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Bitcoin-Hype und Populisten, Spritschlucker auf Abwegen, bedingungsloses Grundeinkommen, CO2-Abgabe zum Klimaschutz: Im Interview spricht Thomas Jorberg, Vorstandssprecher der alternativen GLS Bank, über eine bessere und gerechtere (Wirtschafts-)Welt.

Herr Jorberg, das Vermögen der privaten Haushalte stieg im dritten Quartal 2017 auf das Rekordniveau von 5,779 Milliarden Euro. Schwimmen wir Deutschen im Geld?

Jein. Fakt ist, dass Geld und Vermögen heute extrem ungleich verteilt sind. Wenn wir auf das gesamte Volkseinkommen schauen, ist in den vergangenen Jahrzehnten der Anteil der Kapitalerträge kontinuierlich gestiegen, der Anteil der Arbeitseinkommen sinkt dagegen. Die Digitalisierung beschleunigt diesen Prozess zusätzlich. Die Frage der Zukunft wird sein, wo zukünftig die Kaufkraft ist, um die Güter und Dienstleistungen kaufen zu können, die Roboter produzieren. Dabei müsste es Armut nicht geben, weder hierzulande noch im weltweiten Maßstab. Denn das Produktionspotential ist für die gesamte Weltbevölkerung vorhanden. Insofern ist die Verteilungsgerechtigkeit heute eine brennende soziale Frage.

Wie lässt sich diese Ungleichheit bekämpfen?

Wir brauchen zunächst eine stärke Besteuerung von Kapital und Kapitaleinkünften und weniger Steuern auf Arbeitseinkommen. Daneben bedarf es neuer Instrumente wie das bedingungslose Grundeinkommen. Dabei geht es weniger um die Verteilung des Geldes, sondern mehr um die der Güter und Dienstleistungen. Jemand, der arm ist, braucht nicht Bares, sondern eher eine neue Waschmaschine oder die Möglichkeit, die Kinder im Sportverein anzumelden.

Die Wirtschaft brummt doch, die Arbeitslosenzahlen sind so niedrig wie nie.

Keine Finanzspekulationen

"Geld ist für die Menschen da", heißt der Werbeslogan der Bochumer Gemeinschaftsbank für Leihen und Schenken, kurz GLS Bank. Die nach eigenen Angaben erste soziale und ökologische Bank, im Jahr 1974 durch den Anthroposophen Wilhelm Ernst Barkhoff gegründet, spekuliert nicht an den internationalen Finanzmärkten, sondern vergibt Kredite ausschließlich für sozial, ökologisch und ökonomisch sinnvolle Vorhaben. Ein Modell, das Erfolg hat: Während andere Geldhäuser aufgrund der Niedrigzinsphase mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten kämpfen, konnte die GLS Bank zum Stichtag 31.12.2017 bei allen wichtigen Kennzahlen kräftig zulegen. Die Bilanzsumme stieg auf 5,0 Milliarden Euro (+ 10 %), die Kundenkredite auf 3,0 Milliarden Euro (+ 24,1 %), die Zahl der Kunden und Kundinnen stieg auf 213.000 (+0,9 %). Neben dem Bochumer Stammsitz hat die GLS Bank Standorte in Berlin, Hamburg, Frankfurt, Freiburg, München und Stuttgart. (jl)

Das Problem ist, dass wir immer sehr kurzfristig schauen. Auch und gerade in diesem Wirtschaftsboom mehrt sich der Wohlstand, zumindest der empfundene, nicht mehr. Wachstum führt nicht mehr gleichzeitig zu einer Zunahme des Gemeinwohls, eben des Wohlstands aller. Sondern es führt zu einem viel zu viel, mit enormen Schäden für Umwelt und auch der Sozialverteilung. Zum Beispiel werden heute schon so viele Textilien produziert, dass die gesamte Weltbevölkerung nicht in der Lage ist, diese Textilien aufzutragen. Um in einem total übersättigten Markt noch weitere Umsatzsteigerungen zu erzielen, machen wir aus Kleidern Wegwerfartikel. Dieses Phänomen gibt es in fast allen Branchen. Etwa bei Lebensmittel, von denen vom Acker bis zum Ladenregal die Hälfte weggeschmissen wird, mit einem irrsinnigen Aufwand an Verpackungsmüll. Oder in der Mobilität, weil in den urbanen Zentren der Welt immer mehr Autos zu ständigen Staus und damit zur Immobilität führen.

Sie stellen das Wirtschaftssystem in Frage, das auf Konsum und basiert?

Ich nehme nur wahr, wie die Entwicklung ist. Unser Wirtschaftssystem stellt sich doch selbst in Frage, wenn sich Wachstum nur noch dadurch generieren lässt, indem die Schäden sehr viel größer als der Nutzen sind. Diese Negativbilanz zeigt, dass die Systeme die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit erreicht, ja sogar bereits überschritten haben.

Daimler und Porsche müssen doch Autos verkaufen, um den Wohlstand im Land zu sichern. Das sehen auch der Ministerpräsident und der Stuttgarter OB so, die beide Grüne sind.

Beide sehen sicher auch, dass dies ein Irrweg ist. Vor allem, wenn die Konzerne immer mehr und immer größere SUVs produzieren, weil sich damit am meisten verdienen lässt. Obwohl diese Modelle jede Parkplatzdimension sprengen und von den Emissionen her jenseits von gut und böse sind. Auch dies zeigt, dass dieses System an seine Leistungsgrenze stößt.

Was wäre die Alternative?

Die gibt es doch längst: neue Mobilitätskonzepte, weniger Individualverkehr, mehr Share Ökonomie, Ausbau des Nahverkehrs - möglicherweise umsonst, was keine schlechte Idee ist - und viel mehr vernetzte Verkehrsträger. Wenn ich von Bochum auf Dienstreise nach Schönau in den Schwarzwald gehe, fahre ich mit der Bahn nach Freiburg, wechsle dort auf Car Sharing und lasse den Wagen auf der Rückreise wieder am Fernbahnhof stehen. Man müsste letztlich nur die Rahmenbedingungen ändern, um nachhaltige Mobilität voran zu bringen.

Und was machen dann die Daimler-Arbeiter?

Strukturwandel bedingt Veränderungen, das ist unbestritten. Dieser Prozess trifft in Zeiten der Energiewende gerade die Mitarbeiter der Kohlekraftwerke. In der Branche gibt es derzeit noch 20 000 Arbeitsplätze. Es waren früher viel mehr. Allein der Kohlebergbau im Ruhrgebiet beschäftigte Hunderttausende. Wann aber, wenn nicht jetzt, sollen wir alte Strukturen umbauen? Momentan entstehen viele neue Arbeitsplätze durch Digitalisierung, auf Dauer werden auch manche wegfallen. Wenn bei den Autokonzernen nicht der Groschen fällt, dass es bald vorbei sein wird mit den Spritschluckern und sie nicht stattdessen vernetzte Verkehrsdienstleistungen anbieten, dann droht ihnen das Schicksal der großen Stromkonzerne: Die sind fast pleite gegangen, weil sie die Energiewende verschlafen haben.

Die GLS Bank ist Mitglied im CO2-Verein, der eine Klimaabgabe auf Treibhausgase fordert. Wie kommt eine Bank dazu, für Klimaschutz und Energiewende zu trommeln?

Wir sind im Bereich der regenerativen Energien schon seit Mitte der 80er Jahr aktiv, indem wir als Pioniere Windenergie und später auch Fotovoltaik finanziert haben. Erneuerbare Energien und Energiewende gehören zur Geschichte der GLS Bank. So außerordentlich erfolgreich das EEG ist und war: Zum Durchbruch muss führen, dass die Preise nicht mehr lügen, wie sie es im Moment tun. Die wahren Kosten müssen integriert werden. Der Preis des Kohlestroms muss die Umwelt- und Klimaschäden mitabdecken, die dessen Erzeugung verursacht. Dafür braucht es eine ausnahmslose CO2-Abgabe in der Größenordnung von 40 Euro pro Tonne. Dadurch wären erneuerbare Energien deutlich wettbewerbsfähiger als fossil erzeugter Strom. Zugleich würden Stromsparen und Energieeffizienz attraktiver. Die Engländer haben eine CO2-Abgabe, die Holländer auch. Wir brauchen sie, um jemals das Pariser Klimaschutzabkommen zu erfüllen, nämlich den Ausstieg aus fossilen Energieträgern bis 2050.

Wenn es zur GroKo kommt, wollen Union und SPD den Anteil der Erneuerbaren im Strommix bis 2030 auf 65 Prozent steigern.

Zur Umsetzung der Ziele steht im Koalitionsvertrag nur allgemein Unverbindliches. Die Politik tut sich momentan sehr schwer, eine klare und durchgängige Regelung für einen Ausstieg aus den fossilen Energien zu formulieren. Es wurden ja schon die Klimaschutzziele für 2020 kassiert. Wenn man nicht deutlich die Rahmenbedingungen ändert, werden wir auch die Vorgaben für 2030 nicht schaffen. Technisch und ökonomisch ist die Energiewende realisierbar, da sind sich inzwischen alle einig. Am Geld wird sie niemals scheitern. Wobei der CO2-Verein aufzeigt hat, dass sie sich endpreisneutral umsetzen lässt. Nur, wir haben noch immer hier eine Ausnahme und dort eine Sonderregelung, die das Ende der fossilen Energien auf die lange Bank schieben. Wir Deutschen waren einmal Vorbild bei Energiewende und Klimaschutz. Wir müssen aufpassen, nicht zum Schlusslicht zu werden, was der hiesigen Wirtschaft einen immensen Schaden herbeiführen würde.

Was macht die GLS Bank mit dem Geld ihrer Kunden?

Gerhard Schick

Thomas Jorberg, 1957 in Rothenburg ob der Tauber geboren, war 1977 der erste Auszubildende der GLS Bank. Nach Studium der Wirtschaftswissenschaften an den Universitäten Bochum und Stuttgart mit Abschluss "Diplom-Ökonom" ist er seit 1986 bei der GLS Bank tätig, seit 1993 Vorstand und seit 2003 Vorstandssprecher. (jl)

Wir vergeben die Einlagen ausschließlich unter sozial-ökologischen Kriterien und nur in der Realwirtschaft. Diese Kriterien gelten auch für unser Kreditgeschäft, das mit 900 Millionen Euro Neukrediten im vergangenen Jahr inzwischen drei Milliarden Euro umfasst. Wir haben 30 000 Kredite in Sektoren und Unternehmen vergeben, die vielfältigste nachhaltige Lösungen entwickelt haben, etwa im Mobilitäts- und im Energiebereich. Oder die längst bewiesen haben, dass nur der ökologische Landbau die Weltbevölkerung ernähren kann. Natürlich sind wir als GLS Bank im Finanzmarkt integriert und werden bei einem Crash nicht auf einer Insel sein. Aber wir sind werthaltig in Grundbedürfnisbranchen und deren Unternehmen investiert - also in Energie, Nahrung, Wohnen, Bildung, Mobilität, Soziales, was auf lange Sicht auch ökonomisch nachhaltig ist.

Andere Geldhäuser sind da weniger rücksichtsvoll, wie die Finanzkrise 2008 zeigte.

Stimmt. Banken handeln, um Geld mit Geld zu verdienen und nutzen dazu jede Möglichkeit bis an die Grenze des gesetzlich Machbaren aus. Manchmal sogar darüber hinaus, immer zu Lasten der Kunden. Das hat die Finanzkrise ausgelöst. Der Kunde - damit meine ich nicht unbedingt den Bürger oder den Mensch in uns - handelt aber nicht sehr viel anders. Er möchte das Wertpapier mit der höchsten Rendite haben, und wenn das nicht läuft, droht er, die Bank zu verklagen. Dass zwei Parteien zusammenkommen, die sich gegenseitig übers Ohr hauen wollen, daran hat sich seit der Krise nichts geändert.

Ist genug getan, um einen Zusammenbruch des Finanzsystems in Zukunft auszuschließen?

Überhaupt nicht. Man hat, und das erfolgreich, die unmittelbaren kurzfristigen Kollateralschäden kleiner gemacht. Die einzige wirklich sinnvolle Maßnahme war die Erhöhung des Eigenkapitals. Im Verhältnis zu den Problemen war diese jedoch sehr moderat. Letztlich führt die Regulierung des Finanzsektors nicht zum Systemwechsel, sondern sie zementiert die Situation sogar. Dabei sind die systemischen Risiken heute ungleich höher als sie vor der Krise waren. Wenn sich keine Systemänderung aus Einsicht ergibt, dann werden wir erneut einen Crash erleben.

Aktienrallye, Immobilienboom und Bitcoin-Hype – braut sich schon das Unheil zusammen?

Die gesetzlichen Rahmenbedingungen wurden zwar enger gezogen. Am Grundprinzip, mit aller Gewalt Geld mit Geld zu verdienen, hat sich indes nichts geändert. Krypto-Währungen haben theoretisch das Potential zu einer starken Realwirtschaft beizutragen, übrigens genauso wie andere Komplementärwährungen. Am aktuellen Hype kann man aber verfolgen, dass die Krypto-Währungen leider sofort das auf den Finanzmärkten vorherrschende Prinzip adaptiert haben, nämlich durch Spekulation Geld mit Geld zu verdienen. Geld ist aber kein sinnvolles Investitionsobjekt. In der Folge ist eine gute Idee zu einer Mischung aus Schneeball und Blase verkommen.

Auf dem Immobilienmarkt greift der Gesetzgeber doch schon gegen Spekulanten durch. Ist die Mietpreisbremse ein zu stumpfes Schwert?

Die Frage ist, ob heute ein Stadtbewohner mit einem durchschnittlichen Einkommen noch eine bezahlbare Wohnung findet. Das ist oft nicht der Fall. Dabei muss die öffentliche Hand, von der Bundesvermögensverwaltung bis zur kleinsten Gemeinde, dringend ihren eigenen Umgang mit Grund und Boden sowie Immobilien sofort ändern. Bislang verhalten sich Staat und Gemeinden wie ein Investor und verkaufen zum Höchstgebot. Nur um anschließend die Schäden, die dieses Verhalten verursacht, mit Steuermitteln wieder auszugleichen. Sinnvoller wäre es, wenn eine Stadt wie Stuttgart ihre Grundstücke an eine gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft verschenkt und dieser dann eine Mietpreisobergrenze für die Neubauwohnungen vorschreibt. Doch schon derart einfache Sachzusammenhänge herzustellen wird immer schwieriger. Das "Handelsblatt" spricht richtigerweise von einer "pathologischen Verengung des Blickwinkels auf den kurzfristigen Gewinn".

Welche Gefahren drohen dadurch?

Interessanterweise haben wir diese pathologische Verengung immer dort, wo Unsicherheiten entstehen. Dies spült so Typen wie einen Donald Trump in den USA nach oben und macht Parteien wie die AfD in Deutschland erfolgreich. Da kommt das Nationale, das Protektionistische her, was offensichtlich keine Lösung ist. Wir können nur hoffen, dass solche Populisten Kräfte und Menschen aus der Bürgerschaft heraus mobilisieren, die ganzheitlich denken können, wie es sich in der Umwelt- und Ökologiebewegung in den USA bereits andeutet. Dies ist umso wichtiger vor dem Hintergrund der momentanen Degeneration unserer parteigetriebenen Demokratie, mit der Zersetzung der alten parteipolitischen Landschaften in den USA und Europa.

Wann werden die Zinsen wieder steigen?

Ich sehe auf mittlere Sicht keine nennenswerte Steigerung. Wenn heute von steigenden Zinsen die Rede ist, dann reden wir über Steigungshöhen, über die wir vor zehn Jahren keine Silbe verloren hätten. 50 Basispunkte hoch oder runter, das mag sein. Es bleibt bei einem Zinsniveau von unter einem Prozent.

Armes reiches Land

Die Reichen werden reicher, die Armen ärmer: Jährlich sagen uns Studien, dass die Schere immer weiter auseinandergeht. Es wird wieder über Kapitalismus diskutiert.

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4 Kommentare verfügbar

  • Michael Schmid
    am 01.03.2018
    Antworten
    Zumindest eine Frage an Herrn Jordes bzgl. der Zwangsabgabe für Kunden und die Qualität der bankenspezifischer Arbeiten bei der GLS wären sinnvoll gewesen. Die GLS ist zunächst einmal eine Bank.
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