KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Gut Holz

Gut Holz
|

 Fotos: Joachim E. Röttgers 

|

Datum:

Eine Baugemeinschaft baut im Stuttgarter Westen das erste klimaneutrale Haus der Stadt. Das viergeschossige Holzhaus kommt ohne Leim aus. Auf dem Areal des ehemaligen Olgahospitals versucht die Stadt, alles richtig zu machen.

Eine Folie hängt über dem Bau, der bis zur dritten Etage emporgewachsen ist, auf allen Seiten von weiteren Baustellen umgeben. Nur das Treppenhaus ragt noch ein Stockwerk höher empor. Auf den ersten Blick ist von außen noch nicht zu erkennen, was an dem Haus der Baugemeinschaft MaxAcht auf dem Olgaareal das Besondere ist. Mit der Architektin Sonja Schmuker – eine der elf BauherrInnen – durch den Bauzaun geschlüpft, offenbart sich dies erst beim näher Herantreten.

2014 ist das Kinderkrankenhaus Olgahospital von seinem angestammten Platz im Stuttgarter Westen weggezogen – eine der vielen Etappen in der endlosen Geschichte der Neusortierung der städtischen Kliniken. Das Olga- gehört nun zum Katharinenhospital, dem größten Krankenhaus der Stadt, wo die Bauerei auch kein Ende nehmen will. Schon lange vor dem Umzug und Abriss der Nachkriegsgebäude der Kinderklinik fingen Bürger des Stuttgarter Westens an, sich über die Zukunft des Quartiers Gedanken zu machen. Es begann 2007 mit einer Ideen- und Projektwerkstatt, aus der eine Bürgerinitiative und schließlich der Verein Olgäle2012 hervorging. Olgäle: So nannten die Stuttgarter liebevoll das Kinderkrankenhaus, 1842 gegründet unter der Schirmherrschaft der Zarentochter und späteren württembergischen Königin Olga. Und so nennen sie heute das Areal.

Eine Baugemeinschaft mit langem Atem

Sonja Schmuker kam zur Baugemeinschaft durch ihren Sportverein. Ihre Freundin, Kontext-Vorstandsmitglied Anni Endress, fragte sie, ob sie nicht mitmachen wolle. Schon bei der Vorbereitung der ersten Zukunftswerkstatt im Herbst 2008 hatte die Bürgerinitiative sich umgesehen und festgestellt: Das gemeinsame Bauen kann eine Lösung für manche Probleme sein. Bedingung ist freilich, dass die Grundstücke nicht zu Höchstpreisen vergeben werden, sonst haben Baugemeinschaften gegen finanzstarke Investoren keine Chance. Während die Stadt, in Zusammenarbeit mit der Initiative, einen städtebaulichen Planungswettbewerb ausschrieb, gründeten sich erste Baugruppen. Doch im Laufe der Zeit mussten sie sich ständig neu erfinden, weil nicht alle Beteiligten so lange warten konnten.

Die Baugemeinschaft MaxAcht hielt durch. Zu viert hatten sie angefangen und sich dann im Bekanntenkreis weiter umgehört. MaxAcht haben sie sich genannt, weil sie ursprünglich mit maximal acht Parteien zusammen bauen wollten. Inzwischen sind es längst elf, der Name ist geblieben. Was sie beseelte, war die Idee, etwas Neues zu machen: Ein lebendiges Quartier sollte entstehen, in dem verschiedene Generationen und Einkommensstufen zusammenleben. Für die niedrigen Einkommen ist nun vor allem das Siedlungswerk zuständig, neben der städtischen Wohnungsgesellschaft SWSG, die auch eine Kindertagesstätte und ein Nachbarschaftszentrum baut. Eine Baugemeinschaft setzt dagegen voraus, dass die Beteiligten etwas Geld haben, auch wenn eine Förderung durch das städtische Programm Preiswertes Wohneigentum (PWE) möglich ist.

Nachdem 2011 der Städtebau-Wettbewerb entschieden war, dauerte es nochmal ein Jahr, bis die Stadt unter dem Titel "Bürger bauen mit" einen Grundsatzbeschluss über Baugemeinschaften fasste, und ein weiteres, bis sie eine Tagung zum Thema veranstaltete, um sich über die Erfahrungen an anderen Orten, vom viel gerühmten Französischen Viertel in Tübingen bis hin zu Rotterdam zu informieren. Immer noch waren viele Probleme zu lösen, bevor sich die Baugemeinschaften in spe um ein Grundstück auf dem Olgaareal bewerben konnten.

Die Stadt beschloss, das gesamte Areal über Konzeptvergaben zu veräußern. Das bedeutet, nicht der Meistbietende erhält den Zuschlag, sondern neben dem Preis spielt die beste Idee eine wichtige Rolle. Die Baugemeinschaften, die eines der vier Planquadrate zugesprochen bekamen, erhielten die Grundstücke zum Verkehrswert. Aber sie mussten sich einzeln bewerben, damit aus dem Kreis der Anwärter die interessantesten Ideen zum Zuge kämen.

Ökologisch sauber und gemeinsam wohnen im Holzhaus

Die Gruppe MaxAcht war sich einig: Sie wollte ein Haus bauen, in dem Familien, Einzelpersonen und Paare verschiedenen Alters und verschiedener Nationen unter einem Dach leben. Sie sehen darin einen zukunftsweisenden Beitrag zum Zusammenleben in einer alternden Gesellschaft, in der die wachsende Zahl älterer Menschen, soweit sie nicht aus ihren Wohnungen vertrieben werden oder in der Pflegemaschinerie landen, oftmals in viel zu großen Wohnungen leben, einfach weil es zu bezahlbaren Preisen keine kleineren gibt. Ganz konkret wollen sie ihr eigenes Leben anders organisieren: so, dass einer dem anderen hilft, ganz egal, ob es darum geht, einmal auf die Kinder aufzupassen oder im Alter nicht auf sich allein gestellt zu sein.

Dies verbindet sie mit anderen Baugemeinschaften. Und auch, dass zwei rollstuhlgerechte Wohnungen geplant sind, ist noch nicht so ungewöhnlich. Doch etwas Besonders wollten sie sich für ihre Bewerbung schon einfallen lassen, zumal neben Sonja Schmuker noch zwei weitere Architekten beteiligt sind. Jürgen Naverschnigg, der mit seiner Familie in das Haus einziehen wird, hatte vom Woodcube gehört: ein fünfgeschossiger Würfel, ganz aus Holz bis auf den Treppenhauskern, gebaut zur Internationalen Bauausstellung (IBA) 2013 in Hamburg. Leimfrei und CO2-neutral. Noch im selben Jahr erhielt der Bau prompt einen Preis der Deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen (DGNB).

Schmuker und Naverschnigg sind Profis. Sie wissen, wie viel Aufwand die Planung eines solchen Gebäudes erfordert. Dies nebenbei zu erledigen, wäre unmöglich gewesen, und sie wollten das Haus auch gar nicht selbst bauen. Die Wahl der Architekten fiel nicht schwer: Wie es der Zufall will, hatte den Hamburger Woodcube die Architekturagentur aag geplant, ansässig ein paar Häuser weiter in der Breitscheidstraße.

Holzhäuser gibt es schon lange. Mittelalterliche Fachwerkhäuser sind manchmal höher als der MaxAcht-Kubus, Blockhäuser mit ihrem speziellen Western-Charme sind auf dem Land öfters zu sehen. Doch obwohl sie auch höher gebaut werden könnten, sind sie zumeist nur ein bis zwei Stockwerke hoch. Bei dem Stuttgarter Haus arbeitet die Architekturagentur mit dem Südtiroler Unternehmen Holzius zusammen. Holzius baut reine Holzhäuser, bisher vorwiegend im Alpenraum, mit massiven Wänden und Decken. Anders als beim Blockhaus werden die Hölzer stehend verbaut. Und anders als beim Fachwerkhaus kommen keine schweren Eichenbalken, sondern Nadelholz-Kanthölzer zum Einsatz, die nach einem eigenen Patent verbunden sind.

Ein Puzzlespiel für die Architekten

Die Vorfertigung bedeutet, dass alles durchgeplant sein muss, also alle Aussparungen für Rohrleitungen, Steckdosen und Lichtschalter bereits in den Wandelementen enthalten sind. Die elf Wohnungen, zwischen 61 und 115 Quadratmeter groß, sind fast alle unterschiedlich geschnitten: ein Puzzlespiel für die Architekten. In der Regel sind es drei Wohnungen auf jeder Etage, die aber nicht immer genau übereinander liegen.

Schwierig gestaltete sich auch der Umgang mit den Bauvorschriften. Kein Rauch darf im Brandfall von einer Etage zur anderen durchdringen. Holzdecken an sich sind eine uralte Bauform, doch schwer mit heutigen Schallschutzbestimmungen in Einklang zu bringen. Und so sind die hölzernen Deckenplatten nun von einer beschwerenden Schüttung aus Dämmmaterial, einem Zementestrich und einem Fußbodenbelag bedeckt.

Prinzipiell kommen bei Bauten von Holzius kein Leim, keine Folien und keine Metall-Verbindungen zum Einsatz. Punktuell gestatte sich die Baugemeinschaft jedoch kleine Ausnahmen. So gibt es im Erdgeschoss auf der Südecke anstelle der dritten Wohnung einen großen Gemeinschaftsraum, der auf zwei Seiten großzügig verglast ist. Die weit vorkragende Decke besteht nun aus einem Verbund aus Holz und Beton. An einzelnen Stellen kommen Stahlprofile als Stützen zum Einsatz. Der Treppenhauskern besteht ohnehin aus Beton.

An der ökologischen Bilanz ändert dies wenig. Das Haus entspricht dem von der Kreditanstalt für Wiederaufbau geförderten Standard KfW 55, das heißt, es benötigt 55 Prozent der Energie, die in der Energieeinsparverordnung (EnEv) für ein Referenzgebäude vorgesehen ist. Durch den Verzicht auf Leim und Kunststoffe würden beim Abbau keinerlei Abfälle entstehen, die nicht wiederverwertbar sind, sei es als Bauholz oder als Brennholz. Selbst wenn das Holz verbrannt würde, entstünde nicht mehr Kohlendioxid, als die Bäume in der Wachstumsphase gebunden haben.

Aber wer denkt schon an Rückbau? Das Haus kann auch jahrhundertelang stehen bleiben. Sonja Schmucker ist der Verzicht auf Leim und Kunststoffe auch deshalb sympathisch, weil auf diese Weise ein angenehmes Raumklima entsteht. Mag sein, dass, wenn ganze Städte aus Vollholz gebaut würden, die Wälder nicht ausreichen. Aber fünf Prozent der CO2-Emissionen stammen derzeit aus der Zementproduktion. Und gebaut wird vorwiegend mit Beton. Das Haus der Baugemeinschaft MaxAcht zeigt, dass es auch anders geht.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


0 Kommentare verfügbar

Schreiben Sie den ersten Kommentar!

Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!