Elke Schmidt hat das Projekt 1993 mit einer Mitstreiterin gestartet. Damals hatte sich der Onkel eines verschwundenen tamilischen Flüchtlings an die ARI gewandt. Sie forschten nach und fanden heraus, dass er mit acht anderen tamilischen Flüchtlingen beim Grenzübertritt in der Neiße ertrunken war. Mit einem Filmteam machte die ARI damals den Tod in der Neiße öffentlich. Seitdem sammelt das kleine Team Nachrichten über Todesfälle, Misshandlungen und Gewalt, die in direktem Zusammenhang mit der deutschen Flüchtlingspolitik stehen: 261 Geflüchtete töteten sich zwischen dem 1. Januar 1993 und dem 31. Dezember 2017 aus Angst vor ihrer drohenden Abschiebung oder starben bei dem Versuch, vor der Abschiebung zu fliehen, davon 79 Menschen in Abschiebehaft. 2528 Geflüchtete verletzten sich aus Angst oder aus Protest gegen die drohende Abschiebung, unter anderen bei Hunger- und Durststreiks, oder versuchten, sich umzubringen, davon befanden sich 743 Menschen in Abschiebehaft.
Schwerpunkt Afghanistan
Der Schwerpunkt der aktualisierten Ausgabe sind Abschiebungen nach Afghanistan, die Mitte Dezember 2016 begannen. Und das, obwohl Menschenrechtsorganisationen wie Pro Asyl immer wieder darauf hingewiesen haben, dass das Land nicht sicher ist und sich daher eine Rückführung von Geflüchteten nach menschenrechtlichen Kriterien verbietet. Längst sind die Abschiebungen zur Routine geworden. Schlagzeilen machen sie in der Regel nur noch, wenn es Geflüchteten gelingt, sich erfolgreich einer zwangsweisen Ausweisung zu entziehen.
In der Dokumentation der ARI werden die oft tödlichen Folgen der Abschiebepolitik an vielen Beispielen benannt. Der 23-jährige Geflüchtete Atiqullah Akbari war am 23. Januar 2017 abgeschoben worden. Zwei Wochen später wurde er durch einen Bombenanschlag in Kabul verletzt. Der 22 Jahre alte Farhad Rasuli wurde am 10. Mai 2017, drei Monate nach seiner Abschiebung aus Deutschland, in Afghanistan bei einem Anschlag durch die Taliban getötet. Der 23-jährige Abdullrazaq Sabier wurde am 31. Mai bei einem Bombenanschlag im Diplomatenviertel von Kabul zwar nicht, wie anfangs berichtet, getötet, aber doch schwer verletzt. Sein Asylantrag in Deutschland war abgelehnt worden. Nachdem die dritte Sammelabschiebung stattgefunden hatte, gab er dem Abschiebungsdruck der Behörden nach und war im März "freiwillig" nach Afghanistan zurückgekehrt.
Elke Schmidt von der ARI macht im Gespräch mit Kontext darauf aufmerksam, dass die Massenabschiebungen nicht nur in Afghanistan, sondern auch hierzulande tödliche Folgen haben können. "Mindestens acht AfghanInnen, davon drei Minderjährige, töteten sich in den Jahren 2016 und 2017, es kam zu 110 Suizidversuchen und Selbstverletzungen. Viele dieser Vorfälle fanden in Abschiebehaft statt. Schmidt geht von einer noch höheren Dunkelziffer aus. Schließlich veröffentlicht die ARI in ihrer Dokumentation nur Meldungen, die gegenrecherchiert und von zwei Quellen bestätigt worden sind.
Tod am Bodensee
In der Flüchtlingsunterkunft "Inter-Mezzo" im Wasserburger Ortsteil Hengnau in der Nähe von Lindau tötete sich am 27. Februar 2017 ein 17 Jahre alter Flüchtling aus Afghanistan – zwei Tage vor seiner Volljährigkeit. Der Jugendliche lebte seit 2015 in Lindau, war offensichtlich traumatisiert und litt unter Depressionen. Ein Stein, den er in der Schule für eine Ausstellung bemalte, zeigt eine skizzierte Person mit traurigem Gesichtsausdruck hinter oder vor Gittern. Der Jugendliche hatte in Afghanistan ohne für ihn ersichtlichen Grund im Gefängnis gesessen, bevor er seine Flucht antrat. Doch in Deutschland traf er auf Bürokratie und Ablehnung.
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Rolf Steiner
am 14.06.2018