Aber warum dieses Klischee-Revival? Gerade weil sich im täglichen Leben die Rollenverteilung immer weiter auflöse und daher Rollen und Aufgaben verhandelt werden müssen. Eltern erschöpfe dieser Kampf manchmal, so Schmiedel, "sie suchen dann Sicherheit, gerade für ihre Kinder." Sicherheit durch Stereotypen-Vermittlung? Ob die Kinder für diese rückwärtsgewandte Komplexitätsreduktion später einmal dankbar sein werden, darf bezweifelt werden.
Was zurück zu Grönemeyers "Männer" führt. Der Song war ja vor allem eine ironische Sammlung aller möglichen Männer- und Männlichkeitsstereotypen, positiver wie negativer, deren Aneinanderreihung allein schon zeigte, wie widersprüchlich und teils absurd viele sind. Und dass es eben nicht nur einen Männertyp gibt. Die Zeile "Wann ist ein Mann ein Mann", eine Frage, auf die jeder seine eigene Antwort finden muss, ist schnell zum geflügelten Wort geworden, oder vielmehr zum geflügelten Titel für gefühlt 20 000 Artikel, Bücher, Fernseh- und Radio-Sendungen oder Magazin-Titelthemen über den Mann als solchen. Der angeblich nicht mehr genau weiß, wann er einer ist, wie er sein muss, um einer zu sein, was die Gesellschaft von ihm erwartet. Kommt nicht mehr hinterher, sieht Karrierefrauen an sich vorbei ziehen, ist verloren zwischen Rollenerwartungen, dabei will er doch, unter uns, nur gelegentlich grunzend im Unterhemd auf dem Sofa mit Bierflasche in der Hand Fußball gucken.
Postmodern-flexibel oder Lifestyle-Macho
"Mann in der Krise" oder "Die Krise des Mannes" sind daher die vielleicht zweithäufigsten Titel-Variationen über den Mann. Die Frage ist, warum er überhaupt in der Krise sein soll.
Ökonomisch und beruflich, zumindest gesamtgesellschaftlich gesehen, ist er es jedenfalls nicht. Immer noch verdienen Männer im Schnitt deutlich mehr als Frauen, der Großteil der Führungsjobs ist mit Männern besetzt, auch wenn sich die Verteilung langsam, ganz langsam ändert. Für den Sozialwissenschaftler Thomas Gesterkamp bezieht sich die "Krise der Männlichkeit" dennoch vor allem auf die verschlechterten Chancen am Arbeitsmarkt: "Beide Geschlechter sind nun mit jenen prekären Erwerbsverläufen konfrontiert, die für Frauen schon immer 'normal' waren." Für Männer, aber eben vor allem für schlecht ausgebildete, so Gesterkamp, sei das neu.
In der Krise scheinen aber zumindest die Jungen zu sein, in der Schule jedenfalls. Da schneiden sie immer schlechter ab, wie die Pisa-Studien enthüllten. Auch dies relativiert Gesterkamp: Bildungsverlierer seien in der Regel nicht die Mittelklassejungs, die trotz schlechterer Schulabschlüsse später trotzdem bessere Berufschancen haben als Mädchen, sondern die Jungen aus Unterschichts- und Migrantenfamilien: "Soziale Herkunft und ethnische Zugehörigkeit sind die wichtigsten Kriterien für den Bildungserfolg, erst an dritter Stelle folgt das Geschlecht."
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