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Mythos vom Mord per Mausklick

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Der überwachungsarme Raum des Darknets dient bislang vor allem dem Schwarzmarkt. Trotzdem ist es gar nicht mal so leicht, sich dort eine Kalaschnikow zu besorgen. Der IT-Journalist Stefan Mey will mit Gerüchten über die dunkle Seite des Netzes aufräumen und betont das utopische Potenzial einer herrschaftsfreien Zone.

Mit beiden Füßen noch unter Papas Tisch vertickt ein Minderjähriger kiloweise Kokain aus seinem Kinderzimmer. Übers Darknet, dem verborgenen Teil des Internets. Zu dem sich – je nachdem, wie es gerade in die Darstellung passt – entweder nur die gewieftesten Hacker überhaupt Zugang verschaffen können oder schon Kleinkinder mit wenigen Klicks einen Killer anheuern können. Wenn die dunkle Seite des Netzes zum Gegenstand der Berichterstattung wird, sind es meist die anrüchigen, skandalträchtigen Themen, die ihr Aufmerksamkeit verschaffen: Das Darknet als unkontrollierbarer Umschlagplatz für einen skrupellosen Schwarzmarkt – hier werden Waffen, Drogen, Hehlerware, Menschen und Kinderpornografie gehandelt, hier gibt es einen Markt für alles, was illegal ist. Zumindest erzählt man sich das.

Wie funktioniert das Darknet?

Normalerweise übermitteln Internetseiten und ihre Besucher Verbindungsdaten und hinterlassen dabei einen digitalen Fingerabdruck, der eine eindeutige Identifizierung der zum Surfen verwendeten Geräte ermöglicht. Doch es gibt Werkzeuge, die diesen Datenverkehr verschleiern. Das bekannteste ist der Tor-Browser, der sich in wenigen Minuten herunterladen und installieren lässt, und Verbindungsdaten über mehrere Knotenpunkte umleitet. Das verwischt die Spuren, die man im Netz hinterlässt.

Mit dem Tor-Browser lassen sich auch Internetadressen im Clearweb, also solche die zum Beispiel auf .de oder .com enden, anonymisiert ansteuern. Doch Tor findet auch solche Seiten, die mit .onion aufhören und bei Browsern wie Firefox und Google Chrome zu Fehlermeldungen führen. Diese Darknet-Adressen unterscheiden sich von herkömmlichen dadurch, dass auch die angesteuerten Internetseiten ihre Verbindungsdaten über Knotenpunkte umleiten und der gesamte Datenverkehr somit nur über Ecken zustande kommt. (min)

"Beim Thema Darknet", sagt der Journalist Stefan Mey zu Besuch in der Kontext-Redaktion, "kursieren jede Menge Mythen." Zehn Monate lang hat er Informationen über den herrschaftsfreien und überwachungsarmen Teil des Netzes recherchiert, Gerüchte geprüft und die Ergebnisse in einem Buch zusammengefasst. "Natürlich gibt es hier einen riesigen Schwarzmarkt", sagt der 37-Jährige. "Aber die wenigsten Plattformen sind komplett amoralisch." So würden auf den großen Portalen durchaus Drogen, Falschgeld oder gefakte Passpapiere gehandelt. Aber nur selten Waffen und so gut wie nie Kinderpornografie oder Prostituierte.

Also ein kurzer Besuch auf einer Darknet-Plattform, die laut einschlägigen Foren zu den größten und verlässlichsten zählt. Ein wenig erinnert die Aufmachung an Portale wie Amazon und Ebay, Nutzer*innen haben die Möglichkeit, Produkte zu bewerten und Erfahrungsberichte abzugeben. So bescheinigt 420_WizZzard dem Premium-Cannabis von Anbieter DutchMasters eine herausragende Qualität, Nutzer Amnito freut sich über ein paar gratis beigefügte Extrapillen bei einer Großbestellung Extasy. Weniger gut schneidet der Account von Bogeda ab: Aufgebrachte User beschweren sich, dass ihr bestelltes Crystal Meth nie angekommen ist, andere klagen über verunreinigtes Heroin.

Hier scheint es alles zu geben, wovor in der Drogenprävention gewarnt wird, mit 13 332 verschiedenen Angeboten. Ebenfalls im Sortiment sind knapp 200 Schusswaffen, darunter ein Sturmgewehr von Heckler und Koch, von dem ein Verkäufer aus den USA verspricht, es weltweit zu versenden. Angebote für Kinderpornografie oder Menschenhandel gibt es allerdings keine.

"Es ist auch immer wieder zu lesen, man könne im Darknet Auftragsmörder engagieren", sagt Mey. Für seine Recherchen habe er sich viel mit Sicherheitsbehörden und Ermittlern unterhalten. "Denen war kein einziger Fall bekannt, bei dem das erfolgreich versucht wurde." Szenekundige würden zudem berichten, die im Darknet verlangten Honorare pro Auftragsmord lägen weit unter dem Industriestandard, die beschriebenen Konditionen wären meist völlig abwegig und bei einem überwältigenden Teil der Angebote handle es sich mutmaßlich um Abzocke. "Man kann ja schlecht jemanden anheuern, um seinen Chef umzulegen und sich dann bei der Kripo beschweren, wenn der Beauftragte nicht zu Potte kommt", so Mey.

Werkzeug für Whistleblower

Nicht nur dubiose Dealer schätzen die Vorzüge digitaler Anonymität, auch angesehene Medien nutzen die Möglichkeiten des Darknets: Zahlreiche Investigativ-Abteilungen bieten hier Online-Briefkästen für Hinweisgeber und Whistleblower an, etwa der "Guardian", die "New York Times" oder die "Washington Post". In Deutschland ist eine solche Nutzung noch der Ausnahmefall. Zu den namhaften Angeboten gehört neben dem technikaffinen Heise-Verlag die taz, welche als erstes Medium der Republik ein solches Postfach einrichtete. (min)

Dass etwas im Internet angeboten wird, heißt also noch nicht, dass es auch wie beschrieben funktionieren muss. Einer, der damit bereits schmerzhafte Erfahrungen machen musste, ist TV-Moderator Reinhold Beckmann. Der hatte für die Sendung "Angst vor dem Terror – wie gefährdet ist Deutschland?" extra einen anonymen Hacker engagiert, einen "Darknet-Insider", der – standesgemäß in einen schwarzen Kapuzenpulli gekleidet – per Mausklick eine Kalaschnikow kaufen sollte. Ging schief, <link https: motherboard.vice.com de article wnxvpb die-gez-hat-gerade-800-euro-im-darknet-verpulvert-aber-nicht-fuer-koks-und-nutten external-link-new-window>700 Euro für die Katz. Trotz Versandbestätigung wartet die Redaktion bis heute auf ihre Wumme. Grundsätzlich sei das schon möglich, online Gewehre einzukaufen, sagt Mey: "Aber es ist nicht so einfach, die per Post zu verschicken, ohne dass die Pakete abgefangen werden."

Um die dunkle Seite des Netzes zu illustrieren, verwenden Redaktionen manchmal das Bild eines Eisbergs: Die Spitze stellt den gemeinhin bekannten, allgemein zugänglichen und vermeintlich braven Teil des Netzes dar, das Clearweb, wo selbst technologische Analphabeten liebgewonnene Adressen wie Facebook und Google problemlos ansteuern können. Doch dann lauert da unter der Oberfläche noch, bedrohlich anmutend und um ein Vielfaches größer dargestellt, das Darknet. "Die Metapher ist aber völliger Blödsinn", sagt Mey, denn im Vergleich sei der verborgene Teil winzig. So werde das Darknet schätzungsweise von weltweit etwa 150 000 Personen am Tag genutzt. Beim Clearweb sind es vier Milliarden.

Der zentrale Unterschied zwischen den beiden Seiten des Internets besteht nicht in der Legalität. Denn es ist, zumindest in Deutschland, nicht verboten, das Darknet anzusteuern, dort dubiose Schwarzmärkte zu besuchen und deren gesetzlose Sortimente zu durchstöbern. Nur bestellen darf man nichts. Was den verborgenen Teil des Netzes vom klaren abgrenzt, ist die Anonymität der Nutzung. Diese ist in Zeiten von Staatstrojanern und geheimdienstlicher Überwachungswut zwar nie mit Gewissheit gewährleistet. Aber ein erster Schritt zur digitalen Selbstverteidigung kann es sein, sich beispielsweise einen Tor-Browser zu installieren, der die Spuren im Netz verwischt.

Auch das Clearweb kennt Abgründe

Während das Darknet einen Schwarzmarkt für fast alles bietet, was nachgefragt wird, sind entsprechende Angebote meist auch über das normale Internet zu finden. Prominent ist der Fall eines damals 20-Jährigen, der 2015 zu sieben Jahren Haft verurteilt worden ist, nachdem er in wenigen Monat beinahe eine Tonne Drogen über das Clearweb verkaufte und damit Millionen verdiente („Er wollte im Internet als Drogenhändler der Größte und Beste sein." – Staatsanwalt André Kuhnert). (min)

Ein Raum, der abgesehen von verdeckten Ermittlern, herrschaftsfrei und überwachungsarm ist, böte laut Mey nicht nur Platz für dubiose Schwarzmärkte, sondern auch für soziale Bewegungen und linke Utopien. Aus dem gewöhnlichen Internet sei ein "repressives Instrument geworden, das die Macht- und Kontrollmöglichkeiten von Staaten und Konzernen potenziert und diese Datenmacht an wenigen Punkten ballt", schreibt Mey in seinem Buch. In den wichtigsten Bereichen des digitalen Lebens bestehe "eine Anbieterkonzentration, wie sie in der analogen Wirtschaft kaum denkbar wäre", mit quasi-monopolistischen Stellungen für Google, Apple, Facebook, Microsoft und Amazon. "Aus dem hoffnungsvollen Internet ist etwas geworden, das dem Panopticon ähnelt, wie es der französische Philosoph Michel Foucault einst beschrieben hat: ein Gebilde, das die Überwachung aller Aktivitäten aller Leute in dem System ermöglicht, während die Überwacher selbst größtenteils unbeobachtet agieren."

Mey fände es angebracht, einerseits diese wirtschaftlichen Einheiten zu entflechten und sich andererseits der totalitären Beobachtung des Netz-Verkehrs zu entziehen. Im Vergleich zum kommerzialisierten Schwarzmarkt sei die Darknet-Nutzung für politischen Aktivismus aber bislang verschwindend gering, auch in autoritär regierten Staaten. Laut Mey sei es an der Zeit, den überwachungsfreien Raum selbst zu gestalten, denn was bislang nur als Nische genutzt werde, böte deutlich mehr Potenzial: "Eine ernst zu nehmende, vielfältigere und weniger kommerzielle Alternative zum heutigen Internet vielleicht, oder gar eine globale Werkstatt, in der an einer besseren und gerechteren Welt von morgen gebastelt wird."

Stefan Mey: "<link https: www.chbeck.de mey-darknet product external-link-new-window>Darknet: Waffen, Drogen, Whistleblower. Wie die digitale Unterwelt funktioniert.", H.C.Beck, 2018 in aktualisierter Auflage, 239 Seiten, 14,95 Euro. 

Es handelt sich nach Angaben des Autors um das wahrscheinlich erste IT-Buch eines großen Publikumverlags, in dem konsequent mit Sternchen gegendert wurde. Das habe in traditionell maskulinistisch geprägten Foren für Irritationen gesorgt. Auf "Telepolis" gibt es <link https: www.heise.de tp features external-link-new-window>ein gekürztes Kapitel zum politischen Darknet nachzulesen.


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