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"Danke für die MeToo-Debatte"

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Männer bewegen sich derzeit auf unsicherem Grund, sagt der Stuttgarter Schriftsteller Wolfgang Schorlau. Und das sei gut so. Am Donnerstag, zum internationalen Frauentag, erscheint sein neunter Georg-Dengler-Roman "Der große Plan". Das Thema: Griechenland. Was der Autor bei seinen Recherchen erlebt hat und warum er die MeToo-Debatte für eine gute Sache hält, erzählt er im Interview mit Stefan Siller.

"Würdest du den Frauen zum internationalen Frauentag etwas mitgeben wollen?", fragt Stefan Siller den Schriftsteller. Man duzt sich im Interview, weil schon lange bekannt, "Ja, lest Georg Dengler", sagt Schorlau. Und dann ernster: 

"Ich finde die gegenwärtige Debatte über Geschlechterverhältnisse, die so nicht bleiben können, auch für Männer eine große Ermutigung. Insofern würde ich sagen, dass man sich als Mann bei den Frauen bedanken muss, die sagen, dass es nicht mehr so weitergeht. Unter diesen Typen, die gerade zurecht in der Kritik stehen, leiden Frauen, klar, aber auch Männer. Und dass sich das Verhältnis zwischen Männern und Frauen gerade ändert, ist eine gute Sache. Insofern würde ich sagen: Herzlichen Dank für den Mut und die MeToo-Debatte."

Logo: Siller fragt

Alle Folgen von "Siller fragt" gibt's hier.

"Manche Männer denken nun, sie dürften nicht mehr flirten? Dass die Frau sich bedrängt fühlen könnte und denkt, 'das macht er doch nur, weil er mich in die Kiste kriegen will'." 

"Das ist eine sehr eingeschränkte Sichtweise auf das Ganze. Es geht darum, dass Machtverhältnisse geändert werden. Das hat doch mit Flirten nichts zu tun."

Er habe den Eindruck, sagt Siller, dass die MeToo-Debatte bei manchen Männern eine große Verunsicherung ausgelöst hat. "Ja, klar!", bestätigt Schorlau, "das ist doch wunderbar". Im Augenblick werde das Verhältnis neu definiert und man bewege sich auf unsicherem Grund. "Aber der ist besser, als der sichere Grund, der so beschissen war wie der vorherige", sagt der 66-jährige Krimiautor, Schöpfer des Privatermittlers Georg Dengler. 

Manchmal wird er auf der Straße mit dem Namen seines Protagonisten angesprochen. "Herr Dengler, Mensch, ich freu mich, dass ich Sie mal persönlich treffe!" Das sei zwar immer überraschend, aber es freue ihn auch, sagt Schorlau. Und in gewisser Weise habe ein Schriftsteller, insbesondere beim Schreiben von Kriminalromanen, auch etwas von einem Ermittler. In seinem Fall arbeitet Dengler immer akribisch und braucht 448 Seiten. 

"Man muss über Krimis immer vorsichtig sprechen, damit man das Ende nicht verrät", sagt Siller.

"Warst du überrascht?", fragt Schorlau. 

"Ja! Das ist doch gut, oder?" 

"Na, das freut mich."

"Es geht in deinem neuen Roman um Griechenland, die sogenannten Rettungspakete, die in Wirklichkeit keine waren. Wo ist das viele Geld, wo sind die 250 Milliarden Euro angekommen?" 

Es sei interessant gewesen, sagt Schorlau, dass es zwar eine überbordende Berichterstattung zu dem Thema gab – "Unser Geld! Und die Griechen verbraten es!" – "aber man konnte nirgends erfahren, auf welchen Konten das Geld letztlich gelandet ist. Und da dachte ich, da muss jetzt der Georg Dengler mal ran." In Griechenland bei den Menschen sei es jedenfalls nicht angekommen. Schorlau hat dort zusammen mit dem Journalisten Ekkehard Sieker recherchiert.

"Was hat sich dir da geboten?"

Schorlau erzählt von völlig maroder Gesundheitsversorgung, von Bürgerinitiativen und Ärzten, die nach Feierabend freiwillige Arbeit leisten. "Es ist ein Fiasko, mitten in Europa. Eines von unvorstellbarem Ausmaß." Aber er hat sich nicht nur mit der finanziellen Situation der Griechen und der Troika befasst ("Alle Beteiligten kommen aus dem großen Bankgeschäft, das ist wie eine kleine Betriebsversammlung."), sondern auch mit der Geschichte des Landes.

Winfried Hermann (Grüne)

Wolfgang Schorlau, 66, lebt und arbeitet als freier Schriftsteller in Stuttgart und wurde vor allem durch seine Politkrimis um den Privatermittler Georg Dengler bundesweit bekannt. Drei davon wurden vom ZDF verfilmt, zuletzt "Dengler – Die schützende Hand" über den NSU-Komplex. (ana)

"In deinem Buch habe ich viele Dinge gelesen, die mich vom Hocker gehauen haben", sagt Siller. "Und ich glaube, ich bin nicht der Einzige, dem nicht so gegenwärtig ist, was früher schon alles zwischen Deutschland und Griechenland passiert ist." 

"Mir wurde auch erst in Griechenland klar, wie entscheidend für die Entwicklung des Landes die deutsche Besatzungszeit zwischen 1941 und '44 war." Zehn Prozent der Bevölkerung seien in diesen Jahren umgekommen. "Die Deutschen haben Griechenland komplett ausgeplündert. Das führte zu der großen Hungerskatastrophe zwischen den Jahren 41 und 42, weil alles abtransportiert wurde, was nicht niet- und nagelfest war. Die Wehrmacht hat zur Abschreckung ganze Dörfer ausgerottet. Auf bestialische Art und Weise." 

Wolfgang Schorlau ist der einzige Schriftsteller, dessen Nachforschungen für einen Roman es bis in einen Untersuchungsausschuss geschafft haben. Als Experte für den NSU-Komplex saß er mehrfach im Untersuchungsausschuss. Es gebe immer zwei Geschichten, erzählt er. Die offizielle und eine dunkle, die keiner kenne. Die ZDF-Verfilmung seines Romans "Die schützende Hand" mit Roland Zerfeld als Georg Dengler brachte dem Schriftsteller dann auch nicht nur Ruhm ein. Erst vor kurzem klebten einige Medien ihm <link https: www.kontextwochenzeitung.de medien es-geht-um-rufmord-4734.html internal-link-new-window>das zweifelhafte Etikett des Verschwörungstheoretikers an. "Wir wissen immer noch viel zu wenig", sagt Schorlau. Ich glaube, es wird noch einige Überraschungen geben. Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass mal einer, der in diesen Sumpf verwickelt ist, sein schlechtes Gewissen nicht mehr aushält und dann etwas sagt."

Wird "Der große Plan" auch verfilmt werden? "Im Moment habe ich keine Ahnung, wie man dieses Buch verfilmen soll." Aber wer weiß, sagt Schorlau, eigentlich sei es mit seinen über 400 Seiten eine Steilvorlage für den klassischen Zweiteiler. Ob das ZDF da mitmacht? Der Schriftsteller schmunzelt.


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