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Friedensfreund Jürgen Grässlin traute seinen Ohren nicht, als Heckler & Koch von "Opferfonds" sprach. Das war im August 2017. Zwei Wochen später war der H & K-Chef gefeuert und alles ist beim Alten. Der Tod bleibt ein Meister aus Oberndorf. Für ein Berliner Künstlerkollektiv Grund, auf dem Weihnachtsmarkt der Kleinstadt mit Patronengurt und Schnellfeuergewehr aufzutauchen.

Was war das nun? Ein Protest, eine Kunstaktion? Ein soziales Experiment? Saisonal angepasst hatte sich das Berliner "Kunst/AktivismusKollektiv Rocco und seine Brüder" eingekleidet, und war mit einem eigens konstruierten und mit Ware bestückten Stand auf dem Oberndorfer Weihnachtsmarkt aufgekreuzt. Ein Weihnachtsmann mit Schnellfeuergewehr im Arm und zwei Patronengürteln über der Schulter. Als Motto hatten sie "Thank you for shooting" ausgegeben.

Soldat in Afghanistan mit Kindern

Große Kaliber gegen bekiffte Kämpfer

Ausgabe 344, 01.11.2017
Von Martin Himmelheber

Das war ein kurzer Oberndorfer Sommer: Bei Heckler & Koch hatte der neue Chef offene Türen versprochen, sogar Fragen beantwortet. Vorbei. Der Neue ist gefeuert, ein hartgesottener Waffenentwickler wieder da. Der empfiehlt durchschlagskräftigere Sturmgewehre gegen gedopte Afghanen.

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Das war so noch nie vorgekommen in der schwäbischen Kleinstadt, aus der die Waffen von Heckler & Koch stammen. Jasmin Siddiqui, eine der Berliner Künstlerinnen, erzählt, ihr Kollektiv beschäftige sich mit sozialkritischen Themen, etwa der massiven Videoüberwachung in Berliner U-Bahnhöfen oder der Wohnungsnot dort. Aber auch die Rüstungsexportpolitik der Bundesrepublik habe sie empört. Dabei hätten sie sich mit Heckler & Koch befasst, dem "Exportführer des Todes mitten aus Deutschland: Oberndorf".

Also wollten die Berliner in den Schwarzwald fahren und schauen, wie die Oberndorfer so ticken. "Rocco und seine Brüder" waren gespannt auf einen Ort, der "gemütlich in der Illusion der Idylle vor sich hin schlummert". In ihren Weihnachtsmannklamotten fuchtelten sie mit Wasserspritzgewehren herum, verteilten Lebkuchenherzen mit H & K-Schriftzug und ließen ein Glücksrad mit Bomben und Totenschädeln rotieren. Rocco erklärt warum: Kinder in Krisenregionen töteten und würden getötet mit Infanteriegewehren aus Oberndorf.

Mit ihrer Aktion wollten sie herausfinden, wie die Menschen reagieren, wenn sie mit "Fake-Handgranaten Styroporblöcke in Aleppo-Optik umwerfen", erzählt Rocco. Sie hätten gestaunt, wie selbstverständlich die Kinder, aber auch die Erwachsenen damit umgehen: "Eltern freuten sich über Babystrampler mit Einschusslöchern und gratulierten ihren jugendlichen Kindern zu Treffern auf Kriegsruinen und Flüchtlingskinder." Der Besuch in Oberndorf sei ein Schock für sie gewesen, denn es schienen "alle stolz auf die hiesige Industrie zu sein".

Dass man in Oberndorf auf derlei Aufführungen nicht sonderlich erpicht ist, ist hinlänglich bekannt. So war auch diesmal die Reaktion vorhersehbar: eine Streife kam vorbei. Die Beamten habe weniger gestört, dass ein "mit zwei G-36-Plastik-Sturmgewehren und Patronengurten bewaffneter Nikolaus auf einem Weihnachtsmarkt durch die Gegend springt, als die Verwendung von Logos ortsansässiger Firmen wie Heckler & Koch", wundert sich Rocco. Nach etwa zwei Stunden sei Ordnungsamtsleiter Josef Geray aufgetaucht. Der habe gerufen: "Wir hatten hier schon genug Whistleblower! Packt ein und verzieht euch!"

Das hätten sie denn auch getan. Sie hätten "genügend Eindrücke gesammelt – leider so wie erwartet. Ohne zurück zu gucken, verließen wir noch am gleichen Abend die Stadt." Das Bedauern darüber soll sich in Oberndorf in Grenzen gehalten haben.


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3 Kommentare verfügbar

  • Franco Vaderno
    am 29.12.2017
    Antworten
    Für ein bisschen mehr Wohlstand (=Geld in der eigenen Tasche) sind wir bereit andere mit ihrem Leben bezahlen zu lassen. Oberndorf ist wohl ein extremer Fall für ein Phänomen, das in unseren Wohlstandsgesellschaften verbreitet ist.
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