vagina Elektroden geklemmt sind, eine gängige Foltermethode. Ihre Kunst hat sich geändert. Doch fast trotzig hält die junge Frau mit den wachen Augen unter dem Kopftuch an ihrem Traum fest: eine unabhängige Justiz, freie Wahlen, gleiche Chancen für alle, nicht nur für den Assad-Clan. "Ich möchte zurück und helfen, dieses neue Syrien aufzubauen", sagt sie. Gemeinsam mit ihrem Mann und ihrer Tochter. Irgendwann.

 

Das ganze Programm (vom 27. Juni bis 11. Juli) <link https: www.boell-bw.de veranstaltungen dokumentation-2018 die-caesar-photos _blank external-link>finden Sie unter diesem Link.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


9 Kommentare verfügbar

  • Franka Impotente
    am 28.06.2018
    Antworten
    Wow! Mehrere Frauen machen eine Ausstellung über die Gräuel in Syrien und die gesamte Kommentarspalte ist voll mit Kartoffeln, die richtig Bescheid wissen. Mega Würstchenparty! Mansplaining at it' s best. Wie lustig, dass Kontext in derselben Ausgabe einen Text zu diesem Phänomen hat. Manchmal wäre…
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!