"Der absurde Mensch sagt ja, und seine Anstrengung hört nicht mehr auf." Der Satz des französischen Philosophen Albert Camus aus seinem "Mythos des Sisyphos" ziert in schwungvollen Druckbuchstaben einen kleinen Zettel. Wie ein Mosaikstein wird er zum Teil einer wandfüllenden Collage aus bissigen Statements zum Zustand der modernen Arbeitswelt. Nur ein kleines Detail am Rande des taz-Kongresses am vergangenen Samstag in Berlin. "Wie wollen wir arbeiten?", fragte das "taz lab"und: Welche Utopien sind realistisch?
Der Änderungsbedarf in der Arbeitswelt ist groß: Während die Zahl der psychischen Erkrankungen, der Depressionen und Burn-Outs in westlichen Wohlstandsgesellschaften Jahr für Jahr <link https: www.kontextwochenzeitung.de schaubuehne wider-den-leistungswahn-4284.html internal-link-new-window>steigt und immer jüngere Menschen betroffen sind, steht zu bezweifeln, ob der ganze Stress einer wettbewerbsfixierten Leistungsgesellschaft tatsächlich sein muss. Durch technologischen Innovationen könnten sich die Lasten der Erwerbsarbeit zumindest erheblich reduzieren lassen.
Das betont auch einer, der weniger als Utopist denn als knallharter Pragmatiker bekannt ist, vor allem in der Flüchtlingspolitik: Der grüne Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer. Trotzdem: Mit Zahlen, das wird ihm allgemein attestiert, kann er umgehen. Beim taz lab sitzt der studierte Mathematiker gemeinsam mit der Linken-Vorsitzenden Katja Kipping, Schriftstellerin Jagoda Marinić und dem Schweizer Unternehmer Daniel Häni auf der Bühne – und propagiert dort das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE). Ein Projekt, das Umfragen zufolge auch in der Bevölkerung eine knappe Mehrheit an Befürwortern findet (<link https: www.heise.de tp features external-link-new-window>Stand Dezember: 58 Prozent).
Palmers Prognose: Maschinen werden die besseren Menschen
Die Idee, erzählt Palmer, habe er schon als junger Politiker um die Jahrtausendwende gut gefunden, damals "aus philosophischen Gründen". 2007 stimmte er auf der Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen trotzdem dagegen, weil er es "für momentan nicht konsensfähig und politisch durchsetzbar hielt". Ein Jahrzehnt später ist er wieder dafür, diesmal ganz pragmatisch: Denn im Zuge der Digitalisierung werde es immer weniger Tätigkeiten geben, in denen der Mensch der Maschine überlegen ist. Palmer: "Ich glaube, in 20 bis 30 Jahren sind Maschinen die besseren Ärzte, Polizisten, Piloten und Müllwerker."
Nun mag die Vorstellung vom bewaffneten Robocop nicht für jeden eine beruhigende Zukunftsvision darstellen. Doch Palmers Prognose, dass sich der Arbeitsmarkt grundlegend ändert, teilen nahezu alle Experten. Unterschiedlich fällt ihre Wertung aus. Den Tübinger OB stimmt die Aussicht optimistisch: Wenn immer mehr Arbeit entfalle und eine wachsende Zahl von Menschen ihr Leben nicht mehr durch Erwerbsarbeit bestreiten könne, "dann wird das Bedingungslose Grundeinkommen relevant."
Doch die Hoffnung, dass sich die Menschheit durch technischen Fortschritt des Arbeitszwangs entledigen könnte, ist mindestens so alt wie die industrielle Revolution. Die hat zwar tatsächlich dazu geführt, dass im Durchschnitt bei weniger Arbeitsaufwand mehr verdient werden kann. Doch an der Notwendigkeit der Erwerbstätigkeit hat sich wenig geändert. Und im Bundestag propagiert die CDU noch 250 Jahre nach der Dampfmaschine die Vollbeschäftigung.
Dieses Ziel hält der Arbeitsmarktexperte Andreas Spermann sogar für realistisch. Zusammen mit Katrin Gottschalk, einer der beiden taz-Vize-Chefinnen, saß er auf der einem anderen Podium und betonte: Die Digitalisierung würde zwar alte Arbeitsplätze überflüssig machen, aber auch neue schaffen. "Trotzdem wird es in diesem Strukturwandel zunächst Verlierer geben." Um die aufzufangen, sagt Spermann, brauche es einen stärkeren Sozialstaat. Dem BGE steht er skeptisch gegenüber, insbesondere wegen der unklaren Finanzierung. Und dennoch wünscht er sich, dass Entscheider und Machthaber "viel mehr experimentieren und das über lange Zeiträume". Noch gebe es da "eine Blockade in der Birne". Die sieht auch der Schweizer Grundeinkommens-Aktivist Daniel Häni. Das BGE sei "eine postideologische Idee", sagt er: "Sozial, denn es bekommen alle. Und liberal, weil es bedingungslos ausgezahlt wird."
Warum wird nur menschliche Arbeit besteuert?
Zur unklaren Finanzierung könnten neben einer höheren Besteuerung von Hyperreichen auch eine Maschinen- und Robotersteuer beitragen, wie sie die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock in die Debatte einbringt. Denn in der Tat wirkt es gleichermaßen kapitalfreundlich wie menschenfeindlich, dass Arbeiter aus Fleisch und Blut nach der ganzen Plackerei große Teile ihres Lohnes abdrücken, während Maschinen steuerfrei schuften. Was für Unternehmen einen zusätzlichen Anreiz darstellt, sich menschlicher Arbeit möglichst zu entledigen.
Wenn es nun überflüssig würde, dass Menschen Arbeit verrichten, wäre das zu begrüßen, solange die erwirtschafteten Gewinne der Gesamtgesellschaft zugute kommen. Doch das Gegenteil ist der Fall. Die weltweite Wohlstandsverteilung war noch nie so einseitig wie aktuell. Während 1,2 Milliarden Menschen mit weniger als 1,25 Dollar pro Tag auskommen müssen, können sich Wenige allein durch ihr Vermögen über Nacht um Beträge bereichern, die andere durch Arbeit in zehntausenden Jahren nicht verdienen würden.
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