Das sei ja "wie ein revolutionärer Akt, wenn man sich dagegen viele zeitgenössische Dokumentarfilme ansieht", schwärmt ein Redakteur in der taz voller Bewunderung. Und der Dokumentarfilmer antwortet bei einer Filmvorführung in Heidelberg so richtig offensiv: "Das ist eine TV-Krankheit, immer diese Bauchbinden bei Dokumentarfilmen, man sieht doch meistens, wer da gerade spricht." Das sei bewusst eingesetzt, als "dramaturgisches und künstlerisches Mittel", denn der Zuschauer solle schon mitarbeiten und von sich aus die Protagonisten zuordnen: ob Patient, Polizist, Rechtsanwalt, Arzt etc. Bauchbinden zur jeweiligen Person erscheinen da offenbar nur als eine Art schwarzer Pädagogik, die den Zuschauer mit Informationen zwangsernähren und mit Vorurteilen besetzen will. Im "SPK Komplex", Gerd Kroskes Dokumentation über die Geschichte des Sozialistischen Patientenkollektivs (SPK) sprechen allerdings viele, von denen man eben nicht weiß, wer sie sind. Und das ist noch lange nicht die ganze Misere dieses Films.
Das Sozialistische Patientenkollektiv war eine Gruppe Patienten und Patientinnen, die sich 1970 in Heidelberg innerhalb der Uni-Poliklinik für Psychiatrie konstituierte und den herrschenden Klinikbetrieb aktiv umzugestalten trachtete: gegen unzumutbare Behandlungsmethoden, gegen die Hierarchie Arzt-Patient und insgesamt gegen die damalige Verwahrpsychiatrie, in der die Ordinarien und Ärzte herrschen konnten wie sie wollten. Ein Arzt, Dr. Wolfgang Huber, solidarisierte sich mit den Patienten, was natürlich unter den mehrheitlich konservativen Professoren erheblichen Widerspruch provozierte. Dann gab es den Klinikleiter, Prof. Walter von Baeyer, er stammte aus einer jüdischen Familie und war Co-Autor des Standardwerkes "Psychiatrie der Verfolgten", ein anfangs seinem Mitarbeiter Huber eher zugeneigter Mann, obwohl durchaus bürgerlich-konservativ; und da war auch noch ein liberaler "Reform-Rektor", der Theologe Rolf Rendtorff, der versuchte, die Patientengruppe in irgendeiner Weise zu unterstützen.
Das Motto des SPK: Kampf der Ärzteherrschaft
Aber die Verhältnisse waren damals auf Konfrontation gebürstet. Das Rektorat wurde zwischen CDU-Kultusministerium, konservativen Ordinarien und dem rebellischen SPK zerrieben, die Gruppe galt als "Feind im eigenen Haus". Das SPK antwortete mit ebensolchen Feinderklärungen und Denunziationen: etwa, dass Baeyer ein "Euthanasiearzt" gewesen und nunmehr die "Krankheit als Waffe" gegen die Klassenmedizin auszurichten sei. Motto: Kampf der Iatrokratie, der Ärzteherrschaft. Der Patient als revolutionäres Subjekt.
Diese Konfrontation inmitten einer immer hysterischer werdenden bundesrepublikanischen Situation der beginnenden 70er Jahre nahm wachsende radikale Züge an: Teile der studentischen Rebellierenden sahen schon den Faschismus vor der Tür, Teile der Ordinarien imaginierten sich neue "SA-Truppen" in ihren Seminaren. Auch das SPK radikalisierte sich – der Druck von außen ergänzte sich mit dem Druck von innen. Das SPK, anfänglich entstanden aus berechtigten Patienten-Protesten gegen die Wirklichkeit der Psychiatrie, mutiert zu einer gewaltförmigen Sekte, mit allen Ingredienzien: ein Guru, Dr. Huber, dessen Charisma viele labile Menschen fesselt; ein innerer Zirkel, der die Gruppe dominiert; theoretische Amokläufe mithilfe von Hegel über Marx und Freud zu Wilhelm Reich; Verschwörungstheorien und Suche nach Verrätern in den eigenen Reihen; ein immenser Gruppendruck, auch körperliche Gewalt innerhalb der Gruppe; Spielereien mit Waffen im Wald; sexueller Missbrauch durch den Guru, der, weil er sich selbst in den Patientenstatus definiert, jetzt auch keine Rücksicht mehr auf das Abstinenzgebot nehmen muss und sich unter seinen Patientinnen umschaut. Das Ende: Selbstmorde, Polizeieinsätze, Razzien, Verhaftungen, Dr. Huber und seine Frau werden mit Gefängnisstrafen belegt; Patienten sehen sich allein gelassen; SPK-Mitglieder wechseln über die damals existierenden "Komitees gegen (Isolations-)Folter" in die Reihen der RAF; vier von ihnen werden Teil des "Kommandos Holger Meins", das im Jahr 1975 die deutsche Botschaft in Stockholm besetzt, um politische Gefangene freizupressen - Resultat: vier Tote, darunter zwei Botschaftsmitarbeiter.
Soweit die Geschichte, die natürlich erheblich vielschichtiger ist.
Was aber macht der Dokumentarfilmer Kroske, was macht sein Film aus diesem Stoff? Er recherchiert in Archiven und holt Personen vor die Kamera, die im Umfeld des SPK-Themas etwas zu sagen haben - und dies durchaus in zum Teil beeindruckender Weise. Etwa ein ungenannter Patient, der nachdenklich seine SPK-Erfahrungen schildert; oder auch die später in der RAF untergetauchte und verurteilte Ex-SPKlerin Carmen Roll, die nach der Haft in einer italienischen Psychiatrie arbeitet. Kroske sucht und findet Audio- und Video-Material, die das SPK zum Thema haben. Das gehört zum Handwerk des Filmemachers.
10 Kommentare verfügbar
Anna Hunger, Redaktion
am 26.04.2018Grüße,
die Kontext-Redaktion